Streit um A1-Ausbau am GrauholzZwei neue Spuren – und möglichst viel Kulturland retten, bitte!
Hitzige Debatte, knappes Ergebnis: Kaum sind die Umfahrungen im Oberaargau und Emmental genehmigt, debattiert der Grosse Rat über den nächsten Strassenbau.

«Denkt an den Wirtschaftsstandort», «Klimaschädliche Investition», «Verlust von wertvollem Kulturland».
Die angeregte Debatte, die der Grosse Rat am Mittwochvormittag führt, hört sich an wie eine Nachlese des vergangenen Abstimmungswochenendes – oder wie eine Neuauflage?
Am 12. März stimmte der Kanton Bern zwei Verkehrssanierungen im Oberaargau und im Emmental zu. Nur drei Tage später stand der Ausbau der Autobahn A1 zwischen Bern Wankdorf und Schönbühl von heute sechs auf neu acht Spuren zur Debatte.
Und auch das Ergebnis ist im Grunde mit der Strassen-Abstimmung vom 12. März zu vergleichen: Alle sind zwar für den Erhalt von Kulturland, für ein Überdenken der Ausbaupläne gibt es am Schluss aber keine Mehrheit.
Zwist um Alternativen
Anlass für die Debatte im Kantonsparlament ist eine Motion des scheidenden Bauernpräsidenten Hans Jörg Rüegsegger (SVP). Mit breiter Unterstützung aus anderen Fraktionen wehrt er sich gegen den Verlust von wertvollem Kulturland. In einem zweiten Punkt fordert er zudem, Alternativen zum Ausbau auf acht Spuren zu prüfen. Namentlich erwähnt er eine mögliche Untertunnelung des Abschnitts, eine Überdeckung oder einen Ausbau in die Höhe.
«Wir wollen Bundesrat und Parlament ein Stopp-Signal schicken.»
Zum sorgsamen Umgang mit Fruchtfolgeflächen herrscht im Rat am Mittwoch grosse Einigkeit: Der Aufforderung an den Regierungsrat, sich beim Bund dafür einzusetzen, beim Grauholz-Ausbau möglichst viel Kulturland zu erhalten, stimmen 146 Ratsmitglieder zu. Nur drei sind dagegen. Hitzig diskutiert werden hingegen mögliche Alternativen zum geplanten Ausbau. Würde der Rat die Kantonsregierung damit beauftragen, neue Varianten zu prüfen, stellte dies den Autobahnausbau viel grundlegender infrage.
«Attraktiv, aber zu teuer»
Was am Grauholz genau passiert, wird nicht im Grossen Rat, sondern auf nationaler Ebene entschieden. Anfang nächster Woche berät die Verkehrskommission des Nationalrats über das rund 12 Milliarden Franken schwere Programm für den Unterhalt und Ausbau der Schweizer Nationalstrassen.
Trotzdem löst die Frage nach möglichen Alternativen eine angeregte Debatte aus. «Im Kanton Zürich ist eine Überdeckung von Autobahnen inzwischen normal – oder wird mindestens geprüft. Das sollten wir im Kanton Bern auch endlich tun», fordert etwa Bruno Martin (EDU). Auch in der SVP- und in der Mitte-Fraktion findet die Aufforderung, Tunnel oder Überdeckungen erneut zu prüfen, einige zustimmende Voten.
«Das Abstimmungsergebnis ist ein Warnschuss für alle künftigen Strassenprojekte»
Auf linker und grüner Seite stösst die Grauholz-Verbreiterung zwar auf grundlegenden Widerstand. Trotzdem fordern einzelne Grüne dazu auf, der Motion von Rüegsegger zuzustimmen. «Wir wollen Bundesrat und Parlament ein Stopp-Signal schicken», so Bruno Vanoni (Grüne).

Wichtigstes Argument sind aber die Kosten, die Autobahntunnel oder Überdeckungen bedeuten würden. «Ein Tunnel tönt zwar attraktiv, ist aber extrem teuer», sagt David Stampfli (SP). Seine Fraktion sei grundsätzlich gegen weitere Investitionen in Nationalstrassen. Und Thomas Brönnimann (GLP) erinnert daran, dass sich der Kanton Bern an den massiv höheren Kosten substanziell beteiligen müsste. So begründet denn auch Regierungsrat Christoph Neuhaus (SVP) seine Ablehnung der Motion vor allem mit finanzpolitischen Argumenten.
Das mit der «Zeitenwende»
Die knappen Strassen-Abstimmungen sitzen an diesem Mittwoch einigen Grossrätinnen und Grossräten noch in den Knochen. «Das Abstimmungsergebnis ist ein Warnschuss für alle künftigen Strassenprojekte», sagt Reto Zbinden (SVP).

Vor dem Urnengang zu den neuen Umfahrungsstrassen im Emmental und im Oberaargau hat Regierungsrat Neuhaus von einer «Zeitenwende» gesprochen. Neue Umfahrungsstrassen werden es künftig schwer haben, prognostizierte er. «Schon bei einer nächsten Abstimmung über Strassenprojekte könnte es keine Mehrheiten mehr geben», sagt David Stampfli von der SP.
Einer «Zeitenwende» kommt der Beschluss des Grossen Rates am Mittwoch wahrlich nicht gleich. Mit 73 zu 68 Stimmen bei neun Enthaltungen spricht sich der Rat dagegen aus, beim Bund neue Abklärungen zu verlangen. Erneut zeigt sich aber, dass über Strassenprojekte hitzig und differenziert diskutiert wird.
Fehler gefunden?Jetzt melden.