«Wir sind nicht die Kardashians»
Das Geschwisterduo Zibbz vertritt die Schweiz heute Abend am Eurovision Song Contest in Portugal. Woher kommt der Ehrgeiz zum Wettkampf?

Heute Abend gilt es für Corinne und Stefan Gfeller ernst. Denn die Geschwister, die das Duo Zibbz bilden, treten mit ihrem Song «Stones» für die Schweiz im ersten Halbfinale des Eurovision Song Contest in Lissabon an. Sie setzten sich im Februar in einer TV-Vorauscheidung gegen fünf weitere Konkurrenten durch. Die beiden Gfellers, die in der Luzerner Gemeinde Gisikon aufgewachsen sind und mittlerweile in Los Angeles wohnen, setzen seit zehn Jahren auf die Karte Musik. Sie waren beispielsweise Teil der Band von Gölä – Corinne als Backgroundsängerin, Stefan als Schlagzeuger. Ihr Duo Zibbz betreiben sie seit 2008. Bislang veröffentlichten sie zwei Alben. Zwischen 2011 und 2015 gaben sie für den damals existierenden Jugendsender Joiz in Form einer wöchentlichen Sendung Einblick in ihr Dasein als Band.
Nach einigen Vorabshows im ESC-Milieu sind Sie nun auf der grössten Showbühne Europas angekommen. Wie muss man sich diese Welt vorstellen?
Corinne Gfeller: Viele glauben, am Eurovision Song Contest sei alles auf die drei Minuten konzentriert, in denen man seinen Song darbietet. So dachten auch wir. Uns war nicht bewusst, dass man da zuvor Promo-Touren durch halb Europa unternimmt. Doch das war grossartig. In Israel haben wir vor 20'000 ESC-Fans gespielt, wir waren in London und in Amsterdam – es war einiges los. Die ESC-Welt ist sehr perfektionistisch und detailversessen. Wenn du mit einem Preisschildchen am Kleid über einen roten Teppich gehst, dann kannst du das garantiert fünf Minuten später in einem Blog nachlesen.
Ist die ESC-Gemeinde wirklich an Musik interessiert?
Stefan Gfeller: Es ist natürlich schon ein anderes Publikum, als wir es kennen. Es sind Leute, denen – neben der Musik – Show, Fashion und Glamour sehr viel bedeuten. Und sie kennen jedes kleinste Detail der ESC-Geschichte.
Den Teilnehmern werden ja im Vorfeld gerne Rollen zugeteilt: hier die Dragqueen aus Zypern, da der griechische Frauenbetörer oder die lustigen Gaudi-Polen. Welche Rolle zeichnet sich für Sie ab?
Stefan Gfeller: Im Moment werden wir als das unbeschwerte und charmante Geschwisterpaar gehandelt, und es wird uns eine grosse Professionalität attestiert. Weil wir – im Gegensatz zu einigen anderen – halt schon länger von der Musik leben.
Corinne Gfeller: Die einschlägigen ESC-Blogger sehen uns als Rock-Act, was wir ja nicht unbedingt sind. Es gibt in unserem Song nicht einmal eine Gitarre.
Woher kommt der Wunsch, sich in einem Musikwettbewerb zu messen?
Corinne Gfeller: Als eher unbekannte Band haben wir nicht viel zu verlieren. Wir werden uns für diesen Anlass nicht verbiegen und können unsere Musik einer Community unterbreiten, die uns ansonsten wohl nie entdeckt hätte. Ich sehe dabei keinen Haken.
Man hat bei Zibbz zuweilen das Gefühl, es stecke sehr viel Ehrgeiz hinter diesem Projekt. Man hört Sie oft von «harter Arbeit» reden. Woher kommt das?
Corinne Gfeller: Musiker sein ist in der Schweiz nach wie vor kein Beruf. Viele denken, dass man spät aufsteht, ein bisschen rumklimpert und vom Geld irgendwelcher Sponsoren lebt. Vielleicht sind wir manchmal so sehr bestrebt, dieses Bild zu korrigieren, dass wir etwas verkrampft rüberkommen. Doch die Wahrheit ist: Wer von der Musik leben will, muss dafür hart arbeiten.
Sie haben Ihre Zelte in Los Angeles aufgeschlagen. Was war der Plan? USA-Eroberung? Musikalische Inspiration?
Corinne Gfeller: Wir sind einmal für drei Wochen nach L. A. gereist und haben in dieser Zeit auf Anhieb zehn Songs geschrieben. Das gab den Ausschlag, es dort einmal zu versuchen. Es ging nie darum, in den USA die grosse Karriere zu starten, es ist einfach ein sehr inspirierender Ort.
Ihren ESC-Song haben Sie jedoch an einem Suisa-Songwriter-Camp im Zürcher Oberland geschrieben. Ist ein solches Umfeld womöglich doch inspirierender als eine WG neben dem Guns'n'Roses-Gitarristen Slash?
Stefan Gfeller: Wir mögen das Community-Ding und schreiben gerne Songs mit anderen Musikern. Also kam uns das Setting an diesem Workshop sehr entgegen. Zunächst wollten wir einen Song für einen anderen Interpreten schreiben, doch dann fanden wir ihn so gut, dass wir ihn selber umsetzten.
Sie haben stilistisch einige Haken geschlagen: von Gölä zu Bligg, von Art On Ice zu Salto Natale, von der Musikgesellschaft Boswil zur Musicalschule London. Nicht alles war künstlerisch erspriesslich. Ist das Ausdruck von Offenheit oder das Los von Musikern, die von ihrer Kunst leben wollen?
Stefan Gfeller: Wir sind tatsächlich an vielen Formen der Musik interessiert. Ich habe eine Jazzschule absolviert und bewegte mich zunächst in dieser Szene. Vorher habe ich in meiner Jugend Marschmusik gemacht. Heute interessiert uns beide der Pop-Rock mit elektronischen Elementen.
Ist das Duo-Format Wunsch oder Pragmatismus? Es scheint, Ihre Musik strebe eher zum Epischen als zum Minimalismus.
Stefan Gfeller: Tief im Herzen sind wir ja eigentlich Bandmusiker. Doch das Duo-Format zwingt uns zu Lösungen, die unsere Musik auch speziell und unverkennbar machen.
Corinne Gfeller: In einer 90-Minuten-Show gibt es schon Momente, in denen wir uns auf der Bühne etwas einsam fühlen. Doch mit einer grossen Band wären wir letztlich viel weniger flexibel.
Sie wurden in einer Dokusoap bei Joiz bekannt. Die Kehrseite davon ist, dass viel über Sie, Ihr Leben oder Ihre Beziehung zu Scientology gesprochen wird – aber kaum über Ihre Musik. Fuchst Sie das?
Corinne Gfeller: Natürlich. Es ist der Preis dafür, dass uns viele über die Realitysoap auf Joiz kennen gelernt haben. Im Fernsehformat wirst du schnell mal zu einer Figur, die Musik verkommt zur Nebensache. Das konnten wir damals nicht abschätzen.
Stefan Gfeller: Deshalb sind wir froh, dass es beim ESC letztlich doch vor allem um diesen 3-Minuten-Song geht. Wir sind ja schliesslich nicht die Kardashians.
Heute 21 Uhr findet das erste Halbfinal des ESC statt. Redaktion Tamedia tickert den Anlass live.
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