Zehn Jahre Bern, dann ab in die Wüste
Ein Jahrzehnt hat Conrad Lambert alias Merz in Bern gelebt. Jetzt veröffentlicht er mit der Dampfzentrale ein neues Album.

Bern ist ein Dorf, sagen manche. Zugleich offenbar ein Ort, um unterzutauchen und sich ungestört der Kunst zu widmen. Der britische Musiker Conrad Lambert alias Merz hat zehn Jahre lang hier gelebt. Nun bringt er gemeinsam mit der Dampfzentrale sein siebtes Album «Dreams of Sleep and Wakes of Sound» heraus. Das Projekt ist ungewöhnlich. Zum einen, weil die Dampfzentrale erstmals ein Album veröffentlicht. Zum anderen, dass einer wie Merz sich überhaupt mit einem lokal verankerten Veranstaltungsort zusammentut. Denn Conrad Lambert ist auf den ganz grossen Bühnen dieser Welt unterwegs.
Bereits Ende der 1990er-Jahren galt er als Star des Britpop. Seine Songs «Many Weathers Apart» und «Lovely Daughter» waren Hits. Er war bei Sony BMG unter Vertrag. Namhafte Musiker loben ihn in den höchsten Tönen. Coldplay-Frontmann Chris Martin und der britische Musiker Jarvis Cocker gehören zu seinen Bewunderern – auch die Musikpresse ist stets begeistert.
Nur Merz war nicht ganz so glücklich. Zu sehr wurde er damals vom Label in die Popmusik-Zwangsjacke gedrängt – sollte für die Masse produzieren. Das war nicht die richtige Umgebung für einen Multiinstrumentalisten, einen Komponisten, der immer tüftelt, immer sucht, der Musik aus Pop, Folk und Elektronik bastelt, Ambient-Klänge mit Songwriterkunst und akustischen Instrumenten kombiniert, ein Künstler, der immer neue Wege gehen will. Merz wandte sich im Jahr 2000 vom Popzirkus ab, kündigte seinen Vertrag mit Sony und ging auf künstlerische Wanderschaft. Zurück meldete er sich erst 2006 wieder mit dem Album «Loveheart», das die Kritik wiederum begeisterte.
Berns Instrumentalisten
Wanderschaft, neue Wege, Rastlosigkeit sind die Schlagwörter, um diesen eigenwilligen Künstler zu fassen. Wegen seiner Frau, einer Journalistin, war er 2009 nach Bern gezogen. Hier mietete er ein Atelier im Progr, arbeitete etwa mit Julian Sartorius zusammen, der auch auf dem 2015 erschienenen «Thinking Like a Mountain» zu hören ist. Inzwischen ist Merz wieder weitergezogen. Gerade lebt er mit seiner Frau in der Mojave-Wüste im Westen der USA und ist deshalb nur schwer zu erreichen.
«In Bern hat mich überrascht, dass Musiker in so vielen verschiedenen Bands spielen. Immer von einem Projekt zum anderen springen.»
Auf E-Mails aber reagierte er umgehend. «An Bern mag ich die Grösse,» schreibt er. «Die Stadt bietet alle Aktivitäten einer Hauptstadt, aber ohne den Stress einer Metropole. Bern ist wie ein grosses pulsierendes Dorf.» Beeindruckt zeigt sich Lambert vom Können der einzelnen Musiker hier. Das habe mit einem wesentlichen Unterschied zwischen der Londoner und Berner Musikszene zu tun.
«In Grossbritannien gründen die Leute eine Band, bleiben ihr treu und versuchen sie zu entwickeln. In Bern hat mich überrascht, dass Musiker in so vielen verschiedenen Bands spielen. Immer von einem Projekt zum anderen springen. Das produziert gute Instrumentalisten. Aber vielleicht etwas weniger sehr gute Bands.»
Aus dem Hamsterrad
Die Zusammenarbeit mit der Dampfzentrale hat mit seiner Haltung gegenüber dem Musikbusiness zu tun. Ab 2017 wurde Merz auf eigenen Wunsch Associated Artist der Dampfzentrale – ein Format, in dem Künstlerinnen und Künstler über zwei Jahre eine enge Zusammenarbeit mit dem Haus eingehen. Neben viel Lob für die künstlerische Ausrichtung der Dampfzentrale begründet er sein Engagement damit, dass er aus dem ewigen «Songwrite-Recording-Release-Promoting-Trubel» ausbrechen wollte.
Zuerst sollte es ein Soloalbum werden mit Gastauftritten des US-amerikanischen Multiinstrumentalisten Shahzad Ismaily. Zu Ismaily, der schon mit Tom Waits oder Laurie Anderson gespielt hat, ist später Laraaji dazugestossen, ein Zitharspieler, Keyboarder und Ambient-Pionier. Gemeinsame Improvisationssessions hat Lambert dann zu einem komplexen Album verarbeitet. «Ich wollte den Tracks mehrere Texturschichten hinzufügen, nicht dicken Sound, sondern Tiefe, konstante Bewegung und fein gefärbte Klangräume.» Industrial Devotional nennt er die Stilrichtung, eine Art hingebungsvolle Musik für das postindustrielle Zeitalter.
Auch von «Dreams of Sleep and Wakes of Sound» ist die Kritik begeistert. Die englische Zeitung «The Guardian» hat es zum Album des Monats erkoren. Am Samstag kann das vielschichtige Werk in der Dampfzentrale gehört werden: bei einer sogenannten «Listening Session». Nur ohne den Künstler. Der hat sich ja selber in die Wüste geschickt.
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