Wird Bern zur «Gurlitt-Stadt»?
Das Kunstmuseum Bern steht dank der kommenden Gurlitt-Ausstellung im internationalen Scheinwerferlicht. Davon möchte Bern natürlich auch touristisch profitieren. Doch wie weit soll die Stadt das spektakuläre Kunsterbe marketingtechnisch ausschlachten?

«Kunst, Kultur und Tourismus?» Mit dieser Frage schlagen sich heute im Rahmen der 4. Berner Kulturkonferenz Vertreterinnen und Vertreter von Kultur- und Tourimusinstitutionen herum. Das Gebiet ist nicht minenfrei, denn die kommerzielle Ausschlachtung der Künste wirkt verdächtig. Die drohende «Eventisierung» ist vielen Kulturschaffenden ein Dorn im Auge. Spektakel tritt mit vertiefter Auseinandersetzung in Konkurrenz. Kann das gut gehen?
Mit Bern Welcome hat die Bundesstadt eine neu aufgegleiste Tourismusstelle, die zum Ziel hat, die Stadt umfassender zu vermarkten, auch über das reiche Berner Kulturangebot. Was bietet sich dabei besser an, als die international beachtete Gurlitt-Sammlung, die ab kommendem Mittwoch erstmals in einer Ausstellung im Kunstmuseum zu sehen ist? Fährt Bern touristisch eine adäquate Strategie, um möglichst viele interessierte Touristen nach Bern zu locken? Hat die Stadt eine Strategie und gibt sie sich gar das Label Gurlitt-Stadt? Darüber sind sich die beteiligten Player erstaunlich uneinig.
Gurlitt als Marke
Martin Bachofner, CEO von Bern Welcome, will offensiv vorgehen. «Man muss hier den Namen Gurlitt wie eine Marke betrachten. Diese Marke hilft, den Gast auf das weitere vielseitige kulturelle Angebot der Stadt aufmerksam zu machen», sagt er. Je nach Vermarktung der Ausstellung könne dies dazu führen, dass der internationale Kulturtourist Bern überhaupt auf seine Reiseagenda nimmt. «Dadurch profitiert nicht nur das Kunstmuseum, sondern auch weitere kulturelle Institutionen.»
Einige Massnahmen würden «im Bereich der Medien- und Kampagnenarbeit» bereits umgesetzt, dies in Zusammenarbeit mit dem Kunstmuseum Bern. Zum Beispiel eine Medienreise. «Zahlreiche renommierte Journalisten aus dem Ausland werden nach Bern kommen und über die Ausstellung und über Bern berichten», sagt Bachofner. Weiter wurde ein attraktives Package mit Hotelübernachtung und Museumsbesuch entwickelt, das kulturaffine Gäste aus ganz Europa nach Bern locken soll. Bachofner setzt auch auf Social Media. «Unsere diversen Kanäle werden mit dem Thema Gurlitt bespielt und geniessen dadurch eine höhere Aufmerksamkeit.»
Wie Bern Welcome die «Marke» Gurlitt längerfristig nutzen will, ist noch unklar. «Unsere zukünftige Vermarktung ist einerseits abhängig vom Verlauf der Gurlitt-Ausstellung und andererseits von einem laufenden Strategieprozess innerhalb von Bern Welcome», sagt Bachofner. Die touristische Positionierung von Bern werde derzeit überarbeitet.
Museum eher zurückhaltend
Doch bei aller Vermarktungseuphorie: Wenn das Kunstmuseum nicht mitspielt, wird nichts aus dem touristischen Schub. Und dieses Szenario ist nicht einmal abwegig. Denn das Museum selbst hat keinesfalls vor, von nun an das «Gurlitt-Museum» zu sein, wie Thomas Soraperra erklärt, der kaufmännische Direktor von Kunstmuseum Bern und Zentrum Paul Klee: «Natürlich ist zurzeit der Kunstfund Gurlitt das Medienereignis. Doch das Kunstmuseum Bern ist mit seiner hochkarätigen Sammlung und seinen Ausstellungen wesentlich mehr als ein ‹Gurlitt-Museum›.»
Dass das Kunstmuseum längerfristig gar nicht entschieden auf die Marke Gurlitt setzen kann, zeigt die Struktur: Mehrere private Stiftungen haben ihre Sammlungen im Museum «parkiert»: die Stiftung Othmar Huber, die Rupf-Stiftung und die ZZ-Stiftungen. Ihre Vertreter haben grossen Einfluss auf die Strategie des Kunstmuseums und Einsitz im Stiftungsrat. Sie haben der Annahme des Gurlitt-Vermächtnisses nur unter der Bedingung zugestimmt, dass die Bilder nicht die bisherigen Sammlungen verdrängen dürfen.
Das heisst: Eine dauerhafte Gurlitt-Ausstellung ist nicht geplant. Zumindest vorderhand nicht, zumal der Platz fehlt. Mit dem Erweiterungsbau lässt sich das Problem beheben. Doch das ist Zukunftsmusik. Solange nicht dauernd ein Teil der Sammlung ausgestellt ist, kann Bern touristisch nicht nachhaltig auf Gurlitt setzen. Ausser man nimmt es in Kauf, Touristen zu vergraulen, die in Bern vergebens nach den Gurlitt-Bildern Ausschau halten.
Hier gehts zum Interview mit dem Tourismusexperten Christian Gressbach.
4. Berner Kulturkonferenz: Freitag, 14–17 Uhr, Aula Progr, Bern (nur mit Anmeldung: Kulturkonferenz.ch).Ausstellung:«Bestandsaufnahme Gurlitt», ab 2. November, Kunstmuseum Bern.
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