«Helvetic Kitchen»Eine Kanadierin mischt in Trubschachen Schweizer Güezi auf
Backen in einer heilen Welt, wo die Butter frisch ist und der Mehlsack gross: Andie Pilot wirft einen frischen Blick auf die Schweizer Tradition.

Die schneebedeckten Hügel und Wiesen glitzern, wie sie es eben tun, wenn es über Nacht geschneit hat, und trotzdem hat die Szenerie schon fast etwas absurd Romantisches. Trubschachen sieht aus, als ob es für ein Wintermärchen hergerichtet wurde.
Vielleicht hat es ja auch damit zu tun: Trubschachen ist der Güezi-Hotspot im Kanton Bern. Kambly bäckt im grossen Stil – und da ist auch noch Andie Pilot, Food-Bloggerin und Kochbuchautorin. Die 39-Jährige lebt am Hang, und auf dem Weg zu ihrem Haus knirscht an diesem Sonntagmorgen Eis und Schnee unter den Winterstiefeln.
Ihre Küche duftet weihnächtlich. Sie bäckt gerade Birnenhonig-Cookies – in Anlehnung an die Ingwer- und Melassegüezi, die sie als Kind in Kanada so gern gegessen hat. Nur die Melasse ersetzt sie jeweils mit Birnel. Unnötig, zu sagen, dass, was umwerfend riecht, auch zum Niederknien schmeckt (die Güezi sind noch warm!).
«Warum machst du ein Güezi-Buch? Wir haben Betty Bossi!»
Das Rezept für die Cookies ist in Andie Pilots Buch «Schweizer Guetzli» zu finden. Die englische Version heisst «Swiss Cookies». Denn die Bloggerin verbindet ihre beiden Welten auf wunderbare Art und Weise: Aufgewachsen ist sie in Calgary, Kanada, ihre Sommerferien verbrachte sie am Walensee bei den Verwandten ihrer Mutter – und lernte schon früh kulinarische Eigenheiten des Landes kennen, was eine Wähe ist, zum Beispiel, oder ein Coupe Dänemark.
Es begann mit einem Fondue
Andie Pilot machte ihre Ausbildung zur «pastry chef», dem kanadischen Pendant zur Patissière. Und reiste 2010 in die Schweiz, um hier als Konditorin zu arbeiten. Was sich als schwierig herausstellte: Ihr fehle eine – Schweizer – Lehre, wurde ihr in Bern, wo sie sich niederliess, gesagt, und so schlug sie sich mit Gelegenheitsjobs durch. Zum Beispiel arbeitete sie bei Stauffacher in der Abteilung für englische Bücher und gab Englischunterricht. Und kochte und backte nebenbei. Seit 2017 wohnt sie im Emmental.
Es begann mit einem Fondue: Ihre Freundinnen in Calgary wollten wissen, wie das genau geht. Also startete Andie Pilot einen Blog. Begann, die Rezepte ihrer Grossmutter (die aus Rüfenacht bei Bern stammte) umzusetzen, auch jene ihrer Mutter (deren Spitzbuben und Zimtsterne in Calgary legendär waren) oder ihrer Tante Vreni (das Birchermüesli), alles typische Schweizer Gerichte und Backwaren.

Als sie vor fünf Jahren mit ihrem Schweizer Mann nach Trubschachen zog, hatte sie bereits eine schöne Sammlung an Rezepten. Die Vorbesitzer des Hauses, in dem sie heute mit ihm und ihrer kleinen Tochter lebt, liessen ausserdem einen Korb mit alten Kochbüchern da, einige hat sie auch im Laufe der Jahre bekommen.
Wie schön, dass es hier 5-Kilo-Packungen Mehl gibt!
«Das Butter-Buch» zum Beispiel, «es mutet heute ein bisschen sexistisch an», sagt sie, «es zeigt, wie eine Hausfrau zu sein hatte». Sie liebt es trotzdem, auch weil sie Butter liebt. Das klingt jetzt seltsam, ist aber nur logisch: Für jemanden, der regelmässig bäckt und kocht, ist das Emmental ein Schlaraffenland, die Butter frisch, und das Mehl kommt aus der regionalen Mühle Haldemann (die auch an Kambly liefert).
«Es ist grossartig», sagt Andie Pilot, «man wird hier so verwöhnt, was Lebensmittel angeht.» Sie zeigt auf einen Mehlsack. In Kanada, sagt sie, kaufe man 5- oder gar 10-Kilogramm-Packungen. Sie sei glücklich, dass sie dies im Emmental auch tun könne. Denn sie braucht viel davon zum Backen.

