TV-Ansprache am MontagabendWie Putin mit einer Wutrede die Entsendung von Truppen begründet
Die Rede des Kremlchefs geriet dramatischer und emotionaler als erwartet. Dem Präsidenten geht es um viel mehr als nur den Donbass.
Der Kreml hatte Wladimir Putins TV-Ansprache recht kurzfristig angekündigt. Das Staatsfernsehen übertrug abends noch die feierliche Rückkehr der russischen Olympioniken, es wurden Fahnen geschwenkt, Sieger bejubelt, die Nationalhymne gesungen. Eine bildgewaltigere Hinführung hätte sich Putin kaum wünschen können für seine Rede, in der es um die von russischen Streitkräften umstellte Ostukraine gehen sollte.
«Von denen, die die Macht in Kiew ergriffen haben, fordern wir, die Kampfaktionen sofort einzustellen.»
Er endet mit einer direkten Warnung: «Von denen, die die Macht in Kiew ergriffen haben, fordern wir, die Kampfaktionen sofort einzustellen.» Andernfalls sei das in der Ukraine «herrschende Regime» verantwortlich für «eine mögliche Fortsetzung des Blutvergiessens». Das liess schon deswegen nichts Gutes erahnen, weil der Kreml die Lage seit Wochen so darstellt, als plane die Ukraine einen Angriff auf die Separatistenrepubliken im Donbass. Tatsächlich ordnete Putin noch in der Nacht an, Truppen in die Ostukraine zu senden.
Der Westen lenkt die Ukraine, sagt Putin
In seiner Rede holt Putin weit aus, beginnt mit einem ausführlichen geschichtlichen Exkurs: Die «moderne Ukraine wurde ganz und vollständig von Russland geschaffen, genauer gesagt, vom bolschewistischen, kommunistischen Russland». Er hat früher schon Ähnliches geäussert, hat beschrieben, wie die Bolschewiki der Ukraine in den 1920er-Jahren angeblich russisches Territorium schenkten. Offenbar leitet er daraus das Recht ab, Kiews Loyalität gegenüber Moskau zu verlangen. Nun spricht Putin davon, dass der russische Revolutionsführer Lenin «Verfasser und Architekt» der Ukraine gewesen sei.
Dann sagt er, an die Ukraine gewandt: «Ihr wollt eine Dekommunisierung? Wir sind nicht dagegen. Wir sind bereit zu zeigen, was eine echte Dekommunisierung ist.» Es hört sich wie eine Drohung an.

Den zweiten Teil seiner Rede widmet er der Gegenwart und behauptet, die heutige Ukraine habe «nie eine eigene Staatlichkeit» besessen. Der russische Präsident hat schon öfter durchblicken lassen, dass er die ukrainische Regierung nicht für regierungsfähig hält. Nun reiht er erneut einen unbelegten Vorwurf an den nächsten: Kiew würde Moskau berauben, Gaslieferungen nicht bezahlen, Korruption zersetze «das ganze System, alle Machtzweige» im Nachbarland.
Putin behauptet nicht nur, dass der Westen 2014 die Proteste in der Ukraine bezahlt habe. Die Revolution von damals habe dem Land keine Demokratie gebracht, sondern es in eine wirtschaftliche und soziale Krise gestürzt. Dass vor allem der aus Moskau gesteuerte Krieg in der Ostukraine das Land destabilisiert hat, erwähnt er nicht. Er bezeichnet die Regierung in Kiew als «Marionettenregime» des Westens. Der lenke nicht nur alle wichtigen Personalentscheidungen in Kiew, sondern auch ukrainische Gerichte und staatliche Unternehmen wie den Energiekonzern Naftogaz.
Auffällig, wie wenig Putin über den Donbass selbst spricht
Und natürlich, behauptet Putin, nutze der Westen die Ukraine längst militärisch, die Nato habe bereits als Ausbildungsmissionen getarnte Stützpunkte im Land. «Die USA und die Nato haben schamlos begonnen, das Territorium der Ukraine als Schauplatz möglicher Kampfaktionen zu erschliessen», behauptet Putin.
Ein Nato-Beitritt der Ukraine, der aus Nato-Sicht noch über Jahre nicht spruchreif sein wird, bezeichnet Putin nun als «eine ausgemachte Sache». Mit diesem Beitritt würde «die Gefahr eines plötzlichen Angriffs auf unser Land um ein Vielfaches zunehmen», warnt er die Fernsehzuschauer. Die Ukraine könnte mit westlicher Hilfe sogar bald Atommacht werden, behauptet Putin.
Auffällig ist, wie wenig Putin in seiner Rede über den Donbass selbst spricht – und über den angeblichen Genozid dort, von dem er während der gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundeskanzler Olaf Scholz noch fabuliert hatte. Im Anschluss an die Rede unterzeichnete er zwar, wie erwartet, zwei Freundschaftsverträge mit den sogenannten «Volksrepubliken» Donezk und Luhansk, die längst aus Moskau kontrolliert werden. Wie weit Putin bereit ist zu gehen, ist nach seiner Rede aber immer noch beängstigend offen.
Fehler gefunden?Jetzt melden.