Beatrice Simon zur Corona-Krise«Wir werden erst Ende Jahr wissen, was das gekostet hat»
Finanzdirektorin Beatrice Simon (BDP) will im Kanton Bern weiterhin in Bauprojekte investieren. Eine Steuersenkung müsse man hinterfragen.

Der Kanton hat 2019 das beste Rechnungsergebnis seit 10 Jahren geschrieben. Deckt das unerwartet hohe Plus die Kosten, die wegen Corona auf ihn zukommen?
Beatrice Simon: Es ist zwar schön, dass wir ein gutes Ergebnis haben. Aber das nutzt uns nichts für zukünftige Rechnungsjahre. Denn gemäss der in der Kantonsverfassung verankerten Schuldenbremse muss ein Gewinn für den Schuldenabbau eingesetzt werden.
Die Linken fordern, dass das Geld ins Gesundheits- und Sozialwesen sowie in den Betreuungs- und Bildungsbereich investiert wird.
Wie gesagt: Der Gewinn fliesst in den Schuldenabbau. Wir können ihn nicht für etwas anderes einsetzen.
Was bedeutet Corona für den Kanton Bern aus finanzpolitischer Sicht?
Das wissen wir zum heutigen Zeitpunkt nicht. Ich kann aber schon jetzt sagen, dass wir die Steuerertragsprognosen bereits fürs laufende Jahr nach unten anpassen müssen. Mit einer deutlichen Korrektur nach unten rechne ich insbesondere fürs nächste und übernächste Jahr. Der Regierungsrat trifft via Notverordnung Entscheide, die finanzielle Auswirkungen auf den Kanton haben. Es ist nicht befriedigend, wenn ich das so sagen muss, aber: Wir werden erst Ende Jahr wissen, was das alles gekostet hat und wie die Steuereinnahmen aussehen.
«Ich kann nicht ausschliessen, dass seitens des Kantons ein weiteres Paket nötig wird.»
Folglich können Sie keinen Betrag abschätzen?
Es wäre nicht seriös. Es hängt auch stark davon ab, wie lange die Krise dauert. Weiter wissen wir ja auch nicht, wie die Gewinnausschüttung der Schweizerischen Nationalbank aussehen wird. Sie hat in Aussicht gestellt, dass die Kantone fürs nächste Rechnungsjahr auch wieder mehr Geld erhalten sollen. Für den Kanton Bern würde das bedeuten, dass er nicht nur den einmaligen Betrag von rund 80 Millionen, sondern mehr erhält. Das wird aber davon abhängig sein, wie hoch die Gewinnausschüttungsreserve der Bank sein wird. Wegen der Corona-Krise ist heute unklar, wie sich diese entwickelt. Im Budget ist in der Erfolgsrechnung für 2020 ein Plus von 217 Millionen geplant. Mittlerweile kann ich nur hoffen, dass das Rechnungsergebnis des laufenden und das Budget des nächsten Jahres einigermassen ausgeglichen sein werden. Aber ich befürchte, dass das nicht der Fall sein wird.
Sie befürchten also ein Minus in der Rechnung 2020.
Ich kann es nicht ausschliessen. Wir stecken mitten in der Krise und wissen nicht, wofür der Kanton noch alles Geld sprechen muss.
Ist der Kanton also finanzpolitisch im Blindflug?
Nein, wir befinden uns nicht im Blindflug. Aber es gibt finanzielle Unsicherheiten, welche wir derzeit einfach nicht verlässlich abschätzen können.
Was wird die grössere Herausforderung: Die Kosten im Gesundheitswesen oder die Unterstützung in der Wirtschaft?
Aktuell muss der Kanton im Gesundheitswesen wahrscheinlich mehr zur Verfügung stellen. Aber das ist eine Momentaufnahme.
Weshalb im Gesundheitswesen?
Weil zum Beispiel noch unklar ist, wie die Leistungen von Corona-Patienten bei den Spitälern abgerechnet werden. Zudem fehlen den Spitälern Einnahmen, weil sie derzeit praktisch keine planbaren Eingriffe mehr durchführen.
