
schweiz
Patientendaten speichern – oder Sanktionen drohen
Elektronisches Patientendossier der strengeren Version: Nationalrat weitet Pflichten des Gesundheitswesens aus. Mitmachen soll nicht freiwillig sein.
Die Kantone bereiten sich auf die Einführung des elektronischen Patientendossiers vor. Dies wird Zeit in Anspruch nehmen, denn damit verbunden sind nicht nur technische Erneuerungen, sondern auch neue Rollenverteilungen bei Ärzten und Patienten.
Gute Gespräche zwischen Arzt und Patient sind zentral. Daran ändert ein elektronisches Patientendossier nichts. Doch bietet es dem Patienten jederzeit Zugriff auf wichtige Daten.
(Bild: Fotolia)
Das elektronische Patientendossier ist mehr als ein technisches Hilfsmittel. Es ist Ausdruck eines Kulturwandels im Gesundheitswesen. Beim E-Dossier stellen Gesundheitsfachleute wie Ärzte, Spitäler oder Apotheken jene Informationen elektronisch zur Verfügung, die für die weitere Behandlung des Patienten wichtig sind.
Die Patienten selbst haben jederzeit Einsicht in diese Daten und legen fest, welche Ärzte oder weiteren Fachpersonen darauf zugreifen dürfen. Die Kantone organisieren derzeit die Grundlagen für E-Dossiers.
Der Kulturwandel betrifft Fachpersonen und Patienten gleichermassen, dies wurde an der gestrigen Tagung zum elektronischen Patientendossier klar, zu welcher die Organisation Public Health Schweiz eingeladen hatte.
Vom Patient zum Kunden
Für die Ärzte verdeutlicht das elektronische Dossier den Wandel vom Einzelkämpfer zum Mitglied eines gesamten Versorgungsteams, das sich um einen Patienten kümmert. Ihre Befunde werden nicht länger in ihren eigenen Schubladen aufbewahrt.
Die neue Transparenz macht möglich, dass verschiedene Fachleute einen Patienten behandeln, ohne dass Informationslücken entstehen. Sie gewährt aber auch Einblicke in die verschiedenen Arbeitsweisen der Fachleute – vom gläsernen Arzt war am Montag die Rede. Patienten wiederum übernehmen mehr Verantwortung, weil sie nun Einblick in ihre Daten haben und Zugriffsrechte verteilen können.
An der Veranstaltung wurde deshalb die Forderung nach einem Schulfach Gesundheitskompetenz laut. Die neue Rollenverteilung bildet sich auch in der Sprache ab, immer mehr ist von Partnern oder gar Kunden die Rede, wenn Patienten gemeint sind.
«Die Informations- und Deutungshoheit wird neu verteilt», sagte Urs Zanoni in seinem Referat. «Lag diese bisher bei den Ärzten, so werden neu auch die Patienten mitbestimmen.» Zanoni ist beim Kanton Aargau einerseits Leiter E-Health, andererseits für die integrierte Versorgung zuständig, also für die Vernetzung von Gesundheitsangeboten.
Es ist kein Zufall, dass bei ihm diese beiden Bereiche zusammenfliessen, «denn sie bedingen einander», sagte Zanoni. Im Gesundheitswesen sei die Spezialisierung weit fortgeschritten, die Behandlung kranker Menschen werde deshalb oft zerstückelt.
Um die einzelnen Behandlungsschritte besser aufeinander abstimmen zu können, müssten sich die Fachleute vernetzen «und zwar sowohl physisch als auch digital». Das elektronische Patientendossier ist das logische Hilfsmittel dafür.
Im Aargau wird dieses derzeit Schritt für Schritt aufgebaut. So haben die Spitäler zunächst eine digitale Plattform erstellt, über welche sie Berichte mit den zuständigen Arztpraxen teilen.
Der zuweisende Arzt kann so in den meisten Fällen auf Mail, Fax oder Telefon verzichten, wenn einer seiner Patienten das Spital aufsuchen muss. Die Technik dazu liefert die Post. Laut Zanoni brauchte es bei den Arztpraxen viel Überzeugungsarbeit. In der Pilotphase hätten sich dann aber die Vorteile rasch gezeigt.
