Annakins Märchenwelt
Im aktuellen Videoclip erinnert Sängerin Ann Kathrin Lüthi alias Annakin an ein entrücktes Feenwesen, ihr neues Album hat ein Magier mitproduziert. Wie es dazu kam? Eine kleine Hintergrundgeschichte.
Von Thomas Wyss Annakin, sagte jüngst einer nach dem fünften Bier, dieser Name erinnere ihn irgendwie an die «Star Wars»-Filme. Obwohl die Aussage als belustigender Stuss gedacht war, macht sie partiell Sinn – letztlich gehts nämlich hier wie dort um eine eigenwillige Umsetzung von Fantasien. Aber halt, da sind wir schon viel zu nah am Epizentrum der Story, spulen wir doch zuerst zurück an den Anfang. Nachdem Ann Kathrin Lüthi alias Annakin 2007 ihr Solodebüt «Falling Into Place» veröffentlicht hatte, sagte sie, dieses Album sei auch eine persönliche Aufarbeitung der Trennung ihrer vormaligen Band Swandive (trug sie deshalb auf dem CD-Cover ein rabenschwarzes Kleid?). Das war der Musik anzuhören, man glaubte, viele Songs so oder ähnlich schon mal im Ohr gehabt zu haben. «Torch Songs», der Nachfolger, im Januar 2009 erschienen, war dann dem Suchen und Finden des eigenen und authentischen Sounds gewidmet (auf dem Album-Foto posierte Annakin nun in jungfräulichem Blütenweiss, wirkte wie eine wach geküsste Prinzessin). Das gelang. Die Synthesizer, Sequenzer und Rhythmusmaschinen wurden durch erdige Gitarren und Drums befeuert; bei den verblüffend kantigen Livegigs war die adrette Chanteuse von einer interpretationsfreudigen Combo umzingelt, die vom bekannten Singer-Songwriter Adrian Weyermann angeführt wurde. «Eierlikör verdünnt»? Weil die Symboldeutung zweimal geklappt hat, kann man natürlich nicht widerstehen. Kaum liegt Annakins dritter Longplayer «Icarus Heart» auf dem Pult, starrt man aufs Kleid. Diesmal ist sie in dezent «schmutziges» Weiss gehüllt (ein Connaisseur würde den Farbton vielleicht als «Eierlikör verdünnt» bezeichnen, der Schreiber ist in Modedingen leider nicht so up to date). Konsequenterweise müssten also auch die Pop-Arrangements «meh Dräck» mitschleppen, wie es der esoterische Altrocker aus dem Solothurnischen einst so populär formulierte. Das ist tatsächlich der Fall – allerdings etwas anders, als mans wohl erwartet hätte (siehe CD-Besprechung). Um Annakins Geheimcode endlich zu knacken, muss ein Rendezvous her. So verabredet man sich zum Morgenkaffee – und kommt stante pede zum «right stuff», genauer: zum Stoff. Die Kleider stechen nämlich auch im aktuellen Videoclip «The Trooper» ins Auge. Einem entrückten Feenwesen gleich hüpft und tanzt die Mittdreissigerin durch schwarzen Sand, eisverhangene Buchten oder über mattgrüne Hügel. Einmal trägt sie dazu einen Fallschirm, dann eine sexy Militäruniform, ein blaues Tutu, schliesslich ein bonbonrotes Seidengewand. Das hilfreiche Netzwerk Das sieht – wortwörtlich – zauberhaft aus. Wie aber ist es zu deuten? Sie lacht. «Wie immer man möchte. Mich interessiert in erster Linie die besondere Ästhetik.» Dann erzählt sie, das gute Netzwerk ihres Gatten Christian Ammann, eines international tätigen Modefotografen, habe enorm geholfen; sei es bei den Kostümen (die meisten wurden von irischen Designern gefertigt), beim Styling oder bei den Schauplätzen. «Manchmal kam ich mir wirklich beinahe vor wie in einer Märchenwelt . . . vielleicht auch, weil wir den neuen Clip und die Fotos in Island realisierten, wo