Wurde die Industrie-Legende weggemobbt?
Ray Ozzie, Bill Gates' Nachfolger als Microsoft-Chefentwickler, verlässt das Unternehmen. Branchenbeobachter gehen davon aus, dass Steve Ballmer eine entscheidende Rolle gespielt hat. Aus egoistischen Motiven.
Der 54-jährige, der den Schwenk des Windows-Konzerns zu Internet-Diensten massgeblich mitbestimmte, kündigte überraschend seinen Rückzug an. Solange er noch bei Microsoft sei, werde Ozzie sich um die Aktivitäten des Konzerns im Unterhaltungsbereich kümmern, schrieb Konzernchef Steve Ballmer in einer von Microsoft am Montag (Ortszeit) veröffentlichten E-Mail an die Mitarbeiter.
Der 54-jährige Ozzie hielt seit Juni 2006 den Posten des Chef- Software-Architekten. Er folgte in dem Job direkt auf Microsoft- Gründer Bill Gates. Die Position des Chef-Software-Architekten solle nicht wieder besetzt werden, schrieb Ballmer.
Initiator des Cloud Computings
Mit Ozzies Einfluss wird unter anderem verbunden, dass Microsoft inzwischen massiv auf den Trend zu internetbasierten Anwendungen, das sogenannte Cloud Computing, aufgesprungen ist.
Ozzie hatte vor fünf Jahren den Weg für den Strategiewechsel mit einer später berühmt gewordenen Analyse-Mail bereitet. Dort warnte er unter anderem, dass sich die Computerbranche dramatisch verändere. Web-Dienste gewinnen immer mehr Bedeutung und Microsoft müsse in diese Richtung umdenken.
Konkurrenten wie Google setzten schon damals auf Software und Computerressourcen aus dem Internet, während im Zentrum von Microsofts Welt der PC mit dem Windows-Betriebssystem und darauf installierten Programmen fest verankert war.
Gewichte verschieben sich
Jetzt, fünf Jahre später, macht Microsoft zwar immer noch das meiste Geld mit Windows und seinen Office-Programmen. Aber es gibt eine eigene Cloud-Plattform namens Azure. Und Konzernchef Ballmer reist mit der Botschaft um die Welt, der Wechsel der IT in die Wolke sei nicht mehr aufzuhalten. Inzwischen zeichnet sich ab, dass der Computerbranche ein Umverteilungskampf um die milliardenschweren IT- Budgets der Unternehmen bevorsteht, der die Gewichte in der Branche drastisch verschieben könnte.
Google der nächste Arbeitgeber?
Ozzie kam zu Microsoft 2005 bereits als Industrie-Legende. Er hatte sich unter anderem mit der Entwicklung der Büro-Software Lotus Notes einen Namen gemacht. Um Ozzie an Bord zu holen, kaufte Microsoft seine damalige Firma Groove Networks. Neue Jobpläne habe er nicht, hiess es. Von der Cloud-Philosophie her würde Google am besten zu Ozzie passen, bemerkten gleich mehrere Branchenbeobachter.
Wie beurteilen Experten den Abgang Ozzies? Der Branchendienst Heise.de lobt Ozzie in einem Kommentar in den höchsten Tönen: «Ray Ozzie hatte alles, was Gates in ihm suchte. Weit vorausschauend, fähig, Wichtiges von Dringendem zu trennen, ein Mensch, der Software atmet. Er konnte Microsoft entscheidende Impulse geben. Die Neuausrichtung auf Cloud Services, die Hinwendung zu Open Source, eine freundlichere Kultur.»
Doch Ozzie habe nie über Gates' Autorität verfügt, der Microsoft-Gründer sei eine «überragende Persönlichkeit innerhalb von Microsoft» gewesen. «Ohne Gates im Hintergrund galt Ozzie bei Microsoft nicht viel.» Das Resümee von Heise: «Es gibt keinen zweiten Bill Gates.»
Posten bleibt unbesetzt
Ähnlich urteilt Microsoft-Kenner Wes Miller: «Ray Ozzie ist ein grossartiger Kopf, aber kein Bill», wird Miller im «Seattle Post Intelligencer» zitiert. Andere Branchenbeobachter gehen davon aus, dass Steve Ballmer Ozzie zu diesem Schritt gedrängt hat, um seine Führungsrolle im Milliardenunternehmen Microsoft zu festigen. Ein Indiz dafür, dass diese Vermutung zutrifft, ist, dass Ballmer Ozzies Posten unbesetzt lassen will.
SDA/rek
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