«Wir schreiben Weltgeschichte»
Physiker in aller Welt sind ausser sich vor Freude: Cern-Forscher gaben heute bekannt, dass sie das lang gesuchte Higgs-Teilchen wohl endlich gefunden hätten. Ein Sprecher des Cern erklärt, was das bedeuten könnte.
Die Entdeckung des neuen Elementarteilchens werde die menschliche Kultur verändern, sagt Joe Incandela, Sprecher des CMS-Experiments am Cern. Sollte es wirklich das Higgs-Teilchen sein, so sei man nun tiefer ins Gewebe des Universums eingedrungen als je zuvor.
Noch nie sei die Teilchenphysik so nahe dran gewesen, tatsächlich Einblick in den fundamentalen Aufbau des Universums zu bekommen. «Das Higgs-Teilchen ist nicht wie andere Teilchen», sagte Incandela heute Mittwoch der Nachrichtenagentur sda. «Es sagt etwas über den grundsätzlichen Zustand unseres Universums aus.»
«Statistische Unsicherheit noch zu gross»
Die bisher bekannten Elementarteilchen wie Protonen oder Lichtteilchen seien allesamt Massepartikel: Sie bilden die Materie, alle Dinge, die wir sehen, anfassen und messen können. Das Higgs-Teilchen hingegen spiele eine fundamentalere Rolle, weshalb ihm die Medien auch den Namen «Gottesteilchen» gegeben haben.
Die beiden Cern-Experimente CMS und Atlas berichteten am Mittwoch, dass sie ein neues Elementarteilchen gefunden haben. Doch konnten sie noch nicht definitiv bestätigen, dass es sich um das lang gesuchte Higgs-Teilchen handelt: «Dazu ist die statistische Unsicherheit noch zu gross», sagte CMS-Forscher und ETH-Professor Günther Dissertori.
Doch die Resultate sind bisher durchaus im Einklang mit diesem Teilchen. Incandela gibt sich optimistisch: «Ich glaube, dass das neue Teilchen wahrscheinlich wirklich das Higgs-Teilchen ist.»
Ohne Higgs-Teilchen kein Universum
Der Grund für die spezielle Rolle des Higgs-Teilchens ist seine Eigenschaft, dass es anderen Teilchen überhaupt erst zu ihrer Masse verhilft. Das stellen sich die Wissenschaftler so vor: Wie eine Art Sirup durchzieht das so genannte Higgs-Feld das gesamte Universum. Die Higgs-Teilchen sind quasi die beweglichen Teile dieses Feldes, ähnlich wie Photonen die Teilchen sind, die ein magnetisches Feld bilden.
Sämtliche anderen Elementarteilchen fliegen durch diesen Sirup und werden unterschiedlich stark davon gebremst. In dieser Trägheit zeigt sich ihre Masse: Lichtteilchen, die keine Masse haben, fliegen mit Lichtgeschwindigkeit ungebremst durch, andere Teilchen wie Protonen oder Elektronen werden stärker abgebremst.
«Das Universum ist dank dem Higgs-Feld in einem Zustand, der es Teilchen erlaubt, eine Masse zu haben», erklärt Incandela. Ohne dieses Feld - oder die Higgs-Teilchen - gäbe es keine Materie, also auch keine Planeten oder gar Menschen. «Für mich ist das bemerkenswert.»
Alte Fragen vor der Beantwortung
Dies sind laut Incandela wirklich alte Fragen, die nun vor der Beantwortung stünden. Schon vor 2400 Jahren hätten sich die Stoiker vorgestellt, dass ein Feld das Universum durchdringt, das alle Dinge verbindet. «Es ist erstaunlich, wie ähnlich dies zu unseren Ideen über das Higgs-Feld ist», sagt Incandela. Immer vorausgesetzt, dass die weiteren Untersuchungen bestätigen, dass es sich um dieses Teilchen handelt.
Aber auch wenn das neue Teilchen nicht das erwartete Higgs-Teilchen ist, bleibt es spannend. Dann würde es nämlich laut Dissertori nicht einfach das gängige Standardmodell bestätigen, mit dem Teilchenphysiker derzeit die Materie erklären, sondern über dieses hinaus führen.
Derzeit können die Physiker erst etwa 4 Prozent der Energie und Materie im Universum erklären. Mit einem völlig neuen, nicht vorhergesagten Teilchen könnten sie sich daran machen, die übrigen 96 Prozent zu verstehen. Dies wird sich in den nächsten Wochen und Monaten zeigen, wenn Atlas und CMS die Eigenschaften des Fundes genauer unter die Lupe nehmen.
SDA/fko
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