
Am Freitag habe ich die allerletzte Episode von «The Americans» geguckt und schrieb in einen Whatsapp-Chat mit Film- und Serien-affinen Freunden: «Was für ein untypisches Finale, was für eine Serie! Da verblassen ‹Breaking Bad›, ‹Sopranos› und ‹Mad Men›. Bin ganz benommen.» Am Samstag guckte ich ein paar Folgen von «Colony» und am Sonntagmorgen das Staffelfinale von «Killing Eve». Danach las ich die «NZZ am Sonntag» – und traute meinen Augen nicht: «Serien haben den Zenit überschritten, das Kino ist zurück» stand da über einem Artikel.
Ungläubig machte ich mich an die Lektüre und erfuhr, dass immer mehr miese Serien auf den Markt gespült würden und man eine gute Produktion wie die Nadel im Heuhaufen suchen müsse. Ausserdem guckten die Leute nicht mehr gleichzeitig dieselben Serien, was dem «intelligenten Tischgespräch» abträglich sei. Kurz: Früher war alles besser. Gleichzeitig hob der Autor zu einer Lobeshymne auf das Arthouse-Kino an. Dieses entziehe sich vermehrt dem Zwang zum hochtourigen Erzählen und setze auf Entschleunigung.
Vermehrt? Seit ich mich erinnern kann, erzählt das Arthouse-Kino langfädige Dramen über Randständige und Verlierer; afghanische Mädchen, die sich als Jungen ausgeben oder schüchterne dänische Handwerker, die sich in die Töchter von chinesischen Restaurantbesitzern verlieben. Hauptsache, der Zuschauer kriegt das Gefühl, er verstehe nun, wie die Welt im Innersten ist: Ungerecht nämlich, aber wenigstens ist es eine ästhetische Ungerechtigkeit. Manchmal, wie im Fall von Lav Diaz' «A Lullaby to the Sorrowful Mystery», dauern solche Filme acht Stunden. Ausser den Filmkritikern haben sich die Zuschauer im Kino wohl gewünscht, dass der Film als Serie herausgekommen wäre.
Etabliertes Format
Nun ist es einfach, sich über die Spleens und Nischigkeit von Arthouse-Filmen lustig zu machen – Roger Köppel hat das im Artikel «Der Scheissfilm» abschliessend getan. Aber der Vergleich zwischen Serien und Arthouse-Filmen ist sinnlos, geradeso gut könnte man behaupten, Pingpong sei doch eigentlich besser als Tennis. Fakt ist: Serien sind weder Geheimtipp noch Feuilletonschreck mehr, sondern gehören zum Kultur- und Unterhaltungsangebot wie Filme, Musik oder Bücher. Die Schwemme an neuen Produktionen ist nicht der Beweis für eine Inflation, sondern dafür, dass das Format sich etabliert hat.
«Heute ist die Begeisterung einer Ermüdung gewichen. Wie oft folgte auf eine starke erste Staffel – etwa bei ‹Homeland› und ‹True Detective› – eine schwache zweite?» raunt es im NZZ-Artikel. Nun: Wie oft bricht man einen Roman vorzeitig ab, weil er nach den ersten paar Kapiteln enttäuscht? Anders gesagt: Dass mit steigender Anzahl an Serien auch mehr schlechte Werke produziert werden, ist nur logisch. Dito für den «Neuigkeitscharakter», der sich «abgenutzt» habe. Natürlich hat er das nach so vielen Jahren! Doch Leute, die nur Serien guckten, weil es sich um ein neues Format handelte (oder weil sie an intellektuellen Tischgesprächen mitreden wollten), haben das Tolle an Serien nicht verstanden: Es ist eben nicht nur eine gestreamte Variante eines Romans oder eines Films. Eine gute Serie wird über Jahre Teil des Lebens der Zuschauer, die Figuren zu Freunden oder Feinden, deren Handlungs- und Sprachmuster manchmal gar ins richtige Leben einfliessen.
«Wann hat man überhaupt zum letzten Mal eine Serie gesehen, die so begeisterte wie ‹Mad Men› & Co?» heisst es im NZZ-Text. Die Frage ist rhetorisch gemeint, sie sei trotzdem gerne beantwortet: Bei den eingangs erwähnten Serien – sowie bei «Black Mirror», «Westworld», «Fleabag», «Crazy Ex-Girlfriend», «Les Revenants», «Twin Peaks», «Atlanta», «The Good Place», «Search Party», «The Terror», «Master of None», «La Casa de Papel», «The Expanse» oder «The Handmaid's Tale». Um nur ein paar zu nennen.
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