Der Kanton hat angekündigt, die Spitäler für diese Mindereinnahmen zu entschädigen. Laut dem Präsidenten des Verbandes Zürcher Krankenhäuser, Christian Schär, haben die meisten Spitäler in Zürich wegen der Corona-Krise finanzielle Verluste in zweistelliger Millionenhöhe. Wie sieht es in Bern aus?
Ich nehme diese Zahlen so zur Kenntnis. Aber meines Wissens gibt es derzeit keine verlässlichen Angaben zu solchen Berechnungen. Die Einnahmenausfälle werden auch sehr stark von der Dauer der Krise abhängig sein.
Für die Wirtschaft hat die Regierung 35 Millionen Franken vorgesehen, dazu 15 Millionen aus dem Lotteriefonds für die Kulturbranche. Sind weitere Pakete vorgesehen?
Zurzeit diskutieren wir nicht über weitere finanzielle Unterstützungspakete des Kantons. Bei den Massnahmen für die Wirtschaft steht in erster Linie der Bund in der Verantwortung. Er hat bereits ein grosses Finanzpaket geschnürt, das ist hervorragend. Aber ich gehe davon aus, dass er noch zusätzliche Gelder sprechen muss, insbesondere um gewisse Lücken zu schliessen. Ich denke dabei an Selbstständigerwerbende, die zwar nicht direkt von einer Betriebsschliessung betroffen sind, denen aber die Einnahmen trotzdem fehlen. Wie etwa Taxiunternehmen oder Physiotherapeuten. Die Kantone stehen erst in zweiter Linie in der Verantwortung. Dennoch kann ich nicht ausschliessen, dass seitens des Kantons ein weiteres Paket nötig wird.
«Heute kann nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob wir uns das leisten können. Wir müssen uns das leisten!»
Von den 35 Millionen profitieren die Forschung von KMU und die Tourismusorganisationen. Ist es finanzpolitisch sinnvoll, dort anzusetzen?
Es geht primär um ein Zeichen für die Firmen, die in Forschung und Entwicklung gut unterwegs sind. Sie sollen in diesen Bereichen weiterarbeiten, damit sie sich nach der Krise mit guten Projekten positionieren können.
Wie kann sich der finanziell eh schon klamme Kanton Bern diese Ausgaben leisten?
Das diskutieren wir im Regierungsrat sehr intensiv, und es ist immer auch ein Abwägen von Vor- und Nachteilen. Alle Entscheide in diesem Zusammenhang werden vom Gesamtregierungsrat getragen. Die Wirtschaft ist im Kanton Bern sehr wichtig. Die Firmen zahlen Steuern und sichern Arbeitsplätze. In Anbetracht der Krise kann heute nicht die Frage im Vordergrund stehen, ob wir uns das leisten können. Wir müssen uns das leisten! Und das sage ich als Finanzdirektorin. Es geht um unsere Gesundheit und unsere Wirtschaft. Dennoch müssen wir sorgfältig mit dem Geld umgehen und besonnen agieren. Insbesondere müssen wir unsere Massnahmen auf den Bund abstimmen.
Sie haben vorhin die Gewinnausschüttung der Nationalbank erwähnt. Für 2019 kann der Kanton Bern sogar mit dem vierfachen Betrag von 320 Millionen Franken rechnen. Kann er dieses Geld für wirtschaftliche Massnahmen verwenden, so wie es die FDP verlangt?
Es erstaunt mich nicht, dass jetzt jede politische Partei ihre spezifischen Forderungen stellt. Wir müssen aber dafür sorgen, dass der Kanton Bern als Ganzes diese Krise übersteht. Wie ich bereits gesagt habe: In Bezug auf die wirtschaftspolitischen Massnahmen steht primär der Bund in der Verantwortung.
