Serie InkognitoWie «Gasterngranit» erschien dieser Dichterin ihre Sprache
Wer war die Berner Oberländer Lehrerin, die mit Freude in der Schulstube stand und sich in ihren literarischen Werken den Namen «Chüngold» gab?

«Un umhi still am Wäg zergiit es Plächi Ysch im Schnee. Das Triib, wan ig süsch gsuecht hat, giit, i wiiss’s der Wäg net meh», heisst es in einem von ihren bekannteren Gedichten. Das Wort «Triib» bedeutet so viel wie Spur – vielleicht die eines geliebten Menschen. Lange lagerte das umfangreiche literarische Erbe der 1973 verstorbenen Berner Oberländer Schriftstellerin in grauen Schachteln im Amtshaus ihres Heimatdorfs. Vor einigen Jahren wurde der reiche Schatz gehoben – und es entstand daraus ein 2016 erschienenes Lese-, Bilder- und Hörbuch.
Das Buch markierte den Auftakt zu einer auf mehrere Bände angelegten Neuedition ihres vergriffenen Werks. Ihr Medium war die Frutigtaler Mundart. Wie «Gasterngranit, über den leicht im Fluss der Rede die silbernen Wellen plätschern», erschien der Dichterin das Frutigdeutsch.
In Bern wurde das «Miitschi win andru» zur Lehrerin ausgebildet und vom Germanisten Otto von Greyerz zum Schreiben in ihrer Muttersprache ermutigt.
Sie wuchs als fünftes Kind eines Bergbauern in kargen Verhältnissen auf. In einem selbst verfassten Lebenslauf blickte sie 1964 zurück auf ihr Leben: «Krankheit in der Stube, Unglück im Stall warfen wohl ihre Schatten auf unseren Arbeitstag, aber sie vermochten nicht, das Glück meines jungen Lebens ernstlich zu trüben.»
In Bern wurde das «Miitschi win andru» zur Lehrerin ausgebildet und vom Germanisten Otto von Greyerz zum Schreiben in ihrer angestammten Muttersprache ermutigt. Im Berner Oberland wirkte sie viele Jahre als Lehrerin, namentlich in Adelboden, an der Lenk und in Kien. «Ich habe es nie bereut, den Beruf einer Lehrerin gewählt zu haben», schrieb sie in einer Rückschau. «Bis zum letzten Monat, da ich in meiner Schulstube stand, war mir Lehren und Erziehen eine Freude.»
Die Mitte der Welt
Auch wenn die zeitlebens unverheiratet gebliebene Dichterin Anregung oft aus ihrem engsten Lebensumfeld schöpfte, so haftet ihren Werken etwas Universelles an. In ihrer autobiografisch grundierten Mundarterzählung «Chüngold» (1950) schildert sie das Aufwachsen eines Bergbauernmädchens auf der Schwelle zum 20. Jahrhundert. Die sensible und grübelnde Chüngold versucht in einer von traditionellen Werten geprägten alpinen Welt ihren eigenen Lebensweg zwischen Wissensdurst und Heimatverbundenheit zu gehen.
Heimweh war auch ein bedeutender Schreibimpuls: «Wenn ich von der Sonnseite erzählte, so lebte ich ja in Gedanken dort oben, in meinem Jugendland.» Nicht zuletzt war «Chüngold» ein wegweisendes Stück Mundartliteratur, weil hier erstmals aus einer weiblichen Perspektive erzählt wurde.
Ihrer Berner Oberländer Heimat blieb sie immer eng verbunden, die Schweiz erkundete sie auf zahlreichen Velotouren, sie liebte Bergwanderungen und sonntägliche Skifahrten. Im Ausland war sie nicht oft, stets plagte sie bald die Sehnsucht nach zu Hause: Einmal fuhr sie mit dem Rad den Rhein entlang abwärts durch Holland, Belgien und Nordfrankreich. Die Mitte der Welt, die fand sie in ihrem Tal: «Isch net mys Tal, öes Dorf emitts, / mitts in der Wäld? U was süscht git’s / wa wärt u wichtig weä win das? / Wa weäscht im Läbe sövel baas?»
Ja, wo wäre es einem im Leben sonst so baas, so wohl? Wer war die Frau, die in ihrem Lebenslauf bilanzierte, wenn sie ihr Leben überdenke, «so glaube ich, dass alles gut war, wie es war»?
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