Nach verrückter SchlussphaseDer YB-Abend voller grosser, kleiner Momente
Bei der Rückkehr der Zuschauer ins Wankdorf zeigen die Young Boys gegen Slovan Bratislava starke 60 Minuten. Dann erhalten sie zwei Tore und kommen nach dem 3:2 nur knapp eine Runde weiter.

Es ist, als hätte jemand den Stecker gezogen. Bei den YB-Spielern, dem Publikum auch, plötzlich ist es im Wankdorf ganz still.
Es sind verrückte Minuten, die sich im Rückspiel der 2. Runde der Qualifikation zur Champions League abspielen. YB führt 3:0, die Affiche scheint entschieden. Wilfried Kanga kommt nach knapp einer Stunde für den starken Jordan Siebatcheu, es ist das Debüt des neuen Stürmers. Und was für eines: Mit seinem ersten Kontakt lenkt er den Ball ins eigene Tor ab.
Vorbei ist es mit der Souveränität bei YB. Slovan greift schon wieder an, und Slovan verkürzt. Ezekiel Henty ist nach einem Querpass im Strafraum völlig frei, er hat keine Mühe, den Angriff mit dem 2:3 zu vollenden. Die YB-Fans konnten ausgiebig jubeln. Jetzt müssen sie zittern.
Der grosse Andrang
Fast wichtiger als die Darbietung ist an diesem Abend das Drumherum. Es ist das erste Heimspiel ohne Zuschauerbeschränkung seit dem 8. Februar 2020, das erste mit würdiger Kulisse, seit das Stadion Wankdorf heisst. Wie ein Neuanfang fühlt es sich an. Obwohl die Normalität längst nicht eingekehrt ist.
Schon zwei Stunden vor Spielbeginn sammeln sich auf dem Quartierplatz vor dem Stadion die Massen. Es herrscht Dichtestress, die Eingänge sind grossräumig umzäunt. Einlass findet nur, wer die GGG-Regel erfüllt (geimpft, getestet, genesen). Das Covid-Zertifikat ist ebenso vonnöten wie Geduld. Aber das spielt keine Rolle – Hauptsache, keine Geisterspiele mehr.
Drinnen füllen sich die Ränge. 4000 Zuschauer sind eineinhalb Stunden vor Anpfiff schon da. In der Luft liegen Vorfreude und Erwartung – fast wie jeweils am ersten Tag des Gurtenfestivals. Als die YB-Goalies 45 Minuten später den Kunstrasen zum Einspielen betreten, wird es ein erstes Mal richtig laut. Und als die restlichen Spieler wenig später folgen, schlägt der Lärmpegel noch stärker aus. Ein stimmungsvoller Abend kündigt sich an.
Als es losgeht, sind 19’564 Zuschauer im Stadion. Für eine Partie in der Europacup-Qualifikation mitten in den Sommerferien eine enorm hohe Zahl. Die Young Boys sind von der Kulisse sichtlich inspiriert. Sie beginnen druckvoll und voller Überzeugung und so ganz anders als vor einer Woche beim 0:0 in Bratislava. Auf der linken Seite prescht Ulisses Garcia nach vorne. Sein Pendant auf der rechten Seite, Silvan Hefti, verfehlt aus der Distanz knapp. YB kennt nur den Modus Angriff. Selbst die Aussenverteidiger stürmen.
YB kann sich für den engagierten Beginn belohnen. Meschack Elia sucht im Strafraum das Dribbling, Slovan-Verteidiger Jurij Medvedev findet keine Antwort. Am Boden liegend, versucht er, seinen Fauxpas mit der Hand auszubügeln. Das Vergehen ist derart offensichtlich, dass sich die Frage nach dem Videoschiedsrichter nicht stellt. Dieser steht so früh in der Qualifikation nicht im Einsatz. Jordan Siebatcheu verwandelt den Penalty eiskalt. Es ist schon das dritte Tor des Stürmers in dieser Saison. Und der perfekte Start für die Young Boys, die weiter powern – bis in die gelb-schwarze Herrlichkeit ein Fehler von Mohamed Camara platzt.
Der YB-Innenverteidiger foult im Strafraum Rafael Ratao derart offensichtlich, dass sich die Frage nach dem VAR erneut nicht stellt. Camaras dürftiger Saisonbeginn setzt sich fort, schon beim 4:3 in Luzern sah er nicht gut aus. Sein Missgeschick bleibt ohne Folgen. Weil YB-Captain David von Ballmoos in der 21. Minute den Penalty Rataos hält. Publikum und Goalie jubeln wie nach einem Treffer, der Stadionsprecher ruft den Namen von Ballmoos’ aus. Der Abend ist voller solcher grosser kleiner Momente.
In diesen Minuten nimmt die Partie Konturen an. Von Ballmoos hält, und auf der Gegenseite erzielt Garcia das 2:0 für YB. Der Linksverteidiger spielt Siebatcheu am Strafraum an, dieser legt ab, Garcias Schuss findet via Pfosten ins Tor. Der formidable Saisonbeginn des 25-Jährigen setzt sich fort. Er ist einer der Gewinner des Trainerwechsels.
In der nächsten Runde trifft YB auf Cluj
2:0 steht es zur Pause. Der verletzte Captain Fabian Lustenberger zeigt sich im Fernsehinterview beeindruckt von der Kulisse. Und YB-CEO Wanja Greuel spricht von einem traumhaften Abend. Aber es fehlen noch 45 Minuten. Sie beginnen wieder wunschgemäss. Michel Aebischer zirkelt einen Freistoss via Pfosten zum 3:0 ins Netz. Sogar die Torumrandungen sind YB an diesem Abend wohlgesinnt.
Umso erstaunlicher, was folgt: Wie YB die Ausgangslage zu verspielen droht. Wie YB Souveränität und manchmal auch die Fassung verliert. Wie YB beim Stand von 3:2 Glück benötigt: Jaba Kankava trifft in der 86. Minute die Lattenunterkante, Vernon De Marco verfehlt knapp.
Das Nachlassen bleibt ungestraft. Die Young Boys ziehen in die 3. Runde ein, wo sie ab nächster Woche auf Cluj treffen. Damit ist klar, dass sie im Herbst mindestens die Gruppenphase der Conference League bestreiten werden. Ein Minimalziel ist erreicht – und die Rückkehr der Zuschauer ein Erfolg.
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