Wenn Könige zuschauen müssen
Wer innerhalb einer Saison nicht vier Regionalfeste im eigenen Verbandsgebiet absolviert, darf im nächsten Jahr an keinem auswärtigen Kantonal- oder Gauverbandsfest teilnehmen.

10'000 Zuschauer am Bernisch-Kantonalen Schwingfest, Hüte und Jacken der besten Athleten sind mit allerlei Sponsorenlogos versehen, am «Eidgenössischen» ist während zweier Tage die Hölle los. Der Boom im Schwingen hält an, Marketingexperten prophezeien nochmals einen Popularitätsanstieg. Und so erstaunt es, sagt der eidgenössische Technische Leiter Samuel Feller: «Die Basis bröckelt.»
Prominente Betroffene
Was der Emmentaler meint: Während Kranzfeste immer stärkeren Andrang verzeichnen und medial im Fokus stehen, darben die kleinen Veranstaltungen. Die Rangschwingfeste, an denen es kein Eichenlaub zu gewinnen gibt, haben es schwer. Weshalb der Eidgenössische Schwingerverband (ESV) die Initiative ergriffen, an der Abgeordnetenversammlung 2015 neue Regeln aufgestellt hat.
Diese besagen, dass ein Schwinger innerhalb seines Verbandsgebietes mindestens vier Regionalfeste bestreiten muss, um in der kommenden Saison als Gast an einem auswärtigen Kantonal- oder Gauverbandsfest teilnehmen zu können. Nach einem Übergangsjahr greifen die Richtlinien nun – die Liste der Betroffenen ist namhaft. Matthias Glarner wird nicht ans «Glarner-Bündner» zugelassen, Matthias Sempach muss aufs «Luzernische» verzichten, Kilian Wenger darf nicht ans «Urner» und Christian Stucki hat den Verantwortlichen des «Baselländer» abgesagt.
Feller ist ein Initiant der Änderungen. Ein Umdenken müsse stattfinden, sagt der 44-Jährige. «Die kleinen Feste dürfen nicht als Beigemüse betrachtet werden, die Athleten müssen wissen, woher sie kommen.» Für viele Schwingklubs seien Rangschwingfeste die bedeutendste Einnahmequelle. «Und die Klubs sind für den Schwingerverband zentral, bilden sie doch Schwinger aus.»
Die regionalen Wettkämpfe sind für die Cracks aber nicht sonderlich attraktiv; sie taugen bedingt als Plattform für Sponsoren, die zu gewinnenden Preise sind eher bescheiden. «Eidgenosse» Florian Gnägi, Mitorganisator des Bözingen-Schwinget, erzählt, dass zuletzt noch 20 bis 30 Aktive am Wettkampf teilgenommen hätten. «Es waren mal doppelt so viele.»
Wenngleich die Athleten ohnehin bloss ein Kantonal- oder Gauverbandsfest pro Jahr ausserhalb des eigenen Teilverbands bestreiten dürfen, ist der Aufruhr gross. 40 Gesuche mit Bitte um mildernde Umstände wurden gestellt, nicht einmal auf eine Handvoll davon ging der ESV ein.
Die Regeln besagen, dass in Verletzungsfällen Ausnahmen erlaubt sind. Weshalb Matthias Sempach ob des negativen Bescheids ziemlich staunte, «schliesslich erlitt ich 2016 drei Verletzungen. Ich kam daher nicht auf die erforderliche Anzahl Regionalfeste, und ich verpasste sogar ein Kranzfest.» Der Schwingerkönig von Burgdorf hat grundsätzlich nichts gegen die Regelanpassung einzuwenden. «Wären die Verletzungen kein Grund für eine Ausnahmebewilligung gewesen, hätte ich kein Gesuch gestellt.»
Im kommenden Jahr wäre Sempach am «Baselländer» eingeladen. Jenen Wettkampf möchte er bestreiten, erzwingen wird er aber nichts. «Priorität haben die Gesundheit und meine Familie.»
Auch Christian Stuckis Gesuch wurde abgelehnt, auch er war in der letzten Saison wochenlang ausgefallen. Der Seeländer Hüne merkt an, dass viel mehr Kranzfeste als noch vor 20 Jahren auf dem Programm stünden. «Belastung und Rummel sind gross. Da braucht es auch freie Sonntage.» Stucki stört sich nicht per se am Regelwerk, aber am Fakt, wonach die vier Regionalfeste im eigenen Teilverband absolviert werden müssen.
«Schwinge ich in Grenchen, kommen wegen mir wohl 100 Leute. Am Ballenberg sind es vielleicht fünf, wenn es regnet, nur zwei oder drei Nasen. Da frage ich mich schon, was diese Einschränkung soll.» Diesbezüglich räumt Feller Raum für Anpassungen ein, nicht aber, was die Handhabung bei Verletzten betrifft. «Wer zwei oder drei Monate ausfällt, hat noch genug Zeit, Regionalfeste nachzuholen.»
Der Schein trügt
Die Richtung also stimmt, was viele Athleten bestätigen. Wobei einige hinter vorgehaltener Hand von Bevormundung sprechen und darauf hinweisen, dass jene, welche die Änderungen durchboxten, früher selber beim Bestreiten kleiner Feste keine Vorbilder gewesen waren. Feller gesteht, negative Reaktionen erhalten zu haben, «im Grossen und Ganzen spüre ich aber Verständnis».
Die regionalen Veranstalter begrüssen die Neuerungen, derweil Ausrichter grösserer Feste mit der Situation hadern. Ein Spitzenschwinger könne nun mal nicht an jedem «Chilbi-Wettkampf» mitmachen, meint Guido Keller, OK-Präsident des «Luzernischen» von Mitte Mai in Malters. «Ein Crack wie Matthias Sempach muss Prioritäten setzen, die Regeneration wird immer wichtiger.»
Der Schwingerverband erhofft sich eine Aufwertung der kleinen Anlässe. 2017 finden im Bernbiet 23 solcher Wettkämpfe statt; in der Südwest-, Nordwest- und Nordostschweiz jedoch sind die Zahlen stark rückläufig. Ohnehin ist der Boom mit Vorsicht zu geniessen: Rund 6000 versicherte Athleten sind derzeit registriert. Zu Spitzenzeiten waren es rund 8000.
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