Wer ist der Autor des anonymen Schreibens in der «New York Times»?
Ein Mitarbeiter von Donald Trumps Regierung hat ausgepackt. Jetzt fallen Namen, wer es sein könnte – sogar Wettbüros steigen ein.
Aktiver Widerstand im Weissen Haus: Ranghohe Mitglieder von Donald Trumps Regierung arbeiten gezielt daran, die Politik des US-Präsidenten zu untergraben, um Schaden vom Land abzuwenden. Das schreibt ein Regierungsmitarbeiter in einem anonymen Gastbeitrag für die «New York Times». (Zum Artikel zum Thema.)
Am Abend und in der Nacht nach der Publikation der anonymen Attacke auf Trump zerbrachen sich Analysten und Kommentatoren die Köpfe darüber, wer wohl der Autor des Gastbeitrags ist und wieso er oder sie zu diesem Mittel gegriffen hat.
Kontraproduktive Wirkung
Gesichert scheint, dass der Autor ein frühes Mitglied der Regierung sein muss, zumal im Artikel über Vorgänge im Weissen Haus zu Beginn der Amtszeit Trumps berichtet wird. Zudem scheint sich eine Mehrheit der Experten darin einig, dass die anonyme Publikation der Absicht des Autors zuwiderläuft, die impulsive Politik des Präsidenten verdeckt zu untergraben. «Was passiert wohl, wenn ein Angestellter das nächste Mal den Präsidenten davon abhalten will, beispielsweise das Justizministerium zu säubern, um die Ermittlungen von Robert Mueller abzubrechen?», schreibt etwa David Frum im «Atlantic». Trump werde durch die Publikation «aufsässiger, leichtsinniger, verfassungsfeindlicher und gefährlicher».
James Dao, der Leiter des Ressorts Meinungen der «New York Times», wurde im Podcast zur Veröffentlichung auf diesen Punkt angesprochen, und sagte: «Ich vermute, dass die Person eine Grenze erreicht hat (Original: ‹reached a breaking point›) und einfach mitteilen wollte, was sie dachte – und was andere in der Regierung denken. Man erhält den Eindruck, dass die Dinge schon genug lange nicht auf Kurs sind, sodass die Person glaubte, sie müsse jetzt etwas sagen. Und, um ganz ehrlich zu sein, ich bin mir nicht ganz sicher, ob diese Person glaubt, dass dies ein bahnbrechendes Ereignis ist.»
Über diesen bescheidenen Konsens hinaus sind die Meinungen gespalten; Dutzende Theorien zu Autor und Motiv zirkulieren. Ein Titel von CNN verkörpert die Vielzahl der Mutmassungen: «Diese 13 Personen könnten der Verfasser des Gastbeitrags sein». Selbst bei der «New York Times»-Redaktion werde über den Verfasser gemutmasst, denn nur einige wenige Mitarbeiter des Ressorts Meinungen und der Chefredaktion kennen die Identität des Autors, wie ein Reporter von «Vanity Fair» berichtet.
Ein Wort lässt auf den Vizepräsidenten schliessen
Unmittelbar nach der Publikation sorgte ein seltenes Wort im Gastbeitrag für Aufsehen: «lodestar» («Leitstern»). «Senator McCain weilt vielleicht nicht mehr unter uns», steht im Artikel. «Aber wir werden immer sein Vorbild haben – einen Leitstern für die Wiedererlangung der Ehre im öffentlichen Leben und in unserem nationalen Dialog.» Diese Wortwahl erinnert sehr an Vizepräsident Mike Pence, der «lodestar» oft in seinen Reden braucht.
Vielleicht wegen dieses Wortes ist Pence auch der Favorit auf der Website des Wettbüros «My Bookie», die bereits Wetten zur Autorenschaft des Gastbeitrags anbietet. Weitere Favoriten der wettenden Öffentlichkeit sind Bildungsministerin Betsy Devos, Aussenminister Mike Pompeo und Finanzminister Steven Mnuchin.
Pence selber hat die Vermutung, er könnte der Autor sein, allerdings heftig zurückgewiesen. Der Vizepräsident setze seinen Namen unter seine Texte, schrieb sein Sprecher Jarron Agen auf Twitter. «Die ‹New York Times› sollte sich schämen – genau wie die Person, die diesen falschen, unlogischen und feigen Gastbeitrag geschrieben hat.»
Ein Ausschlussverfahren führt zum Geheimdienstdirektor
Die bislang nachvollziehbarste Mutmassung hat Lawrence O'Donnell von MSNBC geliefert, der in seiner Show ein relativ ausführliches Ausschlussverfahren präsentierte. Zunächst stellt O'Donnell fest, dass der Gastbeitrag von einem gereiften Staatsverständnis zeugt. Das schliesse bereits einen Grossteil der Regierung aus, «die nie auch nur die kleinste Uneinigkeit mit dem Präsidenten geäussert haben und nie die Fähigkeit bewiesen haben, vertieft über das Funktionieren einer Regierung nachzudenken», so O'Donnell.
