«Wir haben das Abenteuer vor der Türe»
Ivo Moosberger ist in zehn Monaten durch die Schweiz gewandert und hat dabei so manch ein Kunstwerk hinterlassen – inmitten der Natur. Nun erzählt er einer breiten Öffentlichkeit von seiner Reise.
Ivo Moosberger, was lieben Sie mehr – die Kunst oder die Natur?Ich mag beide, und es braucht beide. Ich baue Kunst übrigens nur an Orten, die mir auch gefallen. Ich möchte den Hintergrund, also die Natur, sprechen lassen. Meine Galerie ist die Natur.
Was verbindet Kunst und Natur?Mir ist die Natur Inspiration für meine Kunst. Ich suche in ihr nach Formen, Farben und Mustern, nach speziellen Steinen oder Blättern – die Natur liefert mir das Material.
In Ihrem Bildband «Naturschauspiele» haben mich die bunten Steine in der kargen Landschaft Tadschikistans sehr fasziniert. Die mussten Sie ja zuerst mal finden. Gehen Sie immer mit offenen Augen durch die Natur?Durch meine Kunst bin ich natürlich darauf programmiert, Details heranzuzoomen. Aber ich war auch schon immer ein Beobachter. Es braucht auf jeden Fall Zeit, will man die Natur als Quelle für Kunst wahrnehmen. Man muss sich öffnen, von anderen Gedanken lösen – es hat etwas Meditatives. Die Umsetzung in konkrete Kunst ist dann aber langwierig und oft auch handwerklich anspruchsvoll.
Sie sind inzwischen sehr erfolgreich mit Ihrer Naturkunst. Manche Tourneetermine sind ausverkauft. Haben Sie mit einem solchen Erfolg gerechnet?Niemals hätte ich mit einem solch grossen Interesse an meiner Arbeit gerechnet. Ich bin einfach gerne draussen unterwegs – die Naturkunst entstand aus der spielerischen Auseinandersetzung mit Naturmaterialien. Dass sich momentan so viele Leute für meine Präsentation interessieren, macht mich schon etwas baff.
«Ich war schon immer ein Beobachter.»
Handelt es sich bei Ihren Werken eigentlich um Land-Art oder Naturkunst? Heute ist Letztere ja viel häufiger anzutreffen als die ursprüngliche Land-Art aus den USA mit ihren teils grossen künstlichen Bauten.Ich glaube, beide Bezeichnungen funktionieren. In der Schweiz wird das Wort Land-Art noch oft verwendet. Der Begriff Naturkunst ist aber vielleicht etwas sympathischer.
Und eigentlich sind Sie ja nicht nur Künstler, sondern auch Sportler. Immerhin sind Sie monatelang durch die Schweiz und durch Asien gewandert. Haben Sie zuvor Ihre Kondition trainiert?Nein, ich bin einfach losgegangen, ohne mich körperlich vorzubereiten.
Sind Sie ein sehr spontaner Mensch?Ich denke schon (lacht). Aber ich bin auch hartnäckig. Nach drei, vier Wochen Wandern ist man dann fit – und der Rucksack scheint nicht mehr so schwer. Diese drei, vier Wochen muss man aber hinter sich bringen.
Was haben Sie alles erlebt auf Ihrer Wanderung?Gewitter, Föhnstürme, Sonnenuntergänge. Begegnungen mit Tieren und Menschen, Kaffeeeinladungen. Manchmal wurde ich mit Nik Hartmann verwechselt – die Leute fragten dann leicht enttäuscht: «Und wo bleibt jetzt das Kamerateam?» Alles in allem waren die Menschen sehr offen und interessiert. Doch meistens hörte ich zu: Viele erzählten mir aus ihrem Leben. Baute ich Steintürme oder Steinbögen auf, stiess ich ab und zu auf Unverständnis: Das fällt ja eh zusammen, hiess es dann.
Ihre Route führte Sie zickzack durch die Schweiz, sechsmal ging es ins Wallis, drei- bis viermal ins Tessin. Wo fanden Sie es am schönsten?Man findet in der Schweiz überall schöne Plätze. Das Bündnerland jedoch empfand ich als ideal zum Wandern und für meine Kunst. Es hat dort viele Steine, Hochebenen.
«Man findet in der Schweiz überall schöne Plätze.»
