Zusammenstehen – und vertagen
In einer TV-Ansprache legte der US-Präsident Barack Obama seine Position in der Syrien-Frage dar. Das Problem daran: Er will nicht den Weltpolizisten spielen, kann aber auch nicht wegsehen.
Ein Militärschlag gegen das Regime des syrischen Machthabers Bashar al-Assad bleibt das erklärte Vorhaben der amerikanischen Regierung. Präsident Barack Obama hat gestern Abend (Ortszeit) in einer von zahlreichen Fernsehsendern übertragenen Rede die US-Bevölkerung und ihre politischen Vertreter im Kongress von der Richtigkeit eines bewaffneten Einsatzes in Syrien zu überzeugen versucht.
Assads Giftgasangriff vom 21. August gegen die eigene Bevölkerung gebiete ein beherztes Einschreiten: «Ich möchte jeden Kongressabgeordneten und alle Zuschauer daheim bitten, sich die Videos dieses Angriffs anzusehen und sich dann zu fragen, in was für einer Welt wir leben werden, wenn die Vereinigten Staaten von Amerika wegsehen, wenn ein Diktator schamlos internationales Recht verletzt und Giftgas einsetzt», sagte Obama. Die «Ideale und Grundsätze» Amerikas sowie die nationale Sicherheit stünden auf dem Spiel.
«Die Fakten sind unleugbar»
Damit hielt Obama an seiner ursprünglichen Absicht fest, seinem Land und der Welt eine Kriegsrede zu halten. Der US-Präsident ist davon überzeugt, dass Assad im August das Nervengift Sarin eingesetzt und damit mehr als tausend Menschen getötet hat. «Die Fakten sind unleugbar», so Obama. Für diese Gräueltat soll Bashar al-Assad nun militärisch bestraft werden. Seine Kriegsführung sei ein Affront gegen «die zivilisierte Welt», die den Einsatz von Chemiewaffen verboten habe, weil sie «massenhaft töten und zwischen Säugling und Soldat nicht unterscheiden». Eine Aufweichung dieses Verbots müsse geahndet werden, damit nicht andere Despoten zu solchem Gerät greifen.
Amerika solle bemüht sein, diese Strafaktion durchzuführen. Zwar seien die USA nicht «der Polizist der Welt» und könnten auch nicht alles Elend verhindern. In Syrien aber, wo mit «bescheidenem Risiko» verhindert werden könne, dass Kinder vergast würden, sei Eingreifen Pflicht. Obama liess keine Vorwürfe an die internationale Gemeinschaft laut werden und nahm die «Bürde der Führung» ganz auf sich: «Das ist es, was die USA anders macht. Darum sind wir einzigartig.»
Etliche seiner 15 Minuten verwendete der US-Präsident darauf, Bedenken zu zerstreuen. Er sei sich bewusst, dass Amerika nach den Erfahrungen im Irak und in Afghanistan eine kriegsmüde Nation sei. Deshalb werde es keinen Bodenkrieg geben wie im Irak, eine zeitliche Begrenzung werde ein Ausufern des Konflikts verhindern. Ein Regimewechsel sei zudem nicht das Ziel des Einsatzes: «Ich denke nicht, dass wir einen weiteren Diktator mit Gewalt entfernen sollten.»
Dennoch werde die Strafaktion Assad schmerzen: «Lasst mich eines klarstellen: Die US-Streitkräfte operieren nicht mit Nadelstichen. Selbst ein begrenzter Schlag würde Assad eine Nachricht schicken, wie sie keine andere Nation übermitteln kann.» Details zu einer Strategie nach einem US-Militärschlag verriet Obama allerdings keine.
Obama, der überzeugte Demokrat
Der amerikanische Präsident wandte sich gestern nicht der Form halber an die Nation. Da er entschieden hat, sich einen Waffengang in Syrien vom Kongress absegnen zu lassen, braucht er unbedingt ein Ja der Politik. In seiner Rede betonte er zwar, als Oberbefehlshaber der Streitkräfte habe er durchaus die Autorität, auch alleine in Syrien zuzuschlagen, ohne Rücksprache mit den Abgeordneten. Als überzeugter Demokrat aber glaube er daran, dass nur ein geeintes Amerika in der Welt grösstmögliche Wirkung haben könne. Überdies seien die Volksvertreter in den vergangenen Jahren zu oft ignoriert worden bei Entscheiden über Militäreinsätze.
