Vorsicht vor allzu entspanntem Plaudern
In der «Sprechstunde mit dem Gemeindepräsidenten» wollen die Bürger vor allem über Bauvorhaben, aber auch über beschädigte Rohre und Ehen diskutieren.
Von Kathrin Morf Zum ersten Mal richtet Hans Ulrich Büchi an diesem Montag sein Sitzungszimmer im Rorbaser Gemeindehaus für seine «Sprechstunde mit dem Gemeindepräsidenten» ein. Ein gutes Dutzend Unterländer Gemeinden bieten regelmässig Termine, an denen die Bewohner vorbeischauen dürfen, wenn sie etwas mit dem Chef zu besprechen haben. Rorbas und Boppelsen haben das «Stelldichein» erst kürzlich neu eingeführt. Neulinge auf dem Gebiet wüssten, was sie erwartet, würden sie bei Rino Keller nachfragen. Der Hochfelder Alt-Gemeindepräsident führte die Sprechstunde ein, weil seine «Schäfchen» ihn oft in den Beizen ansprachen – und dort wollte er lieber Bier trinken, statt heikle Anliegen diskutieren. In der Sprechstunde seien manchmal zerstrittene Ehepaare aufgetaucht und hätten nach Tipps gefragt. In den meisten Fällen hätten sich Besucher aber nach Bauvorhaben erkundigt. «Viele wollten mir die Würmer aus der Nase ziehen», erzählt er schmunzelnd. «Gerät man ins Plaudern, muss man aufpassen, nichts Geheimes preiszugeben.» Erst der Anwalt hats begriffen Allzu entspanntes Plaudern ist demnach nicht angesagt – ausser bei Stammkunden wie den einsamen Senioren, die bloss ein bisschen reden wollen, oft stundenlang. Regelmässige Besucherin war aber auch eine Dame, die sich nach einem Wasserleitungsbruch in Schuldzuweisungen übte; den Nachbarn und der Gemeinde wollte sie den Schwarzen Peter zuschieben. «Nur sich selber nicht», erzählt Keller. «Sie kam immer wieder, obwohl sie die Schuld am Wasserschaden trug. Am Schluss erschien sie mit ihrem Anwalt. Der hat es dann begriffen.» In Rorbas kann Büchi derweil seine erste Besucherin begrüssen, die weitaus angenehmer ist als die «Wasserschaden-Frau»: Marie-Louise Burkhart möchte wissen, ob die neuen Verkehrsbaulinien des Kantons eine Wertminderung ihres Hauses zur Folge haben. «Sollte ich Einsprache erheben, was denken Sie?», fragt sie. Büchi beruhigt seine Besucherin, bietet ihr aber auch an, eine Sitzung mit Experten einzubeordern, wenn sie seiner Einschätzung nicht traut. Das tut sie aber – und plaudert noch ein wenig mit dem Präsidenten. «Die Sprechstunde ist eine Chance, die Bedürfnisse der Bewohner kennen zu lernen. Und die Bewohner selbst», sagt Büchi. «Frau Burkhart sehe ich oft vorbeispazieren, nun kann ich sie mit Namen grüssen.» Die Steuerzahler kostet der Dienst des Gemeindepräsidenten in der Sprechstunde übrigens nichts. Wieso das Angebot so beliebt ist, erklärt sich Büchi so: «Für die Unterländer ist zum grössten Luxus geworden, wenn jemand Zeit für sie hat.» Zeit nimmt sich auch Gemeindepräsident Willy Laubacher, wobei sein Otelfingen hinsichtlich der Besucherfrequenz gehörig aus der Reihe tanzt. In den meisten Gemeinden nutzen zwei bis drei Bürger die Sprechstunde – in Otelfingen sinds des öfteren zehn. «Ein reger Austausch zwischen Einwohnern und Behörden hat hier Tradition», meint Laubacher. Zudem wollten viele Otelfinger den «Neuen» sehen, und der nimmt ihre Anliegen sofort an die Hand: So beschwerten sich Bewohner, ein Lichtsignal stehe zu nahe an einem denkmalgeschützten Haus – woraufhin Laubacher den Kanton dazu brachte, den Mast näher zur Strasse zu rücken. Hilferuf um Mitternacht Alle Präsidenten betonen übrigens, dass sie in dringenden Fällen auch ausserhalb der Sprechstunde für ihre Einwohner da seien. So hielt das auch Rino Keller – und das führte zu seinem wildesten Fall: Um Mitternacht rief ihn eine Hochfelderin an, die sich im Bad eingeschlossen hatte. «Mein Mann sitzt mit dem Gewehr vor der Tür», rief sie in Panik. Da ihm die Frau vertraute, wollte Keller nicht die Polizei alarmieren. Mit klammem Gefühl im Magen nahm er seinen Mantel und rief seiner Gattin zu: «Ruf die Polizei, wenn ich in einer Stunde nicht zurück bin.» Der tollkühne Politiker konnte den Streit schlichten – und freut sich seither über all die Eheleute, welche sich in seiner Sprechstunde mit Worten statt Waffen streiten. «Für die Unterländerist zum grösstenLuxus geworden,wenn jemand Zeitfür sie hat.» Hans Ulrich Büchi, Rorbas
Fehler gefunden?Jetzt melden.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch