Zivildienstler auf der Suche nach Kunst
Vier Zivildienstleistende schreiten momentan jede Strasse und jeden Wald der Stadt ab. Sie sind auf der Suche nach Kunstwerken – Bern will ein Inventar der Kunst im öffentlichen Raum erstellen.
«Suchen Sie etwas?», fragen die Leute oft. Sie wundern sich, warum zwei junge Männer, einer gross, einer klein, mit Block und iPad bewaffnet, vor ihrem Wohnhaus herumstreifen. Sie wissen nicht, dass die beiden jungen Männer arbeiten.
Sie sind zwei von vier Zivildienstleistenden, die momentan jedes Gässchen, jede Strasse und jeden Winkel von Bern begehen. Sie suchen im Auftrag der Stadt Kunst. Gut zwei Monate sind sie in dieser Mission unterwegs, acht Stunden am Tag, bei Regen und Hitze.
Wobei im Moment doch das Zweite an der Tagesordnung ist. Und so verbrachten sie viele Tage im Wald. Gingen auf und ab, hin- und her, liefen jeden Weg mindestens einmal ab, immer im Schlendertempo.
Die absolvierten Strecken markieren sie auf einer Karte mit Leuchtstift, jeden Weg fotografieren sie mit dem iPad – für die Behörde, die kontrollieren muss, ob die Zivis wirklich arbeiten.
«Man muss aufpassen, dass man das Hirn nicht ganz ausschaltet.»
«Das kann schon monoton werden. Man muss aufpassen, dass man das Hirn nicht ganz ausschaltet», sagt Oliver Schmocker, einer der Zivis. Und weil die kühlen Wälder nun erfasst sind – «wir haben im Gäbelbachwald einen Brunnen und einen verzierten Wegweiser gefunden» – muss das Team die heissen Tage wieder auf den Strassen der Stadt verbringen.
Leider ein Friedhof
Im Moment ist Bümpliz dran. Die Strassen hier heissen Zypressenstrasse, Waldmeisterstrasse oder Olivenweg. Einfamilien- und Mehrfamilienhäuser mit idyllischen Gärten. Pärke sind selten – und Friedhöfe gehören nicht in die Zuständigkeit der Zivis.
Das zeigt sich an diesem heissen Morgen, als die beiden durch ein Gartentor spähen und dort eine interessante Frauenfigur aus Gusseisen erspähen. Sie ist in gutem Zustand, die beiden Zivis beäugen sie. «Schang Hutter», entziffern sie die berühmte Unterschrift hinten an der Figur.
Doch die Figur steht auf dem Bümplizer Friedhof. Auf Friedhöfen gibt es zwar Kunst zuhauf, doch leider sind sie Chefsache. Sie werden von der Projektleitung erfasst. Die beiden Zivis ziehen weiter. Natürlich steht auch in den Bümplizer Gärten mal ein geschweisster Vogel oder eine Holzfigur und ist von der Strasse aus gut sichtbar – aber ob das gleich Kunst im öffentlichen Raum ist?
Schmocker und sein Gehkollege Alexander Jahn wissen es auch nicht genau. Sie haben zu Beginn ihres Einsatzes eine zweitägige Einführung bekommen. Das Projektteam, das aus Martin Möll, Konrad Tobler und Renée Magaña besteht, hat ihnen erläutert, wie man Kunst im öffentlichen Raum erkennt und erfasst.
Sie mussten Übungen machen, im Kirchenfeld unter Aufsicht bewerten, ob eine Bemalung am Haus Kunst ist oder eben Verzierung. Schmocker, Mediamatiker aus Bern, und Jahn, Jusstudent aus Herzogenbuchsee, haben keine kunsthistorische Vorbildung.
«Ein Kunsthistoriker wäre voreingenommen und würde werten, die Zivis haben einen neutralen Blick.»
Das findet Projektleiterin Renée Magaña gut: «Ein Kunsthistoriker wäre voreingenommen und würde werten, die Zivis haben einen neutralen Blick», sagt sie. Und natürlich ist es auch eine Kostenfrage. Die 640 nötigen Arbeitsstunden für die Begehung würden jedes Kostendach sprengen.
Die Gehpläne, nach denen sich die Zivis richten, stammen von Martin Möll. Der Künstler hat während eines Stipendienaufenthalts vor zehn Jahren ganz Paris begangen, später setzte er sich mit dieser Systematik in Bern auseinander.
Er hat den Zivis bei der Einführung erklärt, dass sie besser 20 statt 35 Kilometer am Tag gehen und dafür die Umgebung gründlicher anschauen.
Seither schlendern Oliver Schmocker und Alexander Jahn nur noch. Damit sie zum Beispiel ein geschweisstes Kunstwerk im Garten entdecken, so wie jetzt. Sie erfassen die kugelförmige Eisenskulptur.
Die Inventarisierung an sich ist ganz einfach: Alexander Jahn fotografiert mit dem iPad, das zugleich Geodaten erhebt. Oliver Schmocker füllt derweil von Hand eine Fiche aus. Darauf sind Ort und Geodaten vermerkt, das Objekt erhält einen Namen, und, falls möglich, vermerken Schmocker und Jahn Materialien, Zustand und Künstler.
So gelangen die Informationen ans Projektteam zurück, das in einer späteren Phase die Daten erfasst und nachbearbeitet. Da werden noch einmal Objekte aussortiert, fehlende Angaben ergänzt und in einem weiteren Schritt schliesslich nach ihrer Relevanz sortiert. Später könnte so ein kommentierter Führer mit einer Auswahl von Objekten entstehen.
Erste digitale Erfassung
Es ist die erste Inventarisierung der Kunst im öffentlichen Raum seit 1989. Und die erste digitale. Damit schliesst die Stadt Bern eine Lücke, die anderswo längst nicht mehr besteht. Die Stadt Basel zum Beispiel hat mit der digitalen Inventarisierung der Kunst im öffentlichen Raum schon 2001 begonnen.
Sie pflegt die digitale Kunstdatenbank laufend. Ab diesem Herbst sollen die inventarisierten Kunstwerke auf einer interaktiven Karte für die Verwaltung sichtbar sein. Bis dahin ist es für die Stadt Bern noch ein weiter Weg.
Und für die beiden Zivis auch, sie gehen mindestens bis Mitte Juli weiter.
«Suchen Sie etwas?», fragt eine ältere Frau plötzlich, als sie mit iPad und Notizblock vor einem Garten stehen. «Nein, wir sind im Auftrag der Stadt Bern hier», antworten die beiden routiniert und erklären ihre Mission. Die Frau verschwindet erleichtert im Haus. Die beiden Begeher, einer gross, einer klein, schreiten zum nächsten Haus.
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