Küsnacht und das bessere Leben sehen sie nur aus weiter Ferne
Seit einem halben Jahr besteht im Küsnachterberg ein neues Heim. Allein und fernab vom Dorftreiben leben hier Asylbewerber wie Jérome Ozoilo und hoffen auf ein bürokratisches Wunder.
Von Linus Schöpfer Küsnacht – Es ist vier Uhr am Nachmittag, die Herbstsonne strahlt durchs Fenster, ein Algerier fläzt sich auf dem Sofa, und Jérome Ozoilo frittiert seine Pommes – ein Bild der Langeweile und des Wartens. Der 34-jährige Nigerianer lebt mit elf Mitbewohnern in einem früheren Bauernhof an der Hohrütistrasse, wo die Gemeinde Küsnacht seit März Asylbewerber unterbringt. Die Bewerber kommen zumeist aus Afrika, oft aus dem arabischen Raum, aus Kenia, Senegal, Tunesien oder Algerien. Sie haben verworrene, teils obskure Lebensläufe und warten alle auf eines: den Entscheid der Asylbehörde, auf die Aufnahme oder die Ausweisung. Und sie warten tage-, wochen-, monatelang. «Es gibt hier einfach nichts zu tun», sagt Ozoilo, der seit August im Heim wohnt. An neuen Bekanntschaften fehlt es Ozoilo dabei nicht, denn die Fluktuation im Haus ist enorm. Die Abgewiesenen und die wenigen Aufgenommenen gehen, neue Bewerber kommen. Manchmal bleiben Heimbewohner nur für zwei Wochen. Deswegen verzichtet die Gemeinde Küsnacht auf ein umfassendes Beschäftigungsprogramm. Abgeschottetes Idyll Die Bewohner bleiben im idyllischen, hübsch eingerichteten Hof unter sich und haben so gut wie keine Verbindung zu den Küsnachtern. Ab und zu sehe er, wie ein Bauer im Traktor an seinem Fenster vorbeituckere, sagt Ozoilo. Für den Ausgang in die Stadt oder gar Rei-sen fehlt den Asylbewerbern das Geld. 440 Franken bekommt Ozoilo im Monat von Bund und Gemeinde; das verbrauche er jeweils fürs Essen und fürs Telefonieren, sagt er. «Was soziale Kontakte anbetrifft, ist die Lage an der Hohrütistrasse zugegebenermassen wenig vorteilhaft», sagt Roman Della Rossa. Er ist Sprecher der Privatfirma ORS Service AG, die mit der Betreuung der Heimbewohner beauftragt wurde. Andererseits habe die Abschottung aber auch ihre Vorteile: «Es gibt hier keine Nachbarn, die sich daran stören könnten, wenn es mal lauter würde.» Ozoilo erinnert sich noch gut an jenen Tag, an dem er die Schweizer Grenze überquerte. «Inter Mailand spielte am Abend gegen Bayern im Champions- League-Final», erzählt der bullige Westafrikaner. Vorher habe er drei Monate im Norden von Italien verbracht, bevor er sich entschieden habe, in die Schweiz zu kommen. «Man hat mir gesagt, hier gebe es Arbeit für mich», sagt Ozoilo. Die Schweiz sei ihm kaum bekannt gewesen, konkrete Vorstellungen des Landes habe er nicht gehabt. Nach seinem Grenzübertritt wurde Ozoilo mit der routinierten Maschinerie des helvetischen Asylwesens bekannt gemacht: Registrierung, Gesundheits-check, Fingerabdrücke, die Einteilung in den Kanton Zürich, die Überführung nach Küsnacht. Kontingente ausgelagert Jede Zürcher Gemeinde ist verpflichtet, ein Kontingent an Asylbewerbern zu übernehmen. Die Grösse des Kontingents hängt dabei von der Einwohnerzahl der Gemeinde ab. Vor der Miete des Bauernhofs hat die Gemeinde Küsnacht längere Zeit einen Teil der ihr zugewiesenen Asylbewerber gegen Geld in andere Orte umplatziert, weil der benötigte Wohnraum nicht vorhanden war. «Es ist für jede Gemeinde schwierig, Wohnraum zu beschaffen», sagt Roman Della Rossa, «an der Goldküste ist die Lage natürlich ganz besonders prekär.» Jérome Ozoilo hat in den letzten Wochen ganz zufrieden gelebt, Unterkunft und Betreuung gefallen ihm gut – zumal im Vergleich zu seinen früheren Aufenthaltsorten. Nur zögernd spricht Ozoilo von der Odyssee, die hinter ihm liegt. Nachdem er vor Stammesunruhen aus seinem Heimatland geflohen sei («es ging um Land»), habe er vier Jahre in Libyen verbracht. Dort habe er sich mit Gelegenheitsarbeiten durchgeschlagen, doch mehrmals sei er rassistischen Übergriffen seitens libyscher Polizisten ausgesetzt gewesen, erinnert sich der Mann aus Nigeria. «Für mich war klar: Ich musste in ein Land fliehen, in dem ich sicher bin und in welchem die Menschenrechte gelten.» 2009 gelang Ozoilo die Überfahrt nach Sizilien, die nächsten Stationen waren Foggia, Rom, Mailand, schliesslich Oerlikon und Küsnacht. «Ein aussichtsloses Gesuch» Doch nun ist der Traum jäh geplatzt, Ozoilos Asylgesuch ist abgelehnt worden. Jérome Ozoilo wird nach Italien, wo er zum ersten Mal registriert wurde, zurückgeschafft. So sieht es das Dublin-Abkommen vor, dem die Schweizer 2005 zugestimmt haben. «Ich wäre sehr gerne hier geblieben», bedauert Ozoilo. Die Menschen hier seien freundlich, er habe sich jederzeit fair behandelt gefühlt. Und er hätte jeden Job angenommen, sagt er. «Man kann davon ausgehen, dass sein Asylgesuch von Anfang an aussichtslos gewesen ist», konstatiert Roman Della Rossa nüchtern. Ozoilo sei ein typischer «Dubliner Fall»: Wer in Italien als Flüchtling abgewiesen werde, habe auch in der Schweiz kaum eine Chance. Ausserdem gelte Nigeria als ein Land, in das in der Regel ohne Prüfung rückgeschafft werde, im Gegensatz zu kriegsversehrten Regionen wie Somalia oder Eritrea. Warten auf die Ausschaffung Ozoilo habe wahrscheinlich selber von Anfang an gewusst, dass sein Gesuch ohne realistische Aussicht auf Erfolg war, vermutet Della Rossa. Wie so viele Bewerber habe wohl auch er gehofft, ein Spezialfall zu sein und von einer der wenigen Lücken im Dubliner Vertrag profitieren zu können. «Die Polizei kann mich nun jederzeit holen», sagt Jérome Ozoilo und bietet den Gästen seelenruhig seine Pommes an. Bald geht es für den Nigerianer zurück nach Foggia, danach womöglich zurück in sein Heimatland – und das bessere Leben rückt für ihn wieder in weite Ferne. Seit August wohnt Jérome Ozoilo im ehemaligen Bauernhof. Foto: Daniel Kellenberger
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