«Natürlich muss sich Herr Joder fragen, was er will»
sind die Kantonalparteien
Christoph Blocher, die Universität St.Gallen hat am Donnerstag Ihre Bewerbung für die Wirtschaftsethikprofessur abgewiesen. Enttäuscht? Christoph Blocher: Leider war dies zu erwarten. Obwohl der Rektor mir mitteilte, dass Artikel 36 des Universitätsstatus eine Altersgrenze von 65 vorsehe, war für mich klar: Es geht darum, dass in den Lehrbetrieben der Universität die fundamentale Infragestellung einer wirklichkeitsfremden Lehrdoktrin nicht zugelassen werden soll. Die langjährige unternehmerische Praxis und Erfahrung soll ausgeklammert werden. Darum bleibt das Anliegen auf der Strecke, der akademischen Jugend Orientierung zu geben und der Leere – gerade auch in der Werteordnung – entgegenzuwirken. Zwei Jahre sind seit Ihrer Abwahl aus dem Bundesrat vergangen. Herrscht bei Ihnen auch Leere? Absolut nicht. Wären jetzt eidgenössische Wahlen, wäre die SVP Gewinnerin. Die Stosskraft zeigte erneut die Abstimmung über die IV-Zusatzfinanzierung. Im Volk beginnt die Stimmung zu drehen. Die SVP erhält zunehmend Recht und Zustimmung. Nicht in allen Kantonalparteien läuft es dagegen ideal. Vor lauter Erfolgen beginnen sie, sich in falscher Richtung zu bewegen. Die da wäre? Mit dem Wahlerfolg von 2007 kamen Selbstzufriedenheit, Bequemlichkeit und Selbstgenügsamkeit auf. Statt harter und selbstloser Parteiarbeit beginnt man das eigene Ansehen und die politische Karriere zu beachten. Durch das starke Wachstum der Partei wurden viele unerfahrene Leute rasch in die Ämter gewählt. Diese schreiben den Erfolg dann rasch sich selber zu. Sich für die Schweiz aufzuopfern, von den Medien kritisiert zu werden und sich nur für die Aufgabe einzusetzen – ohne Rücksicht auf das «Image» zu nehmen – gehört schnell nicht mehr zum Rüstzeug. Man sucht den Zuspruch von allen Seiten, man will ja gewählt werden. Können Sie ein konkretes Beispiel machen? Seit den eidgenössischen Wahlen 2007 fanden in zehn Kantonen Parlaments- und Regierungsratswahlen statt. Dort, wo sich die Partei voll hinter die SVP-Ziele stellte, mit klarer Linie und ohne auf das eigene Ansehen zu achten, waren die Erfolge enorm: So konnte Uri den Wähleranteil um 122 Prozent, das Wallis um 55, Schwyz um 29 und St.Gallen um 24 Prozent steigern. Auch in Basel-Stadt, Thurgau, Solothurn und Aargau steigerte die SVP den Wähleranteil, wenn auch in geringerem Ausmass. Hingegen verlor die SVP in Schaffhausen 8,4 und in Neuenburg 21 Prozent ihrer Wähler. In beiden Kantonen hat man sich von der nationalen SVP-Linie abgewandt, das Augenmerk auf den äusseren Auftritt statt auf die Sorgen der Bevölkerung gelegt. Die Verluste waren voraussehbar. Genf wählt am Sonntag ein neues Kantonsparlament. Sehen Sie auch hier schwarz für Ihre Partei? Wir glauben zumindest nicht an einen Grosserfolg. Es fehlte eine klare, konsequente Strategie. Es wird schwierig, dass die SVP in Genf ihren noch geringen Wähleranteil von 11 Prozent halten kann. Es wurden in der Vergangenheit viele Fehler gemacht. Und wie schätzen Sie die Situation im Kanton Bern ein? Erfreulich ist der starke Druck von der Basis – vor allem auch von der Jungen SVP. Leider bremst die Parteiführung zu oft. Die Vorlage zur Schulharmonisierung HarmoS ist ein Beispiel. Es dauerte lange, bis sich die Berner Parteispitze