«Wir sind das verlässlichste Meinungsforschungsinstitut»
Nur zweimal daneben in 88 Jahren: Die «Strohwahl» in einer legendären Pariser Bar gilt als höchst zuverlässiges Stimmungsbarometer für die US-Wahlen. Auch diesmal gibt es einen klaren Favoriten.

32 Stimmen Vorsprung hat Barack Obama derzeit vor seinem Rivalen Mitt Romney, so jedenfalls steht es auf einer Glastafel hinter der gediegenen Bar aus dunklem Holz. Den um seine Wiederwahl kämpfenden US-Präsidenten dürfte das beruhigen, auch wenn erst 298 Stimmen ausgezählt wurden: Die «Strohwahl» in der legendären Harry's New York Bar in Paris ist traditionell ein höchst zuverlässiges Stimmungsbarometer. Bei dem nicht ganz ernst gemeinten Urnengang setzten die US-Bürger, die hier an Cocktails nippend ihre Stimme abgaben, in 88 Jahren nur zweimal auf den Wahlverlierer.
«Wir sind das verlässlichste Meinungsforschungsinstitut überhaupt», sagt Isabelle MacElhone mit einem Augenzwinkern. Seit dem Tod ihres Mannes Duncan, dessen Grossvater Harry der Bar ihren Namen gab, lenkt die 48-Jährige die Geschicke der Bar, in der einst Ernest Hemingway und F. Scott Fitzgerald ein- und ausgingen. Sie hält an den strengen Regeln fest, die seit dem ersten «Straw Vote» 1924 gelten: Wer abstimmen will, muss seinen US-Ausweis vorzeigen – so wird ausgeschlossen, dass Gäste zweimal wählen. Die kleine weisse Wahlurne ist mit einem dicken Vorhängeschloss gesichert.
Bar aus New York importiert
Die Atmosphäre in der Bar ist allerdings denkbar anders als in einem Wahllokal: Um Amerikanern ein Gefühl heimatlicher Geborgenheit zu geben, liess Bargründer Tod Sloane vor hundert Jahren die komplette Inneneinrichtung einer Manhattaner Bar mit dem Schiff über den Atlantik transportieren und in der Rue Daunou im Zentrum von Paris wieder aufbauen.
An den holzgetäfelten Wänden hängen die Fahnen von US-Bundesstaaten und zahlreiche Wimpel von US-Universitäten, Barkeeper in weissen Kitteln servieren den hier erfundenen Bloody Mary und andere Drinks – derzeit auch vier Cocktails, die nach den Präsidentschafts- und ihren Vize-Kandidaten benannt sind.
Repräsentativer Durchschnitt der US-Bevölkerung
«Das ist keine Bar nur für Republikaner oder nur für Demokraten – das ist eine Bar für alle Amerikaner», sagt MacElhone. Die Gästen seien ein repräsentativer Durchschnitt der US-Bevölkerung, das erkläre die erstaunliche Übereinstimmung der Ergebnisse der «Straw Votes» in der Bar mit den tatsächlichen Wahlergebnissen. Nur bei den Duellen Jimmy Carter gegen Gerald Ford 1976 und George W. Bush gegen Al Gore 2000 lagen die Bargäste daneben. Früher soll sogar das Weisse Haus heimlich angerufen haben, um vor Wahlen den Zwischenstand zu erfragen – zumindest will es so die Legende.
Das Endergebnis der Harry's-Bar-Abstimmung wird erst in der Wahlnacht am 6. November bekanntgegeben. Wenige Tage vor dem Urnengang steht es 165 zu 133 für Obama, im Vergleich zu der Wahl vor vier Jahren ein knappes Rennen. 2008 setzte sich Obama mit 272 zu 170 Stimmen gegen den republikanischen Senator John McCain durch. «Damals gab es wirklich Begeisterung und Leidenschaft für Obama», sagt MacElhone. «Dieses Jahr ist das weniger zu spüren. Das ist wohl der Verschleiss der Macht.»
«Es wird nicht einmal eng für ihn»
An einem Sieg Obamas gibt es in der Bar aber trotzdem kaum Zweifel – zumal sich der US-Präsident während des Wirbelsturms Sandy als Mann der Tat zeigen konnte. «Obama macht's, und es wird nicht einmal eng für ihn», sagt Patrick Runte, ein Tourist aus dem Bundesstaat Wisconsin. Der 43-Jährige setzt sein Kreuz hinter Obama, so wie er es nach seiner Rückkehr in die USA auf dem echten Wahlzettel machen will. «Geben wir ihm nochmal vier Jahre, denn die braucht er für seine Reformen.»
Auch Isabelle MacElhone glaubt an einen Sieg von Obama, als Nicht-Amerikanerin darf sie aber weder in ihrer Bar noch bei den richtigen Wahlen abstimmen. Ohnehin fühlt sie sich als Gastgeberin zu strenger Neutralität verpflichtet. Nicht ganz so eng mit der Unparteilichkeit sieht es ein Barkeeper, der einem Gast einen Wahlzettel reicht: «Wenn du nicht für Obama stimmst, bekommst du keinen Drink mehr», raunt er scherzend über die Theke.
AFP/rub
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