
Der Vorschlag klingt, als hätten alternative Zürcher Genossenschafter eine Viertelstunde lang Brainstorming gemacht. Die Aufgabe: Entwirf ein neues Stadtviertel. Die Lösung: Viel Platz für Fussgänger, breite Velowege, selbstfahrende Busse. Autos? Braucht keiner. Dank schönen Pärken sollen die Menschen viel Zeit draussen verbringen, miteinander, ohne Konsumzwang. Die Häuser bestehen aus Holz, die Mieten bleiben zahlbar.
Doch dieses Projekt hat keinen linksgrünen Hintergrund. Es kommt aus den Büros des zweitgrössten Technologieunternehmens der Welt. Die Google-Tochter Sidewalk Labs entwickelt gerade den alten Hafen der kanadischen Millionenmetropole Toronto. Kürzlich stellte Sidewalk ihre Pläne vor, bald soll das Vorzeigeviertel «Quayside» Wirklichkeit werden.
Google scheint eine Vorliebe für alternative Quartiere zu haben. In Berlin plante der Internetkonzern einen Forschungscampus. Dafür wollte er kein gewöhnliches Geschäftshaus in einem gewöhnlichen Geschäftsquartier beziehen, die Firma wählte eine fast 100-jährige Trafostation, gelegen mitten im alternativen Kreuzberg. Seine neuen Zürcher Büros eröffnete Google nicht im Norden der Stadt (wo es viel günstige Fläche gäbe), sondern an der Europaallee, am Rand des linken Langstrassenquartiers. Das erstaunt nicht. Schlaue Kapitalisten haben den Vorteil linksgrüner Stadtentwicklung längst begriffen. Durchmischte Quartiere werden als «urban» vermarktet, Tempo 30, Bäume und Kunstateliers sorgen für hohe Mieten. Wer als fortschrittlich gelten will, setzt auf «Nachhaltigkeit».
In Google-City würde fast alles, was Menschen tun, aufgezeichnet.
In Sachen Städtebau ist die Automoderne überholt, abgehängt durch linksgrüne Ideen. Wirklich freuen können sich deren Vertreter trotzdem nicht. Denn die kapitalistischen Kopien haben einen Haken: das Verhältnis zur Kontrolle. In Google-City würde fast alles, was Menschen tun, aufgezeichnet. Welche Verkehrsmittel sie benutzen, was sie kaufen, wo sie sich hinsetzen. Durch die Auswertung dieser Daten soll die Stadt ständig verbessert werden. Der urbane Alltag würde zu einem ewigen, unfreiwilligen Partizipationsverfahren.
Verteidigern der Privatsphäre graust es davor, dass eine einzige Firma so viele persönliche Angaben anhäufen kann. Sidewalk will daher alle Daten von einer öffentlichen Gesellschaft verwalten lassen. Doch bei der «Entpersonalisierung» gebe es Mängel, sagen zwei Digitalexpertinnen. Aus Protest verliessen sie kürzlich das Quayside-Beratergremium.
In der idealen Datencity hingegen gibt es kein Abtauchen mehr.
Und selbst wenn die Daten gut geschützt sind. Ihre Bündelung widerspricht dem Ideal vieler Stadttheoretikerinnen. Sie halten Städte auch deshalb für lebenswert, weil sie Anonymität zulassen, Offenheit und Zufälligkeit. Man kann sich darin treiben lassen, unerwartete Begegnungen machen. In der idealen Datencity hingegen gibt es kein Abtauchen mehr, weder Hindernisse noch Überraschungen. Die Rechner wissen immer schon, was geschehen wird.
Als Google seine Kreuzberg-Pläne bekannt gab, formierte sich eine lokale Protestbewegung («Fuck off Google!»). Deren Mitglieder befürchteten, dass die Internetfirma das Quartier, das schon viele Immobilien-Investoren anlockt, weiter verteuert. Letzte Woche zog Google das Vorhaben zurück, der politische Druck war wohl zu gross geworden. In Quayside könnte so etwas nicht passieren. Die Algorithmen hätten es vorausgesehen.
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Wenn Google Quartiere wie die Linken baut
Grosse Unternehmen wie Google ahmen alternativen Städtebau nach und ziehen in linke Quartiere. Das geht oft schief.