Wo lernt man Dialekt?
ROLAND ZOSSFür den Berndeutsch singenden Kinderliedermacher sind die frühe Kindheit und die in dieser Zeit erlernte Mundart bedroht. Er fordert, dass die Schule etwas dagegen unternimmt.
Früher waren Ihre Lieder in Hochdeutsch, nun singen Sie berndeutsche Kinderlieder. Warum dieser Wechsel, Herr Zoss? Roland Zoss: Ich habe als Liedermacher immer gesagt: Ich singe Hochdeutsch, damit es auch die Romands und die Tessiner verstehen, für den Zusammenhalt der Schweiz. Aus dem Publikum, von Freunden und Kollegen aber hörte ich: Warum singst du nicht in der Muttersprache, in der Mundart kannst du dich doch persönlicher und echter ausdrücken? Mitte der 1990er-Jahre habe ich dann umgeschaltet. Was war der Auslöser? Meine Kinder lernten im Kindergarten Lieder in einem zürich-berndeutschen Dialektgemisch, weil es keine berndeutschen Kinderlieder gab. Da habe ich für jeden Buchstaben ein berndeutsches Tierlied geschrieben, das «Xenegugeli-ABC». Das war die Basis meines Erfolgs. Ich hörte auf, Lehrer zu sein, und lebe nun als Kinderliedermacher. Heute stellen der Bündner Mundartsänger Linard Bardill und ich fest, dass die etwas älteren Kinder zwischen acht und zehn Jahren nicht mehr an unsere Konzerte kommen. Was schliessen Sie daraus? Dass innert sieben Jahren zwei Jahre der Kindheit verloren gegangen sind. Neunjährige hören heute Eminem und Lady Gaga. Kinder werden erwachsen gemacht. Von den Eltern, von der Werbung – und nun von der Schule, die ihnen schon im Kindergarten der Basisstufe Hochdeutsch beibringt. Auf der Unterstufe aber bildet sich das Heimatgefühl, nicht zuletzt über den lokalen Dialekt. Heute überlässt die Schule so etwas Kostbares wie die Mundartentwicklung und die lokale Verwurzelung dem Zufall. Die Mundart hat man nie in der Schule, sondern in der Familie und auf der Strasse gelernt. Die Schule hatte zwar nicht den Auftrag, Mundart zu lehren. Aber die Lehrer sprachen Mundart und waren so Vorbilder. Die Kinder der Italiener lernten die Mundart auch deshalb schnell, weil man sie auch in der Schule sprach. Wenn heute in der Schule vor allem Hochdeutsch gesprochen wird, lernen die Ausländerkinder die Feinheiten der Mundart nicht mehr. Das macht mir Sorge. Nur noch etwa 50 Prozent der Jungen in der Schweiz haben Grosseltern, die Dialekt reden. Sie finden also, nicht Hochdeutsch, sondern Mundart fördere die Integration fremdsprachiger Kinder? An meine Konzerte kommen deutschsprachige, aber keine tamilischen oder serbokroatischen Kinder. Warum? Weil sie keine Beziehung zur Mundart haben und sie nicht richtig verstehen. Wir bringen ihnen in der Schule Hochdeutsch bei, und dann verstehen sie unsere Alltagssprache nicht. Das ist doch ein Witz. Im Alltag geht Mundart auch für Fremdsprachige vor? Als früherer KV-Lehrer weiss ich, dass ein Lehrmeister eher jemanden anstellt, der Mundart spricht. Er muss auch Hochdeutsch können, aber das lernt er ja in der Schule. Übrigens wissen gerade die Deutschen, dass man die Mundart verstehen muss. Sie sagen mir nach Konzerten: Reden Sie nur Mundart, ich verstehe Sie. Andere Ausländergruppen in der Schweiz aber wollen gar nicht Mundart lernen. Sie lernen Hochdeutsch, um das Nötigste zu verstehen. Mit Hochdeutsch reden ist man aber in der Schweiz noch nicht integriert. Plädieren Sie auch deshalb für Mundart in der Schule, weil sie um Ihr Geschäft mit berndeutschen Liedern fürchten? Das Publikum und die Kinder hören meine Lieder gerade, weil sie auf Mundart sind. Würde ich um mein Einkommen fürchten, wäre ich immer noch Lehrer. Aber es stimmt: Mein Einkommen ist rückläufig, weil die CD-Verkäufe zurückgehen und in Bern nur noch die Bernburger Mundartlieder-CDs unterstützen. Eltern und Kinder aber sagen: Zum Glück machen Sie das noch! Sportberichte im Radio und TV-Talksendungen waren früher auf Hochdeutsch, heute sind sie im Dialekt. Wie die sms der Jungen. Ist der Dialekt wirklich bedroht? Diejenigen, die heute berndeutsche SMS schreiben, sind im Kindergarten und in der Schule noch mit Mundart aufgewachsen. Das könnte sich ändern, wenn das Hochdeutsch vordringt und den Dialekt umbiegt. Heute schon sagt man «lebändig» statt «läbig», «Zoff» statt «Krach», «Herusforderig» statt «Useforderig». Die Mundart wandelt sich, ohne gleich zu verschwinden. Ist es nötig und sinnvoll, sie unter Schutz zu stellen wie das Rätoromanische? Sie fordern das. Ich frage einfach: Wo lernt man heute noch die Mundart? Man könnte Mundartlieder staatlich fördern und in der Schule aus Mundartbüchern vorlesen. Der Dialekt wird zwar im Radio gesprochen, aber es gibt dort keine Mundartgeschichten und keine Kinderstunde mehr. Die neue Kindersendung «Zambo» von Radio und TVDRS ist für Acht- bis Dreizehnjährige, die auch schon für die Werbung interessant sind. Vorschulkinder haben da keinen Platz. Wir Mundartsänger haben deshalb bei Radio DRS vorgesprochen. Stiessen Sie auf Verständnis? Ja. Die Radiomacher erklärten, sie würden gerne Radio für kleine Kinder machen, sie hätten dafür aber nicht einmal einen Kulturauftrag der Politik. Ich habe deshalb bei Nationalrat Oskar Freysinger von der SVP vorgesprochen und bei Roland Näf, dem Präsidenten der kantonalbernischen SP. Freysinger empfing mich mit offenen Armen. Die SVP hat ja schon Initiativen gegen Hochdeutsch im Kindergarten lanciert. Der SP-Mann aber fand, Hochdeutsch habe Vorrang. Sie wurden von dem erhört, mit dem Sie politisch das Heu nicht auf der gleichen Bühne haben? Das kann man so sagen. Ich war nie ein bornierter Heimatverfechter. Aber ich fürchte, dass der Hochdeutschvormarsch nun auch Lehrkräfte von der SP entfremden wird. Interview: Stefan von Bergen Roland Zoss, 59, langjähriger Sekundarlehrer, ist Kinderliedermacher und Erfinder der Kirchenmaus Jimmy Flitz. Er wohnt mit seiner Familie in Mittelhäusern. Auftritte: So 21.11. Käfigturmtheater Bern, 14 Uhr; Sa, 11.12., Rüttihubelbad Walkringen, 14 Uhr; So 12.12., Alte Oele Thun, 17 Uhr; www.rolandzoss.com.>
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