Auf der Plattform finden die Ärzte Operationsberichte ihrer Patienten und erfahren umgehend, wenn diese das Spital verlassen. Früher oft bemängelte Informationslücken sind damit geschlossen.
Nationales Gesetz 2017
Für die Plattform haben die zuständigen Fachleute standardisierte Formulare entwickelt. Dies wiederum dient der besseren Vernetzung von Spitälern und zuweisenden Ärzten: Die bisherigen Prozesse seien überprüft und angepasst worden, so Zanoni. Ab Mitte 2016 sollen auch die Patienten auf die Plattform zugreifen können – ein erster Schritt zum elektronischen Patientendossier.
Derzeit entsteht im Aargau eine Stammgemeinschaft, in welcher sich Ärzte, Spitäler, Spitex und Pflegeheime vereinen, um das E-Dossier gemeinsam anbieten zu können. Im Juni hat das aargauische Parlament 1,5 Millionen Franken für den Aufbau dieser Stammgemeinschaft gesprochen.
Auch der Bund wird einen finanziellen Beitrag leisten. Das eidgenössische Parlament hat im Juni das Rahmengesetz für das elektronische Patientendossier verabschiedet. Im März sollen die Verordnungen dazu in die Anhörung geschickt werden, laut Nicolai Lütschg vom Bundesamt für Gesundheit wird das Gesetz im ersten Quartal 2017 in Kraft treten können.
Im Kanton Genf können Patienten bereits seit einigen Jahren ein elektronisches Patientendossier eröffnen, bisher haben knapp 10'000 Personen von diesem Angebot Gebrauch gemacht.
Adrien Bron, Vorsteher des Genfer Gesundheitsdienstes, verwies auf die lange Vorbereitungszeit, welche nötig war – das Projekt hat vor mehr als 15 Jahren seinen Anfang genommen. Ein Auslöser seien die hohen Gesundheitskosten im Kanton Genf gewesen, so Bron. Ziel des elektronischen Dossiers sei mehr Effizienz. Gleichzeitig solle es aber auch die Qualität steigern. Genf arbeitet für die technische Lösung mit der Post zusammen.
Im Kanton Wallis wurde im Herbst ein Projekt, das der Bevölkerung ein elektronisches Patientendossier ermöglicht hätte, gleich nach der Ankündigung sistiert, weil Sicherheitslücken beim Datenschutz vermutet wurden. Im Kanton Zürich wurde bereits 2014 ein Trägerverein für die Einführung des elektronischen Patientendossiers gegründet. Diesem sind Leistungserbringer wie Ärzte, Spitäler, Apotheker oder die Spitex angeschlossen. Sie werden für die technischen Lösungen mit der Swisscom zusammenarbeiten.
Der Kanton Bern hat am Montag über den Start des Projekts «BeHealth» informiert. Mit diesem Projekt übernehme der Kanton Bern beim Aufbau einer Stammgemeinschaft eine koordinierende Rolle. Im Januar werde die Gesundheits- und Fürsorgedirektion betroffene Kreise zu einer Informationsveranstaltung und einem Meinungsaustausch einladen.
Für die Förderung von E-Health sind die Kantone zuständig, das nationale Gesetz für das Patientendossier bildet einen Rahmen und setzt Standards. Darin ist etwa festgehalten, dass Patienten selbst entscheiden können, ob sie ein elektronisches Dossier eröffnen wollen oder nicht. Auch Arztpraxen steht die Teilnahme frei.
Spitäler hingegen müssen nach Inkrafttreten des Gesetzes innerhalb von drei, Pflegeheime und Geburtshäuser innerhalb von fünf Jahren für das E-Dossier bereit sein. Krankenkassen haben keinen Zugriff. Der Bund sieht eine Finanzhilfe in Höhe von 30 Millionen Franken für die Einführung und Verbreitung des Dossiers vor.
Berner Zeitung
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