Ein Backbuch. Natürlich war da jemand, der fragte: «Warum machst du ein Güezi-Buch? Wir haben Betty Bossi!» Verunsichern liess sich Pilot davon nicht. Sie versuchte einfach, einen neuen Dreh zu finden, ältere Rezepte zu verwenden oder ihnen den kanadischen Twist zu geben – wie bei den Birnel-Cookies.
Das erste Buch, das Andie Pilot herausbrachte, war «Helvetic Kitchen», es trägt den gleichen Namen wie ihr Blog. Sie illustrierte es selber. Es war so erfolgreich, dass es eben gerade neu aufgelegt wurde, jetzt mit Fotos (auch diese hat sie alle selber gemacht). Darin finden sich Capuns aus Graubünden, Zigerhörnli aus dem Kanton Glarus oder Toast Hawaii.
Was ist ein Znüni?
Die Kanadierin bietet darin auch Hilfestellung für Expats, indem sie zum Beispiel erklärt, was ein «Znüni» ist: 1. «a light snack eaten at nine in the morning» (ein leichter Snack, der morgens um neun gegessen wird); 2. «when your local Migros is suddenly overrun with students buying Gipfeli and Wähen» (Die Zeit, in der die lokale Migros von Studentinnen und Studenten überrannt wird, die Gipfeli und Wähen kaufen).
Eine wunderschöne Sammlung – und «hilarious» (urkomisch), selbst für alle, die in der Schweiz aufgewachsen sind. Dasselbe gilt für «Drink like the Swiss», in dem sie mit fast hundert Rezepten auf die gleiche humorvolle Art beschreibt, was und wie wir in diesem Land trinken.
Letztes Jahr hat sich eine andere, ziemlich erfolgreiche Autorin bei Helvetic Kitchen bedient: Die Britin Julie Caplin ist spezialisiert auf sogenannte Escape-Romantik-Romane, in denen eine Hauptfigur, meistens eine Frau, romantische Abenteuer besteht. Für ihr «Das kleine Chalet in der Schweiz» lieh sich Caplin Rezepte von Pilots Blog. Nicht einfach so, sie habe sehr freundliche Mails geschrieben, sagt die Kanadierin über die Engländerin, und im Roman ist auch erwähnt, von wem das Rezept des Kirschenkuchens wirklich stammt: von Andie Pilot (Julie Caplin betrieb ihre Recherchen Corona geschuldet ausschliesslich von England aus). (Lesen Sie hier mehr darüber.)
«Aber alles ist viel kleiner»
Andie Pilot kocht manchmal, was sie schon in ihrer alten Heimat gekocht hat: Chilis oder Wraps und dergleichen, klar. Aber sie liebt das Essen in der Schweiz, vor allem aus dem Emmental. Weil hier die Landschaft kanadisch anmutet? Schon auch, sagt die Patissière, das Gleiche sei es trotzdem nicht. Zwar kann sie hier etwa Ski fahren wie in Calgary, «aber alles ist viel, viel kleiner». Und die Milch ist besser. Und das Joghurt. «Was man in Kanada erhält, hat nichts mit Joghurt zu tun!»
Das erzählt sie auch den amerikanischen Touristinnen, die sie manchmal herumführt. Sie hat «fingers in all the pies», die Finger in verschiedenen Pies, wie sie sagen würde. Oder tanzt auf verschiedenen Hochzeiten: Sie übersetzt auch Rezepte für die Vereinigung Urdinkel und gibt an der Volkshochschule Backkurse – auf Deutsch. Das sei, sagt sie in perfektem Hochdeutsch, ein super Training für sie.
Auf dem Küchentisch stehen Orangen bereit, einige weisen schon ein schönes Muster auf. Andie Pilot hat sie streifenweise geschält. Sie macht Candied Peel, Streifen aus den Schalen, die sie kandiert. Man kann sich gut vorstellen, wie das dann riecht. Man kann sich auch denken, wie gut diese Orangenschalen, die mit ein wenig Fantasie wie zauberhaftes (und essbares!) Lametta aussehen, in diese Landschaft von Güezi und allerhand anderen Leckereien passen. In diese zweite Heimat von Andie Pilot, wo sie sich bestens aufgenommen fühlt.
Die Bücher: «Helvetic Kitchen – Swiss Cooking» (nur engl.), Verlag Bergli; «Swiss Cookies» und «Schweizer Guetzli», beide Verlag Helvetiq; «Drink like the Swiss» (nur engl.), Verlag Bergli; Blog: www.helvetickitchen.com.
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