Zarte Schokolade ohne bitteren Nachgeschmack
Originelles aus Schokolade erfinden, und dafür Rohstoffe verwenden, bei denen kein bitterer Nachgeschmack bleibt: Karl Johannes Rechsteiner ist ein Idealist im Schoggigeschäft. Ein Gespräch über seine Liebe zur Schokolade und die eigene Manufaktur in Oberdiessbach.

Noch vor ein paar Jahren zeigte Karl Johannes Rechsteiner das typische Verhalten eines Süchtlings: Lag irgendwo Schokolade herum, entwickelte sich der Heisshunger darauf. Er fand keine Ruhe, bis sie weggeputzt war. Heute hat Rechsteiner das Haus voller Schokolade, die feinsten Sorten, aber er nascht nur wenig davon. «Wenn man sich intensiv mit der Materie befasst, geniesst man anders», sagt er. Man konsumiere weniger, dafür bewusster. Damit meint er nicht nur Extravagantes oder Luxuriöses, auch ein Stück Brot mit Milchschokolade schmecke «saugut».
Dass er selbst Schokoladeproduzent wurde, dafür waren mehrere Faktoren ausschlaggebend: Als Kommunikationsberater von Nichtregierungsorganisationen setzte er sich intensiv mit fairem Handel, Bioproduktion und Entwicklungspolitik auseinander. Punkte, die gerade im Schokoladegeschäft wichtig seien. Denn der weltweite Handel mit Kakao habe einen bitteren Nachgeschmack – Kinderarbeit, Korruption, hungernde Kakaobauern. Zudem interessierte ihn, wie Schokolade produziert wird, wie sie nach Europa kam und wie die Schweiz zum Schokoladeland wurde. Zwar wurde die erste Tafel in England hergestellt, aber die wesentlichen Innovationen für die Milchschokolade seien hier zu Lande passiert, grob gesagt im Einzugsgebiet dieser Zeitung. Das Conchieren wurde hier erfunden, jenes stundenlange Rühren für den zarten Schmelz. Und Pioniere wie Schokoladebaron Theodor Tobler hätten sich als Marketinggenies erwiesen, lange bevor es den Begriff Marketing überhaupt gab.
Mitten in der Region der Schweizer Schoggigeschichte, in Oberdiessbach, stiess Rechsteiner vor einigen Jahren auf eine Liegenschaft: ein Café mit Confiserie, ideal für seine eigenen «Chocoladen». Das Café hat er inzwischen geschlossen. Er konzentriert sich auf das, was ihm am Herzen liegt: Produkte aus Schokolade zu erfinden, die originell sind. Gefertigt aus Rohstoffen, von denen man weiss, wo sie herkommen und unter welchen Bedingungen sie produziert wurden. Rechsteiner bezeichnet sich als Idealist. Er glaubt an seine Ideen – auch dann, wenn ihm andere sagen: «Das verkauft sich doch nicht.» Fachleute hätten nur den Kopf geschüttelt, als er mit einer Trinkschokolade auf den Markt kam: einer Schoggirondelle, in der ein Löffel steckt. Den Unkenrufen zum Trotz laufe das Produkt sehr gut. Wohl auch deswegen, weil die Leute schmunzeln müssen, wenn sie die Aufschrift «Heisser Löffel» lesen.
Woher nimmt er seine Ideen? Das sei unterschiedlich. Manchmal schwebe ihm ein Produkt vor. Schokolade in Heftpflasterform etwa fände er hübsch – erste Hilfe vom Kiosk, wenn man einen Seelentröster braucht. Manchmal lässt er sich inspirieren: Vor Jahren ass er in Ghana eine dunkle Schokolade mit Zitronenaroma; hin und weg sei er gewesen von der herben und erfrischenden Note. So kam die handgeschöpfte Zitronenschokolade ins Sortiment, sie ist im Moment seine liebste. Oder es fehle ihm der Biss oder der Pfeffer bei handelsüblichen Produkten. Deshalb habe er eine extrascharfe Chilischokolade kreiert. Sie brennt heftig nach, man verabreiche sie sich deshalb bloss in Form von dünnen Talern, also in sehr kleinen Dosen.
Manchmal pröbelt Rechsteiner einfach in seiner Küche. Hin und wieder komme tatsächlich etwas Geniessbares dabei heraus – meist nach langen Versuchsreihen unter fachkundiger Anleitung seiner Mitarbeiterin, einer gelernten Confiseurin. Bis beispielsweise eine Kaffeeschokolade nach seinem Gusto gefunden war, wurden bestimmt dreissig Sorten angerührt – dunkle Schoggi, Milchschoggi, weisse Schoggi. Mit Kaffeekonzentrat, mit Instantkaffee, mit grob gemahlenem Kaffee. Nichts mundete so richtig. Schliesslich habe ihn jene Variante überzeugt, die am schlechtesten aussah: eine helle Schokolade mit fein gemahlenen Kaffeekörnchen. «Die Tafel hat leider einen Grauschleier, aber sie schmeckt fantastisch.» Wie Latte macchiato zum Anbeissen. Zurzeit experimentiert Rechsteiner an einer weissen «Chocolami» – einer Schokolade in Wurstform, von der er schon dunkle Varianten anbietet. Aber der Geschmack vermag ihn noch nicht zu überzeugen. «Viel zu süss», sagt er.
Rechsteiners Schokoladegeschäft ist weit davon entfernt zu rentieren. «Wir sind ein Mikrounternehmen mit etwa zwei Stellen und befinden uns noch in der Aufbauphase.» Um im grossen Stil einzusteigen, fehle ihm das Kapital. Er gehe es in kleinen Schritten an: neue Läden finden, die seine Produkte anbieten, einen Webshop einrichten, vielleicht mehr Events anbieten. Schon heute können sich Firmen, Schulklassen oder Vereine bei ihm anmelden – um Schoggi zu produzieren, zum Degustieren oder zum Schlemmen. Unlängst gab es ein Menü für experimentierfreudige Gaumen. Wie im Film «Chocolat» sassen alle an einer Tafel und assen Süsses zu Pikantem, wie es früher üblich war: Schweinebraten mit Kakaokruste, Fischfilet im weissen Schoggifond. Dazu erzählt Rechsteiner Geschichten aus vergangenen Jahrhunderten: von Comtessen etwa, die zu Hofe nicht genug bekommen konnten von der heissen Trinkschokolade – und der Legende nach Babys mit dunklem Teint zur Welt brachten. Seine Leidenschaft, etwas über die zarte Versuchung zu erzählen, sagt Rechsteiner, sei mindestens so gross wie jene, ihr zu erliegen.
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