Wie die Karte ins Navi kommt
Wie kommt eine Strasse ins Navigationsgerät? Über einen langen Weg. Und der beginnt mit einer Fahrt in einem Camper mit Kameras.
Auf den ersten Blick sehen sie aus wie ein junges Paar auf Ferienfahrt. Wer sich das Wohnmobil, in dem Gudrun und Stijn unterwegs sind, aber genauer anschaut, stutzt: Wozu sind darauf Kameras montiert? Dann sticht der orange Balken mit der Webadresse ins Auge. Und darunter entdecken alle misstrauischen Verkehrsteilnehmer eine Erklärung: «Wir kartografieren die Welt für Ihr Navigationsgerät.»
Gudrun Vanlaar und Stijn Ulenaers fahren in einem umgebauten Camper durch Europa und sammeln den Rohstoff, aus dem Karten hergestellt werden. Ihr Arbeitgeber ist Tele Atlas, nebst Navteq der weltweit führende Navigationsdatenanbieter. Die niederländisch-belgische Firma, die jüngst vom Navigationssystemhersteller Tomtom gekauft worden ist, lizenziert ihre Daten an viele Fabrikanten von GPS-Geräten. Aber nicht nur: Zu den Kunden gehören auch etwa das Bundesamt für Verkehr, Transport- und Logistikunternehmen und der Internetgigant Google. «Unsere Arbeit?», fragt Stijn. Die demonstrierten sie am besten unterwegs. Er öffnet die Campertüre. Links befindet sich die Küche, hinten das Bett, geradeaus der Tisch. Ungewöhnlich ist nur das Technik-Rack rechts.
Strassen fotografieren
Gudrun setzt sich ans Steuerrad, Stijn nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Während der Camper vom Rastplatz rollt, werden auf dem Monitor vor Stijn erste Fotos eingeblendet. Die sechs auf dem Auto montierten Kameras machten je alle sechs bis acht Meter ein Bild, erklärt er. Die Fotos werden automatisch mit den Koordinaten des Aufnahmeorts ergänzt, die mit einem sensiblen GPS-Empfänger, mit Distanzmessgerät und Höhenmesser erhoben werden. Dann werden sie auf der grossen Festplatte im Rack gespeichert. Während der Fahrt kontrolliere er stets, ob die Fotos gut seien, sagt Stijn. «So können wir reagieren, wenn Wassertropfen die Linse verschleiern oder die tief stehende Sonne blendet.» Denn sind zu viele Bilder unbrauchbar, wird die Arbeit abgewiesen. «Wir müssten zurück an den Start.»
Stijn lotst Gudrun anhand der auf dem Monitor eingeblendeten Karte über jene Strassen, die der Auftraggeber neu erfasst haben will. Heute ist die Autobahn mit ihren Zubringern an der Reihe. Gudrun lässt keine Ausfahrt aus, dreht bei jedem Kreisel eine Extrarunde, nimmt die nächste Einfahrt. Über den Monitor flimmert Foto um Foto. Bis daraus Kartendaten werden, ist es noch ein weiter Weg. Alle drei Wochen wird eine volle Festplatte nach Polen geschickt, wo die Arbeit kontrolliert wird. Ausgewertet werden die Fotos in Indien: Dort fährt ein Mitarbeiter in einem «Cockpit» virtuell durch Europa und speist in die Datenbank ein, was er auf den Fotos sieht.
27 Millionen Kilometer
«Mit Fahrten wie der heutigen halten wir unsere Daten auf aktuellem Stand und verfeinern sie weiter», sagt Martin Probst, Direktor Verkauf von Tele Atlas Schweiz, der auf der Demonstrationsfahrt mit dabei ist. 20 grosse Kartierungsfahrzeuge habe Tele Atlas in Europa im Einsatz, und viele kleine. In der globalen Datenbank seien 27 Millionen Strassenkilometer und 30 Millionen «Points of Interest» verzeichnet. Die verkehrsbezogenen Objekte seien fast alle von eigenen Mitarbeitern erfasst worden. Die meisten anderen nicht: Die Wälder stammten von Lieferanten wie Swisstopo, und auch für die «Points of Interest» arbeite man mit diversen spezialisierten Anbietern zusammen. Neu setzt Tele Atlas auch auf die Mitarbeit der Benutzer: Besitzer von Tomtom-Geräten können ihre Fahrdaten zur Verfügung stellen. Zudem können sie Karten korrigieren oder aktualisieren. Ein ähnliches Projekt wird gemeinsam mit Google durchgeführt. «Die Mitarbeit der Nutzer ist wertvoll», sagt Probst. «Täglich erhalten wir Daten zu Strecken, die viermal dem Strassennetz Europas entsprechen.» Ähnliche Projekte wie Openstreetmap, in denen Nutzer freie Karten produzieren, sieht Probst nicht als Konkurrenten. «Hohe Qualität ist nur durch ein professionelles Team, systematische und eingespielte Prozesse sowie konstante Arbeit zu erreichen.»
In Zukunft seien noch viel detailliertere Daten gefragt, fährt er fort. Damit der Bordcomputer etwa den Autofahrer warnen kann, wenn dieser vom Weg abkommt, muss jede Fahrspur einzeln erfasst werden. Soll das Navigationsgerät nicht nur die schnellste und kürzeste Route sondern auch die ökologischste berechnen, muss die Datenbank Angaben zu den Steigungen enthalten. Mit den GPS-Handys wird zudem die Fussgängernavigation aktuell. Entsprechend müssen selbst kleine Gässchen erfasst werden. Damit die Karte in Vogelperspektive dargestellt werden kann, werden derzeit Stadtzentren als dreidimensionale Modelle nachgebaut.
Gudrun biegt in die Raststätte ein und parkt den Foto-Camper. Und Stijn erkundigt sich schon mal, was es in der nahe gelegenen Stadt Spannendes zu sehen gibt. Denn am Abend, sagt er, parkten sie den Camper jeweils und erkundeten zu Fuss die Stadt. «Dank der Arbeit kennen wir schon halb Europa.» Und Gudrun doppelt nach: «Abends fühle ich mich tatsächlich wie in den Ferien.»
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