«Ich entscheide, wie es weitergeht»
Jörg Abderhalden, der entthronte König, mag vorerst nicht über seinen Rücktritt sprechen.
Von Urs Huwyler, Frauenfeld Bereits vor dem Schlussgang gegen den Innerschweizer Martin Grab (Rothenburg) stand Kilian Wenger aus dem Diemtigtal am Eidgenössischen in Frauenfeld als Gewinner fest: Er wies 1,75 Punkte Vorsprung auf. Für eine Niederlage wäre ihm die Note 8,5 geschrieben worden. Wenger gewann jedoch auch den achten Gang souverän und liess Spekulationen, ob ihm der Titel bei einer Niederlage überhaupt verliehen würde, gar nicht erst aufkommen. Den Grundstein zum Triumph legte der Zimmermann-Lehrling im fünften Gang mit einem Sieg gegen Titelverteidiger Jörg Abderhalden, womit um 8.56 Uhr dessen zwölfjährige Regentschaft ihren Anfang vom Ende fand. Der neue hatte den alten König ins Sägemehl gelegt. Das Volk feierte den Sturz des Herrschers mit einer Welle. Innerhalb weniger Sekunden stand Jörg Abderhalden wieder auf und gab das Fest im Gegensatz zu fast allen Arena-Besuchern nicht verloren. «Ich bin nochmals herangekommen. Wenig hat für die Schlussgang-Qualifikation gefehlt.» Der dreifache König schwang sich noch bis Rang 2 vor. Wie Kilian Wenger glückte dem Toggenburger 1998 in Bern als Nicht-Eidgenosse der Titelgewinn. Nur Klubkollege Nöldi Forrer (Stein) vermochte 2001 die Serie zu unterbrechen. «Ich darf stolz sein, alles gewonnen zu haben. Auch die eidgenössischen Feste in Unspunnen und Kilchberg und damit den Schwinger-Grand-Slam.» Es gab allerdings Zeiten, als dem Schwiegersohn des vierfachen Eidgenossen Hans Hämmerli die Anti-Abderhalden-Stimmung zu schaffen machte. Auch in Frauenfeld herrschte vom Anschwingen an eine «Wir wollen einen neuen König»-Stimmung. «Das war in Luzern 2004 oder Aarau 2007 nicht anders, gehört wohl dazu», sagte der Schweizer des Jahres von 2007. Die für Abderhalden keineswegs typische, aber emotionale Reaktion nach dem Erfolg über den Berner Metzger Matthias Sempach (Alchenstorf) zeigte, wie gross seine Anspannung war – und dass er die Pfiffe gegen ihn gehört hatte. Selten forderte er in der Vergangenheit das Publikum so direkt zum Mitjubeln auf. Hoffnung dank Grab/Stucki Das Kampfgericht verhinderte schliesslich, dass es im Schlussgang nochmals zum Duell Wenger gegen Abderhalden kam. Martin Grab wurde dem punktgleichen Ostschweizer und auch dem Berner Christian Stucki vorgezogen. Der abtretende König hatte gegen seinen Nachfolger bereits verloren, und Christian Stucki gehört dem gleichen Verband an wie Wenger. Die seltsame Situation mit einem frühzeitig entschiedenen Schlussgang schufen paradoxerweise Grab und Stucki durch ihr Unentschieden im siebten Gang. Sie liessen Jörg Abderhalden bis zum Entscheid am grünen Tisch nochmals hoffen. «Jörg kämpft wie die Deutschen im Fussball. Solange der Match nicht abgepfiffen ist, ist nicht Schluss. Dafür verdient er Hochachtung», urteilten zwei Berner. Dabei liess sein Vermarkter schon vor Wochen durchblicken, Jörg Abderhalden werde nach dem Eidgenössischen zurücktreten. Doch der Toggenburger bleibt sich treu, sagte: «Ich entscheide, wie es weitergeht. Bisher habe ich mich auf Frauenfeld vorbereitet – und nicht auf den Rücktritt.» Die Wahrscheinlichkeit, dass dennoch eine Ära auf der Allmend bei hochsommerlichen Temperaturen und vor 48 000 Zuschauern zu Ende ging, ist gross. Es stand schon einmal fast an: Nach dem Kreuzbandriss auf der Schwägalp 2009 glaubte nur Abderhalden an ein erfolgreiches Comeback. Selbst in der Familie kamen Zweifel auf. Sieg gegen Publikumsliebling Aber er schwang sich mit drei beeindruckenden Kranzfestsiegen erneut in die Favoritenrolle. «Ich habe in den vergangenen Monaten getan, was ich konnte, um vorne mithalten zu können», sagte der dreifache Familienvater. Er verabschiedete sich mit einem sicheren Sieg gegen den Südwestschweizer Publikumsliebling Hans-Peter Pellet (Oberschrot). Der Rekordkranzgewinner (136) wurde in der Thurgau-Arena gefeiert, der entthronte König verliess den Ring fast unbemerkt. «Ich nehme das nicht persönlich. Die Reaktionen sind wohl nicht gegen meine Person, sondern meine Rolle als König gerichtet.» Ein grosser Kämpfer, dem nur Platz 2 blieb: Jörg Abderhalden. Foto: Keystone
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