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Bundesrat Die Debatte um die Nachfolge von Didier Burkhalter läuft auf eine Frage hinaus: Ist es wichtiger, im Bundesrat einen Tessiner zu haben oder weiterhin mindestens zwei Frauen? Der Streit darüber übertönt im Moment die inhaltliche Diskussion.

350'000 Tessinerinnen und Tessiner haben seit 1999 keinen Bundesrat mehr. Möglicherweise haben aber bald auch 4,2 Millionen Frauen in der Schweiz nur noch eine Bundesrätin. Was ist schlimmer? Diese Frage beherrscht zurzeit die Diskussion um die Nachfolge des abtretenden FDP-Bundesrats Didier Burkhalter.
Bisher sieht es gut aus für das Tessin. Die besten Chancen, am 20. September gewählt zu werden, hat Nationalrat Ignazio Cassis. Allerdings gewinnt die Frauenfrage an Gewicht. Bundespräsidentin Doris Leuthard (CVP) hat mit ihrer vagen Rücktrittsankündigung Anfang Woche in Erinnerung gerufen, was man gern verdrängt: Wenn sie zurücktritt und wie erwartet durch einen Mann ersetzt wird, ist Simonetta Sommaruga (SP) die einzige Frau in der siebenköpfigen Landesregierung.
Letztlich müssen die National- und Ständeräte deshalb schon am 20. September entscheiden, was ihnen wichtiger ist: die Vertretung der Tessiner oder der Frauen. Natürlich können sie Cassis wählen und sich darauf berufen, dass bis zu Leuthards Rücktritt weiterhin zwei Bundesrätinnen an Bord sind. Allerdings sind bei der CVP kaum aussichtsreiche Kandidatinnen in Sicht, während die Männer schon seit Jahren Schlange stehen.
Zwar rechnen viele damit, dass Ueli Maurer (SVP) und Johann Schneider-Ammann (FDP) ebenfalls noch vorzeitig abtreten und eventuell durch Frauen ersetzt werden. Doch erstens dominieren auch in der SVP die Männer. Und zweitens hat Schneider-Ammann relativ verbindlich angekündigt, bis Ende 2019 im Amt zu bleiben.
Grüne verlangen eine Frau
Für die Präsidentin der Grünen ist der Fall deshalb klar: «Jetzt steht die Frauenfrage im Zentrum.» Nationalrätin Regula Rytz betont, sie anerkenne den Wunsch der Tessiner nach einer Vertretung im Bundesrat. «Aber dieses Mal ist die Tessiner FDP verantwortlich, wenn es wieder nicht klappt. Sie hatte es in der Hand, eine fähige Frau zu nominieren.»
Rytz denkt an Laura Sadis, die frühere National- und Staatsrätin der Tessiner FDP, die Interesse an einer Kandidatur hatte, von Ignazio Cassis aber ausgestochen wurde.
«Jetzt steht die Frauenfrage im Zentrum.»
Wie will Rytz – sie stammt aus dem mit Bundesräten reich gesegneten Kanton Bern – den Tessinern erklären, dass diese weiter auf einen Bundesrat warten sollen? «Frauen machen mehr als die Hälfte der Bevölkerung aus und sollen im Bundesrat angemessen vertreten sein.» Rein rechnerisch bräuchte es dazu vier Bundesrätinnen. Rytz legt sich nicht auf eine Zahl fest, betont aber, eine einzige Frau sei sicher zu wenig.
Aus ihrer Sicht ist die FDP gefordert, ein solches Szenario zu verhindern. «Als Partei mit zwei Bundesratssitzen steht sie in der Verantwortung. Sie kann es nicht bei der Wahl von Elisabeth Kopp 1984 bewenden lassen und die Vertretung der Frauen an die anderen Parteien delegieren.» Rytz zeigt sich jedoch zuversichtlich: Die FDP werde nun kaum mehr darum herumkommen, eine Frau zu nominieren.
FDP will keinen Druck
Die FDP weist solche Druckversuche zurück: «Unser Anforderungsprofil hat sich wegen der Ankündigung von Frau Leuthard nicht verändert», sagt Samuel Lanz, Generalsekretär der FDP. «Die FDP-Fraktion ist weiterhin völlig frei bei ihrem Entscheid, wie viele und welche Personen sie nominiert.» Sprich: Es können auch zwei Männer sein.
Lanz sagt, die ganze Aufregung sei künstlich. Dass Leuthard in den nächsten Jahren zurücktreten werde, sei ja nicht wirklich neu. Und wenn sie tatsächlich aufhöre, sei es die Verantwortung der CVP, auszuloten, wen sie nominieren wolle. Frei übersetzt: Die FDP will jetzt nicht zwanghaft eine Frau nominieren, nur damit die männlichen CVP-Platzhirsche nach Leuthards Abgang freie Bahn haben.
Die Frage, was wichtiger ist – die angemessene Vertretung der Frauen oder der Tessiner – lässt der FDP-Generalsekretär offen. Das werde man in der Fraktion diskutieren. Diese entscheidet am 1. September, wen sie für die Bundesratswahl nominiert.

CVP-Präsident Gerhard Pfister hält fest, nun sei es zuerst einmal an der FDP, mit ihrer Nomination die Weichen in Sachen Frauen- oder Tessiner Vertretung zu stellen. Für Pfister hat nach wie vor Ignazio Cassis die besten Chancen. Seine Wahl würde allerdings die CVP unter Druck setzen, bei Leuthards Rücktritt Frauen zu nominieren. Pfister will dies derzeit nicht kommentieren. «Es ist viel zu früh, solche Überlegungen anzustellen.» Man könne künftige Nominationen und Kriterien nicht mit der anstehenden Wahl verknüpfen.
Allerdings hatte Pfister gegenüber verschiedenen Medien gewünscht, dass künftige Rücktritte koordiniert werden. Das würde die CVP von der Verantwortung bezüglich Frauenanteil in der Regierung entlasten.
SVP setzt auf Inhalt
SVP-Präsident Albert Rösti glaubt nicht, dass Leuthards Ankündigung die Voraussetzungen für die kommende Wahl ändert. Und weiter: «In der SVP-Fraktion hat die inhaltliche Position Priorität vor Herkunft oder Geschlecht.» Im Moment sei für die SVP das Verhältnis zu Europa zentral. An zweiter Stelle kommt für Rösti bei der kommenden Wahl die Herkunft – ein Tessiner hat bei ihm daher gute Chancen. Das Geschlecht steht an dritter Stelle, «weil wir im Moment ja zwei Bundesrätinnen haben».
Was in den kommenden Jahren sei, lasse sich nicht jetzt schon vorhersagen. Vielleicht konzentriere sich die Frauenfrage gar nicht auf die CVP, weil noch andere Vakanzen entstünden. An die SVP denkt Rösti dabei allerdings nicht, wie er sagt. Also eher an die FDP.
Fazit: Bei SVP, FDP und CVP hofft man(n) bisher offenbar, die jeweils andere Partei werde dann eine Frau nominieren.
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