Zudem müsse der Autor ein relativ «erfahrener Politiker» sein, der sich in Washington auskenne, um einen solchen Gastbeitrag anonym in die «New York Times» zu bringen. Aus diesen beiden Gründen schliesst O'Donnell unter vielen anderen auch Vizepräsident Pence, Bildungsministerin Devos und Finanzminister Mnuchin aus, und er schränkt die Auswahl auf drei Mitglieder der Trump-Regierung ein: Aussenminister Pompeo, Geheimdienstdirektor Dan Coats und die US-Botschafterin bei der UNO, Nikki Haley.

Haley schliesst O'Donnell aus, zumal die «Times» in einer ersten Version des Gastbeitrags den Autoren mit einem männlichen Pronomen beschrieben hatte. Zudem sei die UN-Botschafterin meistens in New York und kenne die Zustände im Weissen Haus nicht sehr gut.
Viel spreche für entweder Pompeo oder Coats: Im Gastbeitrag wird auffallend viel über Aussenpolitik gesprochen, die Leitung der nationalen Geheimdienste und der verstorbene Senator John McCain werden gelobt. Und beide sind ehemalige Parlamentarier mit viel Erfahrung.
Doch Pompeo sei 54 Jahre alt und habe noch Ambitionen nach der Ära Trump, die durch den Gastbeitrag gefährdet würden. Coats hingegen nicht. «Nationaler Geheimdienstdirektor ist sein letzter Regierungsjob», so O'Donnell. Zudem werden im Gastbeitrag Vorstösse wie Steuersenkungen, höhere Militärausgaben und Deregulierung gelobt, was zu Coats Gesinnung passen würde – und Coats ist ein langjähriger Freund McCains.
Die Büros des Aussenministers sowie des Geheimdienstdirektors haben die Spekulationen ebenfalls zurückgewiesen. Dabei fällt auf, dass die Erklärung von Coats als einzige die Zeitung und den Autor nicht kritisiert.
Gegen O'Donnells Ausschlussverfahren spricht generell, dass die Kategorie «senior official» (zumeist als «ranghoher Mitarbeiter» übersetzt) neben Kabinettsposten auch Stellvertreter und Assistenten des Präsidenten im Executive Office umfassen könnte.
Oder doch Trump und die Republikaner?
Eine weitere Möglichkeit ist, dass der Gastbeitrag eine Art «Versicherungspolice» für ein Mitglied der Regierung oder genereller die Republikaner darstellt. Chris Hayes von MSNBC schreibt zum Beispiel auf Twitter: «Es ist eine sehr öffentliche Absicherung, die dazu gedacht ist, den Ruf der gesamten Politiker- und Regierungsklasse der Republikaner zu wahren».
Der Gastbeitrag passt zudem so gut zu Trumps Rhetorik vom Kampf gegen den «Sumpf» und den «Deep State», dass einige Beobachter gar den Verdacht äussern, es könnte sich um ein Manöver des US-Präsidenten oder eines Unterstützers handeln. Ezra Klein, der Gründer von «Vox», bringt diese Möglichkeit ins Spiel: «Was, wenn die Operation von einem Trumpisten durchgeführt wurde, der das Weisse Haus von (Establishment-)Konservativen säubern will?» Für Leute, «die Freihandel und den Einfluss der Establishment-Republikaner um Pence hassen», wäre das ein «Meisterzug». Dazu würden die Berichte passen, dass Trump bereits auf das Justizministerium abzielt – wo auch die von Trump gehasste Russland-Untersuchung angegliedert ist.
Klein stellt klar, er wolle bloss die Möglichkeit erwähnen – er glaube nicht unbedingt, dass das tatsächlich der Fall sei. Tatsächlich scheinen dieser Auslegung auch Berichte zu widersprechen, dass sich Trump auch ausserhalb des Rampenlichts sehr über die Publikation geärgert habe.
Kein ewiges Rätsel
In einem Punkt sind sich die allermeisten Kommentatoren dann wieder einig: Ewig wird das Rätselraten wohl kaum andauern. Die meisten Analysten geben sich zuversichtlich, dass die Identität des Autors letztendlich ans Licht kommt – es ist eine Frage der Zeit.
Dieser Artikel wurde automatisch aus unserem alten Redaktionssystem auf unsere neue Website importiert. Falls Sie auf Darstellungsfehler stossen, bitten wir um Verständnis und einen Hinweis: community-feedback@tamedia.ch