dazu bequemt hat, das Thema aufzugreifen. Und siehe da: Beinahe hätte der Kanton Bern HarmoS verworfen. Die Bevölkerung ist über die Irrwege in der Familien-, Erziehungs- und Schulpolitik beunruhigt. Sie hat genug von den weltfremden, ideologischen Modellen. Die SVP hält als Einzige dagegen. Aber tun muss man es – den «Grind» hinhalten für unsere Jugend! Die Parteispitze muss ziehen – nicht bremsen. Das muss sich ändern, sonst verliert die Berner SVP 2010 die Wahlen. Sie hat grosse Chancen zu gewinnen. Aber sie braucht Profil. Das wie aussehen könnte? Wir müssen gegen die Missstände im Ausländer- und Asylbereich antreten – gegen die dauernde Belastung der Bürger, vor allem auch des Mittelstandes, kämpfen. Man muss sich für die Schweiz einsetzen, wo alle in die EU drängen. Mit Anbiederung gewinnt man nichts. Nicht nach der Beliebtheit anderer Parteien schielen. Die BDP ist keine Konkurrenz zur SVP. Sie ist keine Partei mit einem klaren Programm. Anstand allein genügt nicht. Es ist höchst unanständig, vor lauter Anstand nicht gegen politische Missstände vorzugehen. Ihre Themen sind aber doch primär national. Ist man da nicht zu weit weg von den Wählern? Es gibt bei weitem nicht nur nationale Themen für die SVP. Schule, Erziehung, Bildung – ein Kernthema der SVP – sind eindeutig kantonale Themen. Ebenso die Bekämpfung der Jugendkriminalität, die Sicherheit. Hier ist die SVP führend. Aber man muss es anpacken. Stellen Sie den Berner SVP-Parteipräsidenten Joder in Frage? Nein, aber die Führung muss entschieden vorangehen. Rudolf Joder muss es tun. Natürlich muss er sich fragen, was er will. Will er in eine Majorzwahl, oder will er Parteipräsident sein? Ein Parteipräsident muss sich für die Partei exponieren, das schliesst aber zum Beispiel eine Regierungsrats- oder Ständeratskandidatur aus. Er muss sich entscheiden. Wollen Sie den Bernern den Zürcher Stil aufzwingen? Es geht nicht um Stilfragen, sondern um unser Land. Wir haben nie einen Kampf gegen Bern geführt. Aber es bringt nichts, wenn sich die Kantonalsektionen voneinander distanzieren. Man sieht, wohin das führt, in Schaffhausen und Neuenburg. Ist es für SVP-Kantonalparteien nicht auch schwierig, offensiv zu agieren, weil sie immer mehr auch Regierungsparteien sind? Man muss sich als Regierungspartei nicht in erster Linie in der Opposition profilieren, aber auch nicht den Schlaf des Gerechten pflegen. Man kann sich von wichtigen Dingen nicht abwenden unter Berufung, man sei Regierungspartei. Es gilt Partei zu nehmen für Land und Volk. Die jungen Kantonalparteien, die keine Regierungsvertreter stellen, müssen verstärkt ihre Aufgabe als Opposition wahrnehmen. Das ist undankbar, aber zum Wohl des Landes nötig. Ist die jüngste Entwicklung der SVP nicht auch der Preis für den Erfolg? Die Partei hat eine Grösse erreicht, in der es schwieriger wird, alle auf eine Linie zu bringen. Jetzt schärfen die Kantonalparteien halt ihre eigenen Profile. Sollen sie doch. Aber die Parteien laufen Gefahr, sich ins politische Niemandsland zu bewegen. Aktivsein, aber unverbindlich im Politikgetriebe, und Anbiederung sind kein Profil. Es stellt sich die Frage, ob man Positionen einnimmt, mit denen man die Interessen des Landes, der Bevölkerung, der Arbeitsplätze, der Wirtschaft verteidigt. Ist man bereit, einen eigenständigen Weg