Sie schlugen Ihr Zelt mitten in der Natur auf. Wie war es, so viele Monate im Zelt oder unter freiem Himmel zu schlafen?Für mich wurde das Draussenschlafen schnell mal zum ganz normalen Alltag. Zugegeben, ein gewisses Urvertrauen ist da von Vorteil, aber das wurde mir in die Wiege gelegt. Meine Eltern übernachten heute mit 70 Jahren noch draussen, wenn sie mit Velo und Schlafsack unterwegs sind. Sie sind diesbezüglich noch extremer als ich. Auf meinen Wanderungen habe ich Zelt, Schlafsack, Matte, Kleidung und Kocher dabei. In den zehn Monaten durch die Schweiz habe ich vier Paar Wanderschuhe durchgelaufen.
Wie überlebt man in der Natur?Meine Reisen waren nie Survivaltrips. Ich habe mich teils schon aus der Natur ernährt, habe Pilze und Marroni gegessen oder Tee aus Brombeer- und Brennnesselblättern gebraut. Das ist selbstverständlich etwas Schönes. Aber: Ich habe auch Gummibärchen gegessen. Ich hatte Geld mit, brauchte allerdings nicht viel. Und natürlich hatte ich meine Kamera dabei. Für die Dokumentation. Ich bin kein anspruchsvoller Fotograf, aber ich warte einfach, bis das Licht stimmt – und das manchmal lange. Da ist dann öfter mal Verzweiflung mit im Spiel, weil Naturkunst ja jederzeit zusammenfallen kann.
Von der Schweiz abgesehen, durch welche Länder sind Sie sonst schon gewandert oder geradelt?Ein ganzes Jahr war ich in Asien unterwegs. Zuvor vier Monate im Mittelmeerraum. Neuseeland und das Nordkap durfte ich auch schon kennen lernen. Naturkunst fertige ich seit nun 20 Jahren an.
Wodurch hat sich Ihre Asien-Reise von jener quer durch die Schweiz unterschieden?In Asien waren wir mit dem Velo unterwegs. Wir befanden uns oft auf über 5000 Metern Höhe, die Strassenverhältnisse waren schlecht, und so mussten wir das Velo häufig stossen. Es war sehr anstrengend. Damals nahm ich mir vor, das nächste Mal ohne Velo und viel Gepäck zu starten. Aber natürlich passierten wir einmalige Landschaften, waren beispielsweise fasziniert von der Weite in Tibet.
«In üppiger Natur ist es schwieriger, ein Zeichen zu setzen.»
Sind karge Landschaften besser geeignet für Ihre Kunst?In üppiger Natur ist es schwieriger, ein Zeichen zu setzen. Mir ist es wichtig, dass es keine Häuser hat und keine Strassen – nur Natur und die Elemente zum Bauen.
Sie benützen Lehm, Stein, Federn. Was noch?Blätter, Holz, Weidenruten, Beeren. Ich stelle damit Urformen her, Kreise, Spiralen, Bögen. Zuerst schaue ich, dann spiele ich mit der Natur – weshalb ich mein Buch auch mit «Naturschauspiele» betitelt habe. Ich glaube, viele Menschen haben ein grosses Bedürfnis nach Einfachheit. Das Leben in der Natur und die Auseinandersetzung mit deren Materialien fasziniert.
Wie vergänglich ist Ihre Kunst?Es gibt Steinbögen, die halten nur einen Augenblick. Andere Werke können aber vielleicht Hunderte Jahre bestehen, in flachen und einsamen Hochebenen etwa. Ein Lieblingsplatz von mir ist auf 3000 Metern Höhe am Lajet da Lischana, einem See im Bündnerland. Dieser Ort erinnert mich an Tibet – ich habe dort weisse Steine kreisförmig angeordnet. Man sieht diese Steinringe sogar auf dem Satellitenbild.
Ist die Vergänglichkeit der Naturkunst auch beabsichtigt?Ich nehme sie in Kauf. Als Kind sammelte ich immer Steine und Muscheln und merkte irgendwann, dass diese zu Hause an Wert verlieren. Weil sie inmitten der Natur am schönsten sind. Natürlich ist die Vergänglichkeit ein Bestandteil der Naturkunst. Aber ich habe ja meine Fotodokumentationen – das reduziert die Flüchtigkeit. Und: Auch das Zusammenfallen eines Naturkunstwerks ist ein spannender Prozess. Ohne dieses Spiel mit der Vergänglichkeit würde die Naturkunst ihren Reiz verlieren.
Wie kommen Sie eigentlich auf die Formen und Figuren, die Sie inmitten der Natur kreieren?Ich habe selten einen Plan im Kopf. Ich baue und bilde so, als würde ich ein Gedicht schreiben.
