So raffiniert betrogen die Krankenkassen-Direktoren
Vier Chefs der aufgelösten Krankenkasse KBV stehen diese Woche vor Gericht. Sie sollen über 27 Millionen Franken erschwindelt haben.
Von Liliane Minor Zürich – Dieser Betrug ist der Stoff, aus dem Romane und Filme sind: Es gibt darin dubiose Treffen in Hotelzimmern, bei denen Millionen verteilt werden. Der tragische kleine Mann kommt vor, der gnadenlos eingespannt wird. Nicht einmal das Konto auf den Bahamas fehlt. Bloss ist diese Geschichte nicht Fiktion, sondern Wirklichkeit. Seit gestern hat sich das Obergericht damit zu befassen. Laut Anklageschrift geht die Geschichte so. Ende 1999 realisiert der Finanzdirektor der Winterthurer Krankenkasse KBV, dass die Kasse finanziell in Schieflage ist. Es muss Geld her, und zwar schnell. Die vierköpfige Geschäftsleitung beschliesst, sich das Geld beim Risikoausgleichsfonds zu beschaffen. Dieser unabhängige Fonds entschädigt Krankenkassen mit übermässig vielen älteren und kranken Versicherten. Der Betrug weckt die Gier Die vier KBV-Bosse ziehen ein raffiniertes Betrugssystem auf. Sie erfinden mehr als 2000 ältere Versicherte. In Nachtarbeit werden deren Daten im Computer eingegeben. Allerdings wären diese fiktiven Kunden rasch aufgefallen, hätten sich die findigen Direktoren nicht eine Möglichkeit einfallen lassen, die fälligen Prämien zu bezahlen. Dazu erfindet das Quartett teure Ausland-Spitalaufenthalte der fiktiven Versicherten und vergütet diese auf ein geheimes Konto bei der Raiffeisenbank. Das Konstrukt erfüllt seinen Zweck: Die KBV betrügt den Risikoausgleichsfonds damit innert dreier Jahre um mehr als 27 Millionen Franken. Die KBV scheint saniert. Aber es bleibt nicht allein dabei. Der Betrug weckt die Gier der vier Manager. Alle paar Monate heben sie vom Raiffeisen-Konto Bargeld ab, jeweils in der Höhe von rund einer Million Franken. Der Bankfilialchef stellt keine Fragen. Er vertraut einem der KBV-Direktoren voll und ganz, denn der amtet ganz zufällig auch als Verwaltungsratspräsident der fraglichen Raiffeisenkasse. Das Geld teilen die vier Betrüger in einem Hotelzimmer in Frauenfeld brüderlich auf: Insgesamt stecken sie mehr als neun Millionen Franken in ihre Taschen. Einen kleinen Teil des Geldes legen sie auf den Bahamas an. Und der kleine Mann? Der ist nur ein Rädchen im grossen Betrug – aber ein unverzichtbares. Das fragliche Raiffeisen-Konto ist ein Kontokorrent, das nur Firmen offen steht. Dieses Kontokorrent gehört besagtem kleinem Mann, einem Garagisten. Auch seine Firma ist finanziell am Boden, der Mann braucht Geld. Da kommt ihm das Angebot eines engen Freundes – einer der vier KBV-Chefs – entgegen, einen Teil der Firma und Kontokorrent quasi leihweise zu übernehmen. Offiziell bleibt alles in der Hand des bisherigen Besitzers, aber die Vollmachten für das Konto gibt der Garagist ab. Auch er stellt keine Fragen. Aber wo ist Schubert? Der Deal scheint perfekt. Nur eines übersehen die Herren: dass es auffallen muss, wenn von 2000 älteren Versicherten nie einer stirbt. Der Betrug fliegt auf, und in der Folge geht die KBV im Jahr 2004 in Konkurs. So weit die Geschichte, die in ihren Grundzügen von keinem der vier Angeklagten bestritten wird. Dennoch bezeichneten sich zwei von ihnen gestern vor Obergericht als unschuldig. Sie seien selbst betrogen worden: Von einem gewissen Wilfried Schubert. Dieser habe ihnen die fraglichen Versicherten vermittelt, sagten die zwei Direktoren. Das Bargeld, das man jeweils auf der Raiffeisenkasse abgehoben habe, sei keineswegs in die eigenen Taschen geflossen, versicherten die beiden Männer, sondern sei in ebenjenem Hotelzimmer an Schubert ausbezahlt worden. Auf die Frage, warum das Geld nicht auf normalem Weg überwiesen wurde, antwortete einer der Angeklagten: «Schubert wollte es so. Ich nehme an, dass er auf diese Weise für sich etwas von dem Geld abzweigte.» Gefragt habe er nicht. Dumm an der Schubert-Geschichte ist nur: Ausser den beiden nicht geständigen Direktoren und dem Garagisten hat nie jemand den Vermittler gesehen. Auch die anderen zwei Direktoren nicht. Sie legten früh ein Geständnis ab und erzählten den Untersuchungsbehörden die Geschichte so, wie sie in der Anklageschrift steht. Und sie beteuerten auch gestern: «Schubert gibt es nicht.» Diese Version erschien dem Bezirksgericht Winterthur in erster Instanz als glaubhaft. Es verurteilte die zwei nicht geständigen Männer zu viereinhalb und vier Jahren Haft, die anderen zu je zwei Jahren. Dagegen legten die Staatsanwaltschaft und drei der vier Verurteilten Berufung ein. Gestern begann der Prozess mit der Befragung der Angeklagten und dem Plädoyer des Staatsanwalts, heute Dienstag und morgen Mittwoch folgen die Plädoyers der Verteidiger. Wann das Urteil gefällt wird, ist noch nicht klar. Einer der geständigen Ex-KBV-Direktoren (l.) mit seinem Anwalt auf dem Weg ins Obergericht. Foto: Sophie Stieger
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