Zwei Expertinnen für alte Textilien
An der Abegg-Stiftung zu studieren, sei ein wahr gewordener Traum, sagt Noa Carrera. Ausbildnerin Anja Bayer stimmt dem zu: Die Arbeit werde nie langweilig.

Das einzige Geräusch im Raum stammt von dem Mikrostaubsauger, den Noa Quinteiro Carrera in der Hand hält. Leise brummt dieser vor sich hin, während sie mit dem dünnen Schlauchende über das Kleidungsstück vor sich fährt. Staub, Erde, Insektenreste, Leichenrückstände – möglichst alles, was nicht auf die alte Tunika gehört, wird entfernt. Die Reinigung historischer Stoffe und Gewänder gehört zu einer der Hauptaufgaben einer Textilrestauratorin, erklärt die 36-Jährige. Meist reiche der Staubsauger alleine nicht: «Neben der Trockenreinigung nutzen wir auch Wasser. Dabei muss man natürlich sehr vorsichtig vorgehen, sodass sich keine Fasern und Fäden lösen oder gar weggespült werden.»

Das Gewand ist reich verziert. Zwei goldene Kreuze prangen auf dem Brust- und Rückenbereich, Kordeln und feine vielfarbige Ornamente bilden den Rand der zwei blauen Zierstreifen. Mit einem Massband untersucht Anja Bayer die verschiedenen Schmuckelemente. «Es gibt einige Unregelmässigkeiten», erkennt die 42-Jährige mit ihrem geschulten Auge.
«Entweder haben mehrere Personen an dem Stück gearbeitet, oder es war nicht so wichtig, dass das gleiche Motiv exakt wiederholt wird.» Herausfinden, wie die Textilie gefertigt wurde, welche Techniken dabei verwendet wurden, und so dabei helfen, die Geschichte der Kleidung zu rekonstruieren. Das sei eine weitere wichtige Aufgabe der Restauratorinnen.
Uralte Tunika aus der Wüste
Die braune Tunika, an der Carrera und Bayer arbeiten, stammt aus dem 7. oder 8. Jahrhundert, gefunden wurde sie in einem Grab in Ägypten. So viel ist über das Stück bekannt, an dem die beiden Frauen seit etwa einem Jahr arbeiten. Die Tunika ist nur eines von vielen historischen Kleidungsstücken, welches die Abegg-Stiftung in Riggisberg besitzt. Die älteren davon stammen meistens aus Wüstengebieten, wo es trocken ist und die Textilien weniger schnell zerfallen.
Immer wieder andere Exponate zeigt die Stiftung in den eigenen Ausstellungsräumen. Jene braun-blaue Tunika, die auf dem Arbeitstisch von Noa Quinteiro Carrera und Anja Bayer liegt, bekamen die Besucher jedoch noch nie zu Gesicht. Sie wird buchstäblich im Zentrum der neuen Sonderausstellung «Luxus am Nil» stehen, welche am 28. April eröffnet wird.
Es sei ein tolles Gefühl, wenn die eigene Arbeit irgendwann der Öffentlichkeit präsentiert werde, erzählt Anja Bayer. Sie selbst hat schon etliche Stücke für die Abegg-Stiftung restauriert, zählen könne sie diese schon lange nicht mehr. Bayer weiss: «Unsere Arbeit ist dann am besten, wenn man sie gar nicht richtig sieht.» Das Gewand ausstellbar zu machen, ohne es zu verändern – auch dafür sind die Restauratorinnen zuständig.
Aus der ganzen Welt
Anja Bayer ist gebürtige Deutsche und hat von 1998 bis 2002 ihre Ausbildung bei der Abegg-Stiftung und an der Berner Fachhochschule absolviert. Wie es der Zufall wollte, wurde damals eine Projektstelle frei, sodass sie direkt in Riggisberg bleiben konnte. Mittlerweile wohnt Bayer mit ihrem Partner im Kanton Freiburg und ist eine der festangestellten Textilrestauratorinnen der Abegg-Stiftung. Als Ausbildnerin gibt sie ihre Expertise an die acht Studentinnen weiter, die zurzeit im Institut studieren und arbeiten.
Zwar gebe es hin und wieder auch Männer, die den Studiengang absolvieren, so Bayer. Diese seien jedoch klar in der Unterzahl. Auffällig sind hingegen die unterschiedlichen Herkunftsländer der Studentinnen: Aus Italien, den USA, Kanada, Taiwan und Japan reisen die jungen Frauen an, um die Ausbildung im Kanton Bern zu absolvieren. Auch Noa Quinteiro Carrera hat einen weiten Weg auf sich genommen, um an der Abegg-Stiftung zu lernen. Die gebürtige Spanierin ist seit einem Jahr in Riggisberg – und wohnt sogar in derselben von der Stiftung gemieteten Wohnung wie Anja Bayer einst.
Hier zu studieren, sei ein wahr gewordener Traum, schwärmt sie. «Bereits während meines Bachelors in Spanien wurde die Abegg-Stiftung immer als wichtigste Referenz erwähnt.» Noch mindestens zwei Jahre bleibt Noa Quinteiro Carrera in der Schweiz. So lange müssen ihr Ehemann und ihre Familie noch auf sie warten. Zwar plage sie durchaus manchmal das Heimweh, gesteht die junge Frau mit den strahlenden Augen, «das ist es aber auf jeden Fall wert».
Mit den Händen arbeiten
Es ist diese Begeisterung für ihre Arbeit, welche Anja Bayer und Noa Quinteiro Carrera am stärksten verbindet. Beide haben die Ausbildung zur Textilrestauratorin aus denselben Gründen eingeschlagen: Sie interessieren sich für Geschichte, wollten aber auch praktisch tätig sein, «mit den Händen arbeiten», wie es Carrera formuliert. Sie selbst habe zuerst Kunstgeschichte studiert, sich dann aber umorientiert.
«Ganz oft sagen die Leute, sie würden uns für die Geduld bewundern, die wir mitbringen. Dabei ist die Arbeit sehr aufregend.»
Die Arbeit mit den Textilien sei einfach viel spannender. Jedes Stück sei anders, es gebe immer neue Sachen zu entdecken, und wirklich ausgelernt habe man nie. «Ganz oft sagen die Leute, sie würden uns für die Geduld bewundern, die wir mitbringen», erzählt Anja Bayer, «dabei ist die Arbeit sehr aufregend – auch wenn es von aussen manchmal nicht so aussieht.»
Nur einen Wermutstropfen gibt es für Bayer: den ganzen Papierkram, den es zu erledigen gibt. Jeden Schritt und jede Erkenntnis in einem Protokoll festzuhalten, sei manchmal schon etwas mühsam, sagt sie. «Aber auch das ist wichtig», meint Bayer weiter. Und Quinteiro Carrera ergänzt: «Immerhin betreiben wir mit unserer Arbeit auch Forschung. Und die will für die Zukunft gut dokumentiert sein.»
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