Und wie sieht Ihre Livereportage aus?Ich gebe zu, dass ich ein kleines bisschen Lampenfieber hatte angesichts der Tournee. Bislang hatte ich nur mit meinen Steinen geredet. Aber Spass beiseite, ich erzähle von meiner Wanderung durch die Schweiz von meinen vorherigen Reisen, von meiner Naturkunst. Ich erkläre, wie man Steinbögen baut. Ich präsentiere Landschaftsbilder zu Musik, die ich zusammengestellt habe.
«Ich gebe zu, dass ich ein kleines bisschen Lampenfieber hatte angesichts der Tournee. Bislang hatte ich nur mit meinen Steinen geredet.»
Sie referieren vor einer Menge Menschen. Wie gefiel Ihnen im Gegensatz dazu das Alleinsein auf Reisen?Anfangs fällt einem das Alleinsein sehr schwer. Unter anderem deshalb, weil man seine Freude nicht teilen kann. Nach rund drei Wochen hat man sich jedoch daran gewöhnt. Es ist im Übrigen ein erstaunlich schönes Gefühl, wenn das Mitteilungsbedürfnis übers Handy und die Reizüberflutung nachlassen. Aber man muss Geduld haben, bis sich dieser Zustand einstellt.
Und irgendwann kehrt man zurück in die Gesellschaft mit all ihrem Trubel...Das fiel mir nicht schwer. Ich arbeite in einem Grossraumbüro und habe Menschen gern. Und an einen vollen Kühlschrank gewöhnt man sich schnell. Ich liebe Gegensätze und wagte mit der Wanderung ein Experiment. Das ich jederzeit wiederholen würde.
Was fasziniert Sie am einfachen Leben?Es ist ehrlich und klar. Es ist sehr reizvoll, das Wichtige im Unscheinbaren zu sehen.
Mir fällt in diesem Zusammenhang das Buch von Jon Krakauer ein, «Into the Wild», das die wahre Geschichte des jungen Aussteigers Christopher McCandless beschreibt, der schliesslich in der Wildnis von Alaska verhungert ist.Ich kenne das Buch und auch den Film von Sean Penn. Ich war allerdings nie ein Aussteiger auf dem Selbstfindungstrip. Aber das Schicksal von Christopher McCandless packt einen, das stimmt. Und: Es kann auch in der Schweiz gefährlich werden – man muss schon aufpassen. Eines Abends habe ich mich beispielsweise mal an einem Bach in einer Schlucht gewaschen und dann festgestellt, dass der Weg hoch nicht mehr so einfach war wie der nach unten. Und im Waadtland habe ich eine Nacht in einer Baggerschaufel verbracht, nachdem mir klargeworden war, dass ich mein Zelt in militärischem Schiessgebiet aufgestellt hatte. Doch abgesehen von Lawinen, Mücken, Zecken und Sumpf ist die Schweizer Natur nicht sehr feindselig.
Haben Sie eigentlich viel Humor? In Ihrem Buch heisst Ihr Rucksack Jochen und der Schlafsack Jutta...Humor braucht man zum Überleben. Wenn man allein unterwegs ist... (lacht). Jutta hat inzwischen etwas Federn gelassen. Und Hermine, das Teekännli, gibts nun bei meinen Vorträgen zu kaufen. Es kommt aus China, und man kann damit sowohl Brot backen als auch Kaffee kochen.
«Ich versuche die Dinge ganzheitlich zu verstehen. Und nehme mich selber nicht allzu ernst.»
In Ihrem Buch steht der Satz «Solange der Geist Nahrung hat, vergisst der Körper den Hunger». Die Brötchen konnten also auch mal warten?Der Satz bezieht sich auf ein Erlebnis auf dem Sanetschpass, als ich für ein Foto drei Tage auf gutes Licht gewartet habe. Der Proviant war aufgebraucht, der Magen knurrte, doch glücklicherweise vergass ich meinen Hunger. Alles in allem ist meine Philosophie: Wir haben das Abenteuer vor der Türe. Wir müssen nicht um die Welt jetten dafür. Die Entwicklung kann so nicht weitergehen: Bio essen, aber ins Flugzeug steigen, wann immer man will. Aber auch ich habe eine beheizte Wohnung und meine Kinder Plastikspielzeug. Es gilt das richtige Mass zu finden.
Nach Ihren Erfolgen – wären Sie da gerne hauptberuflich Künstler, oder ist Ihr Leben, so wie es jetzt ist, für Sie perfekt?Als Landstreicher und Naturkünstler ist man oft allein unterwegs. Als Polygraf bin ich mit vielen Menschen im Austausch. Beides macht mir viel Spass.
Sie wirken sehr ausgeglichen.Ich versuche die Dinge ganzheitlich zu verstehen. Und nehme mich selber nicht allzu ernst. Der Rest ergibt sich von selbst.
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