Es sind viele Investitionen geplant, etwa in den Medizinalstandort und die Berner Fachhochschule. Schon vor Corona war unklar, wie der Kanton diese Investitionen finanzieren kann. Muss das nun alles über die Klinge springen?
Nein, sicher nicht. Wir haben mit den zuständigen Kommissionen des Grossen Rats nach Lösungen gesucht, wie wir diese Investitionen finanzieren können. Eine Anpassung der Schuldenbremse bei den Investitionen könnte möglich sein, ebenso die Verwendung von nicht benötigten Fondsguthaben. Der Regierungsrat will investieren. Er führt aber auch intensive Diskussionen über die Priorisierung, Etappierung und Redimensionierung der einzelnen Objekte.
«Wir dürfen jetzt nicht alles stoppen, sondern müssen Bedingungen schaffen, damit nach der Krise weitergearbeitet werden kann.»
Aber bei diesen Überlegungen müssen doch auch die finanziellen Auswirkungen der Corona-Krise eine Rolle spielen.
Wir werden die Entwicklung der Erfolgsrechnung mit den Folgen der Corona-Krise und den Investitionsbedarf zu einem finanzpolitischen Gesamtbild zusammenführen müssen. Bislang war es aber kein Thema im Regierungsrat, dass wir wegen Corona gewisse Investitionen nicht tätigen wollen. Es wäre falsch, nun im Investitionsbereich die Planungen zu verzögern oder gar zu stoppen.
Auch mit dem Hintergedanken, dass man die Wirtschaft ankurbeln muss?
Es wird eine Zeit geben, in der das Coronavirus nicht mehr das Hauptthema sein wird. Dann werden wir hoffentlich einen Impfstoff haben und die Krise überwunden haben. Dann muss die Wirtschaft wieder laufen können. Deshalb dürfen wir jetzt nicht alles stoppen, sondern müssen Bedingungen schaffen, damit nach der Krise weitergearbeitet werden kann.
Müssen eigentlich die Steuerrechnungen, die zurzeit bei Unternehmen und Privaten eintreffen, bezahlt werden?
Für sämtliche Forderungen des Kantons gilt ein Mahn- und Betreibungsstopp bis zum 30. Juni 2020. Es werden auch keine Verzugszinsen erhoben. Zudem können die Steuerzahler die Ratenrechnung für das Jahr 2020 anpassen. Die Rechnungen basieren auf den Steuerrechnungen vom Vorjahr. Wenn diese Zahlen nun nicht mehr mit den Einkünften im Jahr 2020 übereinstimmen, kann die Ratenrechnung korrigiert werden.
Viele Firmen haben Kurzarbeit angemeldet. Es ist absehbar, dass auch die Steuereinnahmen sinken werden.
Ja, dies wird zu Mindereinnahmen bei den juristischen und natürlichen Personen führen.
«Wir müssen hinterfragen, ob es der richtige Zeitpunkt für eine Steuersenkung ist.»
Regierung und Grosser Rat hatten vor, diesen und nächsten Herbst in den Budgetdebatten Steuersenkungen für Private und Firmen zu beschliessen. Ist das noch immer realistisch?
Das ist eine sehr schwierige Frage. Der Entscheid fällt in der Novembersession, wenn auch die Budgetzahlen für 2021 vorliegen. So kann der Grosse Rat in Kenntnis der aktuellen Finanzlage entscheiden, ob er die Steuern für natürliche und juristische Personen tatsächlich noch senken kann. Ich kann dieser Entscheidung nicht vorgreifen. Ich gebe aber zu bedenken, dass wir über die Steuersenkungen diskutiert haben, als die Welt noch eine andere war. Jetzt ist die Corona-Krise da, und alles ist anders. Wir müssen hinterfragen, ob es der richtige Zeitpunkt für eine Steuersenkung ist.
Muss man eventuell sogar über eine Steuererhöhung diskutieren?
Nein. Es ist der falsche Moment für eine solche Diskussion. Und aktuell könnte ich eine Steuererhöhung auch nicht unterstützen.
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