Leser auf ReisenZu Besuch bei Bären und Weisskopfseeadlern
Kurt Bissig (75) aus Düdingen hat den Yukon bereist. Die eindrücklichen Tierbeobachtungen begleiten ihn bis heute.
Die ursprüngliche und wilde Natur im Nordwesten Kanadas hat mich schon als Kind fasziniert. Begeistert von den Erlebnissen, wie sie Jack London in seinen Abenteuerbüchern beschreibt, habe ich 2010 während dreier und 2011 während zweier Monate mit einem Auto den Yukon und Alaska bereist. Mein Ziel waren vor allem Tier- und Naturbeobachtungen.
Die Reise begann im Juni 2010 in der Stadt Whitehorse im kanadischen Yukon-Territorium. Bei meinem gemieteten Subaru war die Frontscheibe gespalten. In der Garage erklärte man mir, dass dies bei den hiesigen Strassenverhältnissen kaum zu vermeiden sei und daher nicht für jeden Mieter eine neue Frontscheibe eingesetzt werde. Da wurde mir einmal mehr bewusst, was mich auf diesem Abenteuer durch die Wildnis so alles erwarten könnte.
Die ersten zwei Tage in Whitehorse hatte ich mich im River View Hotel einquartiert. Danach konnte ich mit meinem Auto zum ersten Zeltplatz fahren. Es blieb mir somit genug Zeit, die Stadt zu erkunden, einen Spaziergang am Yukon River zu machen und die SS Klondike, einen alten Heckraddampfer, der noch bis Mitte des vergangenen Jahrhunderts den Yukon befahren hatte, zu besuchen.
Über den majestätisch dahinfliegenden Weisskopfseeadler habe ich viel gelesen. Er ist einer der mächtigsten Raubvögel und ich wollte ihn unbedingt selber beobachten. Der Zufall wollte es, dass ich die Gelegenheit hatte, mitzuerleben, wie zwei Junge flügge wurden. Die Mutter hatte sich dabei auf einem Felsvorsprung niedergelassen und beobachtete ihre schreienden Jungen zwei Tage lang, bis diese schlussendlich aus ihrem Nest flogen. Dieser Trennungsmoment war eine eindrückliche Beobachtung.
Auf Nebenstrassen mitten durch die Natur
Nachdem ich das Nötigste wie Benzinkanister, Kochgeschirr, luftdichte Plastikboxen, bärensichere Verpflegungsbehälter und Proviant eingekauft hatte, fuhr ich am dritten Tag frühmorgens los ins 170 Kilometer entfernte Atlin. Ich wählte Nebenstrassen, um mitten in der Natur zu sein. Ich fuhr bis Jake’s Corner auf dem Alaska Highway und von dort bis Atlin auf der Atlin Road.
Ab und zu legte ich einen Halt ein, setzte mich ans Ufer des Atlin River, beobachtete die Weisskopfseeadler und die Enten, die nach kleinen Fischen und Pflanzen tauchten. Auch entdeckte ich eine Elchkuh mit ihrem Kalb.
Gegen Abend erreichte ich die Stadt. Sie war anders, als ich sie mir vorgestellt hatte. Düster und die Gebäude in verschiedenen Stadien des Verfalls. Es waren kaum Leute unterwegs. Hunde bellten und ich fühlte mich als einziger Tourist nicht willkommen. Es gab weder ein Motel noch einen Campingplatz. Eine Geisterstadt wie nach den Goldrauschzeiten, so kam sie mir vor. Nach diesen Eindrücken und angesichts der schlechten Strassen entschied ich mich dann für eine Änderung des Programms. Ich fuhr zurück nach Whitehorse, räumte mir aber mehr Zeit ein, um unterwegs mehr von den Naturschönheiten mitzubekommen.
Ein junger Rotfuchs kreuzte meinen Weg. Seine Mutter lag am Strassenrand im Gras und beobachtete ihre Jungen. Ich begegnete heulenden Kojoten, Erdhörnchen, die ihre Kolonie durch Pfeifen warnten, nachdem sie mich gesehen hatten. Streifenhörnchen, die jede Gelegenheit nutzten, meine Servietten auf dem Tisch zu zerreissen, um die Fetzen auf einen Baum zu transportieren.
Ich wusste nach all den vielen Tieren, die ich gesehen hatte: Das ist der Platz, wo ich mein Zelt aufschlagen will. Die Nacht war eher ruhig. Die Geräusche, welche ich im Halbschlaf wahrnahm, konnten meinem Schlaf nichts anhaben.
Erste Begegnung mit einem Bären
Anderntags bei Sonne und wolkenlosem Himmel fuhr ich auf derselben sehr unebenen, schlammigen Naturstrasse weiter. Es war sehr anstrengend und erforderte meine volle Aufmerksamkeit. Durch die lädierte Frontscheibe war meine Sicht eingeschränkt. Nur selten kreuzte mich ein anderes Auto. Am Rande einer Baustelle legte ich wieder eine Pause ein, um mich bei halb offenem Fenster etwas zu erholen. Plötzlich hörte ich ein Geräusch und entdeckte ganz in der Nähe einen Schwarzbären. Es war der erste Bär, den ich hier oben zu Gesicht bekam. Auf diesen Augenblick hatte ich mich seit langem gefreut. Müde und sehr beeindruckt von den Naturschönheiten auf meiner Reise kam ich abends in Whitehorse an.