Trolle und Elfen ja bis heute zur Alltagskultur gehören.» Eine Stunde später, in der Annakin vor allem über die Produktion der neuen Songs berichtet hat, ist klar, wie gut der Begriff «Märchenwelt» zur neuen Platte passt. Die Geschichte beginnt im Februar 2010. Annakin hatte entschieden, fürs dritte Album auf dem organischen und rockigeren Sound aufzubauen, den sie mit der Band auf der letzten Tournee entwickelt hatte. So kam sie zum Schluss, ein paar Songs von einem neuen Produzenten arrangieren zu lassen. Der Plan hatte jedoch einen heiklen Aspekt: Wie würde der bisherige Produzent Jono Buchanan reagieren, der die ersten zwei CDs betreut hatte und mit dem Annakin die restlichen Lieder von «Icarus Heart» einspielen wollte? Nun: Er reagierte britisch cool und professionell; freute sich über die spezielle Herausforderung, fühlte sich geehrt, neben einem solchen «Crack» präsent zu sein. Crack? Genau. Bei der Suche nach dem passenden Kapellmeister hatte die Zürcherin die Idee, ihre Lieblingsscheiben durchzugehen. Dabei stiess sie immer wieder auf den Namen 140 db. Das ist ein englisches Produzentenlabel, das mit dem unbescheidenen Slogan «Home of the worlds best record producers» wirbt. Nun, Danger Mouse oder Rick Rubin sind dort nicht angestellt. Aber mit Flood, Danton Supple, Alan Moulder oder Ben Hilier verfügt 140 db wahrhaftig über ein Starensemble; nicht umsonst haben Coldplay, Placebo, New Order, Soulwax, The Fratellis, Blur, PJ Harvey oder KT Tunstall dem Londoner Label ihre Songs anvertraut. Begegnung mit den White Lies Annakin sandte drei Demostücke ins Königreich – und hörte wochenlang nichts. Rief an, wurde vertröstet. Als es vom Zeitplan her eng wurde, entschied sie, einen letzten Anruf zu machen und es sonst bleiben zu lassen. Dann ging plötzlich alles ganz rasch. Dimitri Tikovoï, einer der Aufsteiger bei 140 db (er produzierte das Placebo-Album «Meds») hatte an ihrer Musik gefallen gefunden. Schon wenige Tage später stand sie mit ihm im Studio – und war verzückt. Verzückt über die sensible Seite des äusserlich toughen Kerls. Verzückt über die kindliche Verspieltheit und Detailliebe, mit der Tikovoï ihre Rohfassungen modellierte, bis sie einen eigenständigen Charakter besassen. Verzückt auch, wie sie, eine international bescheiden bekannte Künstlerin, vom Soundmagier respektiert wurde, seine musikalischen Ideen auch mal infrage stellen konnte.Hinzu kamen unvergessliche Gespräche auf dem Studiogelände; mit Flood, dem wilden Haufen von Asian Dub Foundation, der Hipsterband White Lies, die ihre neue Platte ebenfalls bei 140 db veredeln liess. Fürs letztjährige Zürcher White-Lies-Konzert hatte Annakin als bekennender Fan ein Ticket gekauft, der Gig wurde zweimal verschoben. Nun erscheinen beide Alben innerhalb einer Woche; in ersten Kritiken wurde «Icarus Heart» besser bewertet. Märchenhaft. Dazu passt die Replik, die der eingangs zitierte Biertrinker auf sein «Star Wars»-Statement bekam. Sein Gegenüber sagte nämlich: «Für mich klingt Annakin eher ein bisschen nach Star.» Konzerte: 16. März Albani Music Club, Winterthur. 13. April, Plaza Club, Zürich. Ein kleiner Sprung für Annakin, ein grosser für die Musikwelt? Ihr neues Album «Icarus Heart» kommt heute in die Läden.Foto: Christian Ammann (Photographer.ch)
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