Wenn die Flüchtlinge mit Jachten übers Meer kommen
Neue Routen, neue Mittel und kaum mehr Boatpeople auf überfüllten Barken: Die Schlepperbanden am Mittelmeer haben ihre Methoden an die stärkeren Kontrollen angepasst.
Von Oliver Meiler, Rom Ihre Berichte zeugen nicht von den Strapazen einer Odyssee, nicht von Verzweiflung, Hunger und Durst auf der Flucht ins gelobte Europa. Die 122 Boatpeople aus Afghanistan, dem Irak und Syrien, die vor einigen Tagen im kalabrischen Riace an Land gingen, erzählen von einer ruhigen, bequemen, mehrtägigen Überfahrt aus der Türkei – auf einer Luxusjacht. Ihre Schlepper haben sie vorab bezahlt, und die gaben ihnen falsche Papiere. Ins Spital musste keiner der Flüchtlinge. Es ist schon das dritte Mal innert weniger Wochen, dass die italienische Küstenwache die Landung von modernen, unauffälligen Motor- oder Segeljachten rapportiert, die in ihrem Bauch oder auf ihrem Deck Boatpeople transportierten. Die zwei ersten Boote legten mit Dutzenden Flüchtlingen in Apulien an. Ein neues Phänomen im Geschäft mit der Flucht übers Mittelmeer? In diesem Sommer ist alles anders. Angefangen bei Lampedusa. Es ist still geworden um die kleine Insel vor Sizilien. In den Medien erscheinen keine Bilder mehr von Schaluppen voller ausgezehrter Flüchtlinge, keine Fotos aus überfüllten Auffanglagern für illegale Immigranten. Der einst südlichste Vorposten der EU hatte bisher als Traumdestination vieler Afrikaner gegolten, die vor dem Ablegen in Libyen oder Tunesien schon beschwerliche Reisen quer durch ihren Kontinent hinter sich hatten. Unter Schleusern hielt man die kurze Route durchs zentrale Mittelmeer für die einfachste, wenn auch die Wellen der unberechenbaren See viele Schiffe ins Verderben trieben. Nur noch Touristen Nun aber erlebt Lampedusa ihren ersten rein touristischen Sommer seit vielen Jahren: volle Hotels und Strände. Gestrandete Boatpeople? Minus 98 Prozent übers ganze Jahr gemessen und im Vergleich zur Periode Juli 2008 bis Juli 2009. Auch Malta meldet einen markanten Rückgang klandestiner Ankünfte über den Seeweg: Seit März wurde kein einziges Flüchtlingsboot mehr gesichtet. Spanien registriert eine Baisse von über 70 Prozent auf den Balearen und auf den Kanarischen Inseln – einst der bevorzugte Anlegeplatz für Migranten aus Westafrika. Und in Frankreich liegt die letzte Landung an den mediterranen Küsten schon so lange zurück, dass sich kaum mehr jemand daran erinnert. Das UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge bestätigt den massiven Trend. Am spektakulärsten ist die Entwicklung aber in Italien, mit seinen 7000 Kilometer Küste das exponierteste Land Europas. Innenminister Roberto Maroni schreibt die überraschend starke Abnahme, die er als Erfolg seiner Politik betrachtet, vor allem dem Abkommen zu, das Italien mit Libyen geschlossen hat. Es sieht unter anderem vor, dass Italien Flüchtlinge, die an den libyschen Küsten abgelegt haben, umgehend zurückschaffen kann. Wie Libyen mit den abgewiesenen Migranten umgeht, ist schlecht dokumentiert, alarmiert aber die Menschenrechtsorganisationen. Italien belieferte seine ehemalige Kolonie mit Mitteln zur effizienteren Sicherung ihrer Südgrenze. Folgen zeigen auch die Einsätze von Frontex, des europäischen Grenzschutzes. Seit einigen Jahren patrouillieren dessen Flotten im westlichen Mittelmeerraum und vor den Kanarischen Inseln. Sie drängen Flüchtlingsboote auf hoher See zurück in ihre Ursprungshäfen. Umstritten sind diese Manöver zur Sicherung der «Festung Europa» auch deshalb, weil sie sich oftmals in internationalen Gewässern abspielen. Frontex berichtet in seinem jüngsten Rapport, dass Italien, Frankreich und Spanien ihren Kampf gegen die Menschenschmuggler merklich intensiviert und viele von diesen verhaftet hätten. Meistens handelte es sich um europäische Banden des organisierten Verbrechens. Wer genug Geld hat, fliegt Doch wo sind sie geblieben, die Flüchtlinge? Kann es sein, wie ebenfalls vermutet wird, dass die Wirtschafts- und Jobkrise in Europa die Attraktivität als Fluchtdestination grundsätzlich geschmälert hat? Oder haben die Schlepperbanden nur Methoden und Routen geändert? Einerseits war es immer schon so, dass die Seeankünfte nur einen kleinen, wegen der dramatischen Bilder aber stark mediatisierten Teil der illegalen Einwanderung darstellten. Ein Grossteil der Flüchtlinge versucht sein Glück auf dem konventionelleren Weg: Wer Geld und ein Visum hat, der fliegt, lässt die Visumsfrist verstreichen und bleibt dann ohne Papiere im Land. Billiger ist der Transport in Camions. Andererseits hat im letzten Jahr eine Verschiebung der Routen nach Osten stattgefunden. Die Banden meiden das nunmehr besser bewachte zentrale und westliche Mittelmeer und weichen dafür ins östliche aus. Die Türkei spielt für viele afghanische, kurdische, iranische, irakische und syrische Flüchtlinge mittlerweile die Rolle, die Libyen für die Afrikaner spielte. Aus der Türkei gelangen viele auf dem See- oder Landweg nach Griechenland. Von dort führt der Fluchtweg entweder über Bulgarien und Rumänien in Richtung nördliches Europa oder übers Meer nach Italien. Vor allem in Apulien nähmen die Ankünfte von Boatpeople zuletzt wieder stark zu, sagt die italienische Caritas. Die katholische Hilfsorganisation wirft der italienischen Regierung vor, sie gebe sich einem billigen Triumphgehabe hin. Der angebliche Triumph wird mit Bildern aus Lampedusa illustriert. Es sind sommerliche Ferienbilder – ohne Schaluppen am Horizont. Die Einsätze des europäischen Grenzschutzes Frontex, hier ein französisches Boot, zeigen Wirkung. Foto: Joel Saget (AFP) Bildlegende. Foto: Vorname Name, Agentur
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