Ein Goldküsten-Dorf plant den Abschied vom System Ballenberg
Männedorf will die Bauvorgaben für seine Kernzonen lockern. Nicht mehr nur historisierende Häuser sollen erlaubt sein, sondern auch moderne.
Von Marius Huber und Nadja Belviso Männedorf – Es bahnt sich eine kleine Revolution an in Männedorf – so unauffällig, als wollte sie am liebsten gar nicht zur Kenntnis genommen werden. Sie beginnt mit der staubtrockenen Ankündigung einer «Teilrevision der Nutzungsplanung». Doch im Kern geht um eines der emotionalsten Themen, die es an der Goldküste überhaupt gibt: das Dorf – oder was davon übrig ist. Denn obwohl Gemeinden wie Männedorf die magische Grenze von 10 000 Einwohnern bereits geknackt haben und deshalb statistisch gesehen Städte sind, klammern sich viele am dörflichen Erbe fest. Manche würden vielleicht sagen: gerade deshalb. Baulich kommt diese Haltung im Schutz der sogenannten Kernzonen zum Ausdruck: Entsprechend streng sind die Regeln, was dort gebaut werden darf. Nämlich: Häuser, die so aussehen, als stammten sie aus einer längst vergangenen Zeit. Und genau diese Regeln will der Männedörfler Gemeinderat nun lockern. Mehr Klarheit für Bauherren Eine «neue Philosophie» soll laut einem internen Bericht frischen Wind in die Kernzonen bringen. Statt auf drei Stellen hinter dem Komma genau zu messen, ob ein Gebäude ins Ortsbild passt, soll künftig der Gemeinderat seine Entscheide auf einen breiteren Expertenkreis aus ETH- und SIA-Fachkräften abstützen. Der Grund: Die bisherige Haltung des Bewahrens sei unnötig starr und veraltet. Manche der geltenden Vorgaben seien zudem derart unpräzise formuliert, dass sie für die Bauherren schlicht nicht nachvollziehbar seien, ergänzt Peter Suhner, Leiter der Bauabteilung. Was die neue Praxis bedeuten könnte, umreisst Suhner so: «Es wäre nicht mehr nur historisierende Architektur möglich, sondern auch zeitgenössische, vielleicht sogar visionäre.» Das Ausmass dieses Paradigmenwechsels lässt sich erahnen, wenn man einige der alten Regeln mit den neuen vergleicht: Wer zum Beispiel heute ein Gebäude in der Kernzone umbauen oder durch einen Neubau ersetzen will, muss sich bei dessen Gestaltung an bestimmten, das Ortsbild prägenden Bauten in der näheren Umgebung orientieren. Künftig soll es diesen Zwang nicht mehr geben. Besonders viel Spielraum hätten Bauherren auf der Rückseite ihrer Gebäude: Denn beim Ortsbildschutz wird der Akzent neu darauf gelegt, dass der Charakter des nach vorne sichtbaren Strassenraums erhalten bleibt. «Dessen Erscheinungsbild ist wichtiger als das Einzelobjekt», sagt Suhner. Doch auch gegen die Strasse hin wäre künftig deutlich mehr möglich. Ein Beispiel: Heute ist genau definiert, wo die Fassade eines Hauses zu stehen kommen muss, wie sie gestaltet sein soll und wie hoch sie sein darf. Diese starren Regeln werden durch flexiblere ersetzt. Ähnlich sieht es bei der Dachgestaltung aus. Heute sind in Männedorfs Kernzonen Giebeldächer vorgeschrieben, und zwar in «ortsüblicher Neigung, Gestaltung und Materialgebung». Zudem ist definiert, welche Richtung der Dachfirst haben soll. Davon will man nun absehen. Im Ausnahmefall wären künftig sogar Flachdächer möglich – nämlich dann, wenn ein Bauprojekt «besonders gut gestaltet» ist. Ob das der Fall ist, soll im Ermessen von Gemeinderat und ETH-Fachleuten liegen. Von deren ästhetischem Urteil hinge also viel ab. Diskussion in Meilen Deutlich machen dies zwei Pilotstudien. Anhand von fiktiven Fallbildern zeigte sich hier, dass die neuen Regeln nicht pauschal Tür und Tor für moderne Bauten öffnen würden, sondern dass einzelne Projekte differenziert beurteilt würden. So wäre zum Beispiel in der Kernzone Dorf an der Seestrasse als Ersatz für ein Haus in traditioneller Bauweise ein kubisches Gebäude mit Flachdach und Glasfassade durchaus denkbar – wenn es denn gut gestaltet ist. Anderseits wäre es aber nicht erlaubt, einen eingeschossigen Anbau um ein zweites Stockwerk in moderner Bauweise zu ergänzen. Der Grund: Die traditionelle Erscheinung des Strassenraums mit seinen ein- und mehrstöckigen Gebäuden würde sonst verwischt. Die Verantwortlichen sind zwar der Ansicht, dass pseudohistorische Bauten, errichtet in unpassenden modernen Materialien und Bautechniken, keine überzeugenden Lösungen mehr sind. Sie sind sich aber auch offensichtlich bewusst, dass die Modernisierung der Kernzonen ein sensibles Thema ist, das man behutsam anpacken muss. In Meilen hat nur schon ein einziges zeitgenössisches Gebäude, der rote Kubus in der pittoresken Kirchgasse, für Unruhe gesorgt – woraus wiederum die SVP mit einer Giebeldach-Debatte politisches Kapital zu schlagen versuchte. Es geht den Planungsexperten nicht um eine einseitige Lockerung der Regeln. Bei bestimmten «Schlüsselarealen» soll im Gegenteil künftig eine höhere bauliche Qualität eingefordert werden. Gestaltungspläne werden dort Pflicht. Und an jenen Häusern, die im Inventar der kulturhistorischen Objekte verzeichnet sind, wird nicht gerüttelt. Wer ein solches renovieren oder umbauen will, bleibt verpflichtet, die wesentlichen gestalterischen Elemente des Altbaus zu übernehmen. Die Vorlage soll im Juni 2011 vor die Gemeindeversammlung kommen. Studienobjekt an der Seestrasse: Auch Flachdachbauten von hoher architektonischer Qualität könnten künftig zugelassen werden.Foto und Montage: Daniel Christoffel
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