Die orange Plakatflut
Gute Nachtgeschichten Alex Flach Unter Guerilla-Marketing versteht man das Erzielen einer grossen Werbewirkung mittels ungewöhnlicher Einfälle und Methoden. Das Ganze soll zudem so wenig wie möglich kosten. Da es den Marketingverantwortlichen von Schweizer Firmen jedoch meist am Mut zu innovativen Ideen mangelt und viele einschlägige PR- und Marketingagenturen nicht den Willen zu wahrer kreativer Grösse aufbringen, beschränkt sich das Guerilla-Marketing hierzulande praktisch ausschliesslich auf den masslosen Einsatz lästiger Streetpromo-Teams, das Verteilen und Auflegen von Flyern und das Aufhängen von Wildplakaten. In der Disziplin «Flyer und Wildplakate» hat es das Nachtleben zur unangefochtenen Meisterschaft gebracht. Nicht nur was die gigantische Masse an eingesetztem Druckmaterial betrifft, auch Grösse und Engmaschigkeit des Verteilernetzes sowie Einfallsreichtum bezüglich Einsatzmöglichkeiten sind beeindruckend: Scheinbar zufällig auf dem Trottoir liegende Flyer sind dort stets in voller Absicht fallen gelassen worden. Selbst an Bergstrassen im Prättigau, die täglich von maximal fünf Fahrzeugen befahren werden, kleben an Bäumen Wildplakate des Winterthurer Partylabels Kingshouse. Dann und wann stoppen Party-Promotoren schon einmal auf der Autobahn, um eine Strassenlaterne auf dem Mittelstreifen mit den Ankündigungen ihrer Events zu verschönern. Polizeiliche Bussen sind bei solchen Aktionen einkalkuliert, werden in der Regel ohne Murren bezahlt und unter «Gästeakquisition» verbucht. Seit einiger Zeit verursacht diesen professionellen Spamern jedoch Konkurrenz aus dem Ausland Kopfzerbrechen: Sie mussten sich auf eigenem Terrain von einem Deutschen übertrumpfen lassen, dem Besitzer einer Eventfirma in Tschechien, der den wohl bei Otto Waalkes entlehnten Namen Harry Hirsch trägt. Dieser Mann pflastert derzeit das Land mit Plakaten für seine Ü-30-Partys im Zürcher Volkshaus zu. Kaum einer, dem diese Plakate mit schwarzer Schrift auf leuchtend orangefarbenem Grund nicht bereits aufgefallen wären und kaum einer, der sich nicht über sie ärgert. Mittlerweile greifen aufgebrachte Bürger zur Selbstjustiz, reissen die illegalen Plakate herunter oder machen mit schwarzer Farbe zumindest das Datum des beworbenen Anlasses unkenntlich. In deutschen Städten wie Bonn, Lüdenscheid und Arnsberg tritt Harry Hirsch seit einigen Jahren immer wieder strafrechtlich in Erscheinung, und zwar ebenfalls aufgrund exzessiven Plakatierens an unerlaubten Orten. Dabei handelt sich beim Corpus Delicti meist um orange-schwarze Wildplakate für Ü-30-Partys. Neben einem angekratzten Ego haben die entthronten Schweizer Flyer- und Wildplakatkönige offenbar noch mit einem weiteren negativen Harry-Hirsch-Effekt zu kämpfen: Die Gangart der Polizei gegenüber Wildplakatierern ist deutlich härter geworden. Wo die Polizei früher oftmals ein Auge zudrückte, verhängt sie heute konsequent Bussen. Irritierend, dass eine Institution wie das Volkshaus einen rücksichtslos aggressiven Veranstalter wie Harry Hirsch gewähren lässt und dass es dafür gar einen Imageschaden riskiert.
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