Mit diesem Schritt hat sich Obama selber unter Druck gesetzt. Denn im Kongress und vor allem im republikanisch dominierten Repräsentantenhaus könnte ihm gemäss Umfragen die Unterstützung für den Syrien-Einsatz verwehrt werden. Viele Volksvertreter bangen um ihre Wiederwahl; die Bevölkerung ist dezidiert gegen eine militärische Intervention. Sollte der Kongress den Präsidenten im Regen stehen lassen, stünde Obama schlimm beschädigt da: Er hat versprochen, den Einsatz von Chemiewaffen mit Zorn und Bomben zu strafen. Wenn er zu den Worten von der «roten Linie» jetzt nicht stehen kann, wird ihn das schwächen und antiamerikanische Despoten auf der ganzen Welt ermutigen. Und sollte er dann trotz eines Neins des Kongresses doch noch militärisch losschlagen wollen, so würde er wohl als undemokratisch und illegitim dastehen – als ein Präsident, der gegen Parlament und Bevölkerung sowie ohne internationale Unterstützung handelt.
Kongress um Verschiebung gebeten
Deshalb muss er den Kongress gewinnen. Am liebsten allerdings, auch das wurde in der gestrigen Rede deutlich, hätte Barack Obama grünes Licht für einen Militärschlag, den er niemals auszuführen braucht. Im letzten Drittel seiner hart und trocken gehaltenen Rede erklärte er plötzlich, trotz all seiner vorgetragenen Überzeugungen habe er den Kongress gebeten, alle Abstimmungen über den Militäreinsatz einstweilig zu verschieben. Denn in den vergangenen 48 Stunden hat sich eine neue diplomatische Option eröffnet: US-Aussenminister John Kerry hat in London scheinbar locker bemerkt, Assad könne einen Militärschlag mit der Abgabe seiner Chemiewaffen noch abwenden. Worauf am Montag Russland Gefallen an dem Vorschlag fand und Druck auf Damaskus aufsetzte, nachdem Moskau Assad den ganzen blutigen Bürgerkrieg hindurch gestützt und eine UNO-Resolution verhindert hatte. Inzwischen stellt auch Damaskus in Aussicht, man könne durchaus die Chemiewaffen aufgeben, die man nach syrischen Angaben ja sowieso nie verwendet haben will.
Noch sei es «zu früh» um zu sagen, ob dieser Weg gangbar sei, sagte Obama gestern. Er werde aber versuchen, die Sache gemeinsam mit Grossbritannien und Frankreich über den UNO-Sicherheitsrat voranzutreiben. Neue Deadlines wurden keine gesetzt. Somit musste der Präsident in seiner Kriegsrede einräumen, dass er sich eine friedliche Abstrafung Assads vorstellen kann und diese gegenüber einem Militäreinsatz auch bevorzugen würde. Das ist nicht gerade der Druck, den seine Kongressabgeordneten brauchen, um gegen die Bevölkerung für einen Waffengang zu stimmen. Obama hofft wohl auf eine Kompromissresolution, die ihm einen Militärschlag nach dem Scheitern der letzten diplomatischen Bemühungen erlaubt. Vorerst, sagte er gestern, müsse der Druck auf Assad auf jeden Fall aufrechterhalten und der Militärschlag eine von der amerikanischen Nation getragene Option werden.
Barack Obama hat seinen Standpunkt gestern so sorgfältig dargelegt, wie man es sich von ihm gewohnt ist. Widersprüche waren dabei nicht zu vermeiden: Obama will die politische Unterstützung für einen Einsatz der Streitkräfte, es aber doch noch einmal mit Diplomatie versuchen. Er will den Diktator Assad nicht mit Gewalt stürzen, aber ihm doch so weh tun, dass er auf Chemiewaffen verzichtet. Er will nicht den Weltpolizisten spielen, kann aber auch nicht wegsehen. Für dieses Lavieren wird Obama in den USA gescholten werden. Auch wenn bessere Ideen rar sind.
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