Lebenstraum in NahostWie aus einer alten Boeing ein Restaurant für die Palästinenser wurde
Die meisten Palästinenser werden in ihrem Leben nie fliegen, aber jetzt können sie in einem Flugzeug essen. Besuch bei zwei Brüdern, die aus dem Wunsch nach Freiheit ein Geschäft machen.

Wer auf der Landstrasse nahe Nablus durchs Westjordanland Richtung Norden fährt, der stösst plötzlich auf ein bekanntes, aber unerwartetes Flugobjekt. Eine Boeing 707 steht da mitten im kargen Hügelland, und wer sich ihr nähert, dem winken Ata und Khamis al-Sairafi schon von weitem zu.
Die Sairafi-Brüder aus Nablus sind 61 Jahre alt, eineiige Zwillinge, kaum zu unterscheiden. Gleiches Gesicht, gleiche Grösse, gleicher runder Bauch. Dazu die gleiche heisere und wirklich laute Stimme. Sie tragen das gleiche rote Polohemd, die gleichen Shorts, Socken und Turnschuhe. Und sie hatten den gleichen Lebenstraum, den sie sich hier verwirklicht haben: den Traum vom Flieger.
Das Fliegen gehört zu jenen Dingen, die oft unerreichbar bleiben für die Palästinenser. Es gibt keinen Flughafen im Westjordanland, und den Ende der Neunzigerjahre mit viel Pomp eröffneten «Internationalen Flughafen» im Gazastreifen hat die israelische Armee schon 2002 zerstört. Den Ben Gurion Airport in Tel Aviv dürfen Palästinenser nur mit Sondergenehmigung benutzen. Es bleibt nur der Flughafen in der jordanischen Hauptstadt Amman.
Es geht auch um Fantasie
Nun aber gibt es, den Sairafi-Brüdern sei Dank, in Nablus ein Flugzeug, das jedem offensteht. «Das palästinensisch-jordanische Airline Restaurant und Café al-Sairafi Nablus» steht auf dem Rumpf der Maschine. Serviert wird durchgehend, vom Frühstück bis zum Abendessen. «Viele Leute hier können nicht reisen», sagt Ata al-Sairafi. «Jetzt können sie wenigstens mal in ein Flugzeug steigen.»
Es geht in dieser Geschichte auch um Fantasie, und wie man ihr Raum gibt – selbst unter schwierigsten Bedingungen. Der Anfang dieses Traums jedenfalls liegt weit zurück. 1999 entdeckten die Sairafi-Brüder, die als Schrotthändler viel herumgekommen sind, die Boeing 707 im Norden Israels und kauften sie für 100’000 Dollar.

Die Maschine war ein paar Jahre zuvor schon ausgemustert worden, zu ihrer Vergangenheit gibt es viele Geschichten. Sicher ist, dass sie in den Sechzigerjahren zunächst in Diensten der Air France stand, im Cockpit sind noch die französischen Beschriftungen zu sehen. Später kam sie nach Israel, einer Version zufolge diente sie der Armee als Frachtflugzeug. Besser gefällt Khamis al-Sairafi allerdings die Geschichte, dass Israels Premier Menachem Begin damit 1979 in die USA gereist sein soll zur Unterzeichnung des Friedensvertrags mit Ägypten. «Ich habe gehört, dass auch Golda Meir, Yitzhak Rabin und Shimon Peres damit geflogen sind», sagt er. «Auf jeden Fall hat dieses Flugzeug die ganze Welt gesehen.»
Sie haben es frisch lackiert, ganz schlicht in Weiss, nur an der Nase, am Heck und auf den Flügeln leuchten die Farben der palästinensischen und jordanischen Flaggen.
Den Plan, aus dem Flugzeug ein Restaurant zu machen, hatten die Brüder schon beim Kauf. Sie liessen es nach Nablus schleppen, mit Sondergenehmigungen der israelischen Behörden, mit Spezialfahrzeugen und Strassensperren. Sie stellten es ab auf einer freien Fläche neben ihrer Recycling-Anlage. Und da stand es dann.
Mehr als 20 Jahre lang rostete die alte Boeing vor sich hin. «Erst kam die Intifada, danach war die politische Situation meist schwierig, und am Ende kam noch Corona», sagt Khamis al-Sairafi und schaut rüber zum Flugzeug. «Das war schwierig. Aber jetzt bin ich glücklich.» In diesem Sommer haben sie ihr Restaurant eröffnet.

Sie haben es frisch lackiert, ganz schlicht in Weiss, nur an der Nase, am Heck und auf den Flügeln leuchten die Farben der palästinensischen und jordanischen Flaggen. Im Innern haben sie Teppich verlegt, rote Tische aufgebaut und aus den alten Flugsitzen Stühle gebaut. Die Küche ist draussen unter dem Rumpf, drumherum stehen weitere Tische, an denen gegessen und Wasserpfeife geraucht werden kann.
«Schön», sagt Khamis al-Sairafi immer wieder. Besonders schön findet er den Blick aus den Fenstern. Direkt hinter dem Flügel schaut man hinunter in ein tief eingeschnittenes Tal, die braunen Hügel ziehen sich bis zum Horizont. «Das sieht so aus, als wären wir im Landeanflug.»
«Du bist verrückt»
Investiert haben sie inzwischen schon 1,6 Millionen Schekel, umgerechnet etwa 450’000 Franken. Die beiden Ehefrauen, sagen sie, waren zumindest am Anfang nicht so begeistert von ihrem Plan. «Meine Frau hat gesagt, du verschwendest unser Geld, du bist verrückt», sagt Khamis al-Sairafi. Seine Antwort: «Vielleicht bin ich verrückt. Aber das wird ein Erfolg.»
Davon sind beide überzeugt. «Jeden Tag haben wir jetzt schon 300 Besucher, am Wochenende kommen bis zu 500», sagt Khamis al-Sairafi. Hochzeitsfeiern will er ausrichten und Geburtstagspartys. Noch hat sich die neue Attraktion zwar nicht überall herumgesprochen, aber die Gäste kommen inzwischen schon aus dem ganzen Westjordanland, aus Nablus und Jenin, aus Hebron und Bethlehem. Sie alle werden angezogen von diesem Flugzeug, das nicht abhebt, aber trotzdem für die Freiheit steht und für eine Abwechslung von der Enge des Alltags.

Gerade sind zwei Familien aus Ramallah da. Die Kinder stürmen die Gangway hoch und rennen aufgeregt im Innern herum. «Das ist aber gross», sagt der elfjährige Amr. Nie zuvor hat er ein Flugzeug gesehen, ausser am Himmel. Sein zehnjähriger Bruder Karam mag die blauen Sitze, die sehen bequem aus. «Aber ein Flugzeug in der Luft fände ich noch besser als ein Flugzeug am Boden.» Karam würde gern einmal nach Istanbul fliegen, Amr nach Kanada.
Diese Boeing ist zwar nur ein Flugzeug für die kleinen Fluchten, aber die Sairafi-Brüder haben noch grosse Pläne. Wo früher ihr Schrottplatz war, möchten sie irgendwann noch ein Hotel errichten, einen Pool und einen Freizeitpark. Auch abheben sollen die Besucher irgendwann einmal, mit einer Seilbahn, die auf den höchsten Gipfel der Umgebung führt. «Das kostet alles eine Menge Geld», sagt Khamis al-Sairafi. «Aber du musst daran glauben, dann kann das auch wahr werden.»
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