Tags darauf fuhr ich nach Watson Lake, das 470 Kilometer entfernt war. Kaum hatte ich die Brücke des Teslin River hinter mir, begegnete ich zwei Grizzlys am Strassenrand. Dunkle Wolken liessen mich nichts Gutes erahnen und so beschloss ich, mein Zelt noch bei Trockenheit aufzustellen. Der weiche Moosboden im Wald war wunderbar geeignet, um gut zu schlafen. Nachdem ich mein Zelt aufgestellt hatte, spazierte ich trotz dem nahenden schlechten Wetter noch in der Gegend herum. Ich traf auf einen Mann, der mitten in der Wildnis dabei war, eine Blockhütte zu bauen. Wir kamen ins Gespräch und ich konnte ihm zwei Tage beim Bauen helfen.
Die zwei folgenden Nächte schlief ich in meinem Zelt, das ich neben dem Bauplatz aufgestellt hatte. Müde von der ungewohnten Arbeit konnte ich gut schlafen.

Am Morgen, nach dem Aufwachen, beobachtete ich das Treiben der Biber bei der Biberburg am nahen Flussufer. Danach machte ich mich auf, weiter Richtung Watson Lake zu fahren. Kurz vor Watson Lake lenkten mich verschiedene Hinweise in den dichten Wald. Beim Näherkommen erkannte ich weisse Holzkreuze zwischen dem Grün der Bäume. Durch dickes Gestrüpp und bunte Blumen stampfte ich einen kleinen Pfad hoch, der hinauf zu einem indianischen Friedhof führte. Dort angekommen, wollte ich einzelne Aufnahmen der wunderbar geschmückten Gräber machen. Da tauchte ein Indianer auf, der mich bat, die Bilder zu löschen, da aus Respekt vor den Toten keine Fotos der Gräber gemacht werden dürfen. Er lud mich ein, sein Atelier zu besuchen, wo er Totempfähle, Masken, Silberarbeiten und die ornamentalen Chilkat-Decken herstellt. Zurück beim Auto fuhr ich nach Watson Lake.
Tausende Schilder in Watson Lake
Beeindruckend und berühmt in Watson Lake ist die bunte Sammlung von Schildern aus den verschiedensten Materialien. Die Anzahl Schilder, so erfuhr ich, soll damals bis auf 60’000 angewachsen sein.

Die Nacht habe ich im Auto verbracht, da ich sehr müde war von den letzten Tagen. Auf der 470 km langen asphaltierten Strasse bin ich ohne grossen Zeitverlust nach Whitehorse zurückgefahren. In Whitehorse blieb ich wieder zwei Nächte in meinem Zelt auf dem «Robert W. Service»-Platz. Ich kaufte Proviant ein und fuhr dann nach Dawson City. Die Fahrt mit mehreren Unterbrüchen dauerte ungefähr acht Stunden.

Unterwegs auf den schwierigen Strassen entlang des Yukon River machte ich immer wieder Tierbeobachtungen. Ich sah Weisskopfseeadler, Elche und einmal am Strassenrand im Gras liegend einen Luchs. Auch Grizzlybären traf ich und konnte sie aus naher Distanz fotografieren.
Auf meiner Reise schützte ich mich im Zelt nie gegen die Bären. Bei einem allfälligen Angriff hat man wenig Chancen, ausser man hat einen Elektrozaun um das Zelt eingerichtet. Auch ein Pfefferspray kann problematisch sein. Wichtig ist, dass alles Essbare an einem Baum hochgezogen oder, wie in meinem Fall, auch gut verschlossen im Auto gelagert wird.
In der Stadt der Goldgräber
Mit Zuversicht suchte ich in Dawson City einen geeigneten Schlafplatz. Als ich in einem Waldstück mein Zelt aufstellen wollte, versperrte mir ein Schwarzbär den Weg. Langsam zog ich mich zurück, worauf er mich in Ruhe liess und verschwand. Am Morgen strahlte die Sonne vom wolkenlosen Himmel, somit hatte ich die beste Gelegenheit, Dawson City zu besichtigen. Was mich vor allem interessierte, waren die Überbleibsel der Goldrauschzeit. Diese zeigten sich an den Fassaden im Wildwest-Stil und den hölzernen Bürgersteigen. Das Blockhaus von Jack London, der in seinen Büchern die Goldrauschzeit so eindrücklich beschrieb, muss man in dieser Stadt ebenfalls gesehen haben.
Von Dawson City aus fuhr ich weiter Richtung Demster Highway, Richtung Inuvik, der nördlichsten Stadt am Polarkreis in dieser Gegend. Die Landschaft wurde immer karger, es waren kaum noch Tiere zu sehen. Nur einmal traf ich auf einen Wolf am Strassenrand. Ein Grizzly umkreiste mein Auto, als ich angehalten hatte, und da er nichts Essbares riechen konnte, interessierte er sich nicht mehr für mich und mein Fahrzeug.
Kurz vor dem Ziel kreuzte mich ein Auto mit einem Touristen. Wir stoppten und unterhielten uns. Er riet mir davon ab, nach Inuvik zu fahren, mit der Begründung, dass Touristen nicht wirklich willkommen seien. So entschloss ich mich, umzukehren und die rund 650 Kilometer lange Strecke zurück nach Whitehorse zu fahren. Zwei Tage war ich unterwegs. Die Landschaft wechselte von karg zu üppig grüner Wildnis. Zurück in Whitehorse übergab ich das Auto wieder dem Garagisten, die Frontscheibe hatte standgehalten und keine weiteren Risse abgekriegt.
Nach fast zwei Monaten in der Gegend des Yukon reiste ich nun weiter nach Alaska, wo wiederum viele eindrückliche Erlebnisse auf mich warteten.
Leser Kurt Bissig, Düdingen
Fehler gefunden?Jetzt melden.