zu gehen – auch wenn er mühsam ist? Und wenn ich an Genf und die Konkurrenz durch die Bewegung MCG – notabene ehemalige SVPler – denke: Rechts von der SVP darf es keine demokratisch legitimierte Partei geben. Vielleicht versuchen sich die Sektionen auch von Parteiübervater Christoph Blocher zu lösen? Wenn sich jemand von jemandem anderen emanzipieren muss, ist das ein Schwächezeichen. Es geht nicht um meine Position, sondern um die Wahlversprechen der Gewählten. Glauben Sie, manche Ihrer Mitstreiter haben diese Maxime aus den Augen verloren? Sie kennen den Witz: Ein Politiker bietet vor den Wahlen im Tram einer älteren Dame seinen Platz an. Sie winkt ab und sagt: «Vor den Wahlen lassen Sie mich sitzen, und nach den Wahlen lassen Sie mich hocken.» So etwas darf es bei der SVP nicht geben. Man wird den Eindruck nicht los, auch in der SVP gebe es mehr interne Zwistigkeiten als früher. Im Gegenteil. Letztes Jahr hat es vor der Bundesratswahl die üblichen Auseinandersetzungen um die Kandidatenwahl gegeben. Eine notwendige, aber fruchtbare Debatte fand auch bei der Erarbeitung der Parteiposition über die Einschränkung des Grossbankenrisikos statt. Sie war heftig. Der Entscheid fiel schliesslich klar aus. Die SVP ist auch zunehmend mehrheitsfähig. Dank der SVP konnte zum Beispiel das unselige «Atalanta»-Abenteuer gegen die Piraten beerdigt werden. Die SVP kämpft heute in manchem freier. Freier vielleicht, aber sicher auch ruhiger. Auch den Eindruck teile ich nicht. Die SVP hat die letzten Jahre den Finger – unter grossem Protest von Bundesrat und von anderen Parteien – auf viele wunde Punkte gelegt: zum Beispiel auf den Sozialmissbrauch, die Scheininvalidität, die Jugendkriminalität, den wieder zunehmenden Asylmissbrauch. Man bestritt sogar, dass es hier Probleme gebe. Inzwischen müssen die anderen Parteien immer mehr zugeben. Wir können an die Durchsetzung gehen. Wenn die anderen Parteien die SVP-Positionen übernehmen. Zieht sich diese mehr und mehr zurück? Wenn die anderen täten, was wir wollen, ginge es der Schweiz gut, und die SVP wäre überflüssig. Eine Partei ist nicht Selbstzweck. Demnach ist es gar nicht Ihr oberstes Ziel, dass die Partei noch stärker wird? Das Land – nicht die Partei – soll stärker werden. Dafür brauchen wir Stosskraft. Darum muss die SVP grösser werden, aber nicht durch Profillosigkeit. Eine Partei mit 29 Prozent Wähleranteil, die aber schlagkräftig ist, hilft mehr als eine Partei mit 50 Prozent ohne Profil. Aber dieses Land hat eine starke SVP nach wie vor nötig. Wer vermöchte dem Druck für einen EU-Beitritt in Bundesrat, Verwaltung und Parlament standzuhalten? Wer dem willfährigen Benehmen der Regierung gegenüber dem Ausland? Wie benimmt sie sich? Sie macht keine gute Figur. Das Ausliefern von Bankdaten an die USA war unakzeptabel. Die Verhaftung Polanskis sieht aus, als hätte die Schweiz ihn in eine Falle gelockt. Und als ich sah, wie Bundespräsident Merz im Namen der Schweiz in Libyen den Bückling gemacht hat, dann konnte ich nur noch den Kopf schütteln. Aber der gesamte Bundesrat steht in der Verantwortung. Im Bundesrat werden keine Strategien verlangt und festgelegt. Es gibt zu viele Einzelaktionen. Auch hier muss die SVP Gegensteuer geben. Interview: Michael Hugund Michael Widmer >
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch