Les Passions de l’Âme feiern JubiläumWie man ein Orchester vom Sockel holt
Zum 15. Geburtstag spielt das Berner Ensemble Beethovens fünfte und sechste Symphonie. Mitglied Rachel Stroud sagt, warum das Unperfekte dabei wichtig ist.

«Natürlich diskutieren wir während den Proben!», sagt Rachel Stroud. «Wir erproben gemeinsam verschiedene Möglichkeiten, ohne eine definitive Fassung in Stein zu meisseln.» Stroud ist Mitglied des Berner Orchesters Les Passions de l’Âme, das seit seiner Gründung unter der künstlerischen Leitung von Meret Lüthi steht. «Sie ist sehr spontan in der Performance, dadurch ist jedes Konzert aufregend und frisch», so Stroud.
Eigentlich wenig erstaunlich für ein Orchester, das in seinem Namen verspricht, die Seelen zu bewegen. Und so minutiös, wie Descartes in seinem gleichnamigen Aufsatz vor fast 400 Jahren die Funktionsweisen unserer Emotionen analysierte, studieren auch Les Passions de L’ Âme seit 15 Jahren mit minutiöser Genauigkeit historisch informierte Konzertprogramme ein, um diese dann mit Leidenschaft auf die Bühne zu bringen.
Konzerte fürs Wohnzimmer
Platz für Kreativität gibt es auch im neusten Projekt. «Beethoven lässt in seinen Kompositionen enorm viel Interpretationsspielraum offen, den wir bei Probe und Aufführung immer wieder aufs Neue ausloten», schwärmt Stroud. Das Ensemble hat im Dezember 2022 einen vollständigen Zyklus aller Beethoven-Symphonien begonnen – zum 15. Geburtstag geht es nun weiter mit der fünften und der sechsten Symphonie.
Die Neunte ist als krönender Abschluss für das 20-Jahr-Jubiläum im Herbst 2028 geplant. Stroud: «Dieses Projekt ist auch eine gute Metapher für Les Passions de L’ Âme. Jede der neun Symphonien Beethovens ist einzigartig, wie auch jedes unserer Projekte, mit eigenen kreativen Ambitionen und künstlerischer Stimme.» Stroud muss es wissen, spielt sie doch seit beinahe zehn Jahren im Orchester mit. Ausserdem hat sie promoviert zu Fragen von Notation und Aufführungspraktiken in Beethovens späten Streichquartetten.
Stroud möchte nicht nur historisch, sondern auch sozial informierte Konzerte aufführen, die den Kontext der Epoche widerspiegeln. Deshalb überzeugt sie Lüthis Konzeption für den Beethoven-Zyklus, in dem am Samstag die beiden Symphonien als Kammermusikfassung und erst am Sonntag in symphonischer Gestalt zu hören sind. «Die kleineren Kammermusikfassungen, eher für das Wohnzimmer als für den Konzertsaal bestimmt, waren zu Beethovens Zeiten viel zugänglicher.»
«Es braucht die Imperfektionen, die Löcher und Unebenheiten, die wir im Livespiel auf historischen Instrumenten finden.»
Ohne Partituren oder CD-Aufnahmen lernten zu jener Zeit viele Menschen die Musik nur so kennen. «Durch Spielen und Diskussion statt durch stilles Zuhören. Unser Salon-Konzert wird das Publikum auf dieselbe Art für sich einnehmen», sagt die Musikwissenschaftlerin. Das Orchester werde damit auch symbolisch vom hohen Sockel runtergeholt: «Die Musizierenden haben zu Beethovens Zeit den Sinn der Musik während des Konzerts zusammen mit den Zuhörenden hergestellt. Wir möchten es ihnen gleichtun.»
Die Musikerin glaubt, dass das Experiment am Samstag auch Beethoven gefallen hätte. Denn er hat seine Musik nie als statisch verstanden, im Gegenteil: Er scheute sich nicht davor, seine Stücke laufend zu verändern. Der Komponist nutzte seine Kammerensembles als Laboratorium für kreative Experimente und nahm oft nach Salonabenden Änderungen an seinen Partituren vor. Erst nach Fertigstellung der Partitur, vermutlich nach einer Probe, fügte er beispielsweise der dritten Note der fünften Symphonie einen weiteren dicken Takt hinzu, um sie noch lauter und länger klingen zu lassen – womit erst im Nachhinein die berühmte Eröffnungsphrase geboren war.
Teil einer langen Reise
Aber gibt es zu Beethovens Symphonien, die schon so oft gespielt wurden, aus musikalischer Sicht überhaupt noch irgendetwas Neues hinzuzufügen? «Grundsätzlich ist sowieso jedes Konzert ein einzigartiger Event. Kein kreativer Akt kann zweimal passieren», kontert Stroud. Ausserdem fände jede Epoche einen eigenen Zugang zu Beethoven. Während in den 1960er-Jahren das Augenmerk auf Melodiebögen und harmonischem Zusammenhalt lag, suchen modernere Orchester nach schockierenden, disruptiven Interpretationen.
Was sagt also die Beethoven-Interpretation von Les Passions de l’Âme über das 21. Jahrhundert aus? Stroud: «Wir leben in einer von digitalen Medien geprägten Epoche. Da braucht es gerade die Imperfektionen, die Löcher und Unebenheiten, die wir im Livespiel auf historischen Instrumenten finden. Als Gegensatz zu perfekt manikürten Aufnahmen, und um diese unsterbliche Musik wieder menschlicher zu machen.»
Sie sieht in der Arbeit des Orchesters ohne Dirigentin oder Dirigent, aber mit gleichwertigen Beteiligten aus verschiedensten Ländern zudem einen Prozess der demokratischen Entscheidungsfindung, an dem sich die Politik gerade in der heutigen Zeit ein Beispiel nehmen könnte.
Casino Bern, Samstag, 4. März und Sonntag, 5. März, jeweils 19.30 Uhr
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