Comeback der FrauenkrawatteWenn Frauen «oben mit» tragen
Eigentlich ein Männer-Accessoir, ist die Geschichte der weiblichen Krawatte eng mit der Frauenbewegung verknüpft. Und hat eine ganz eigene Erotik.

Die Krawatte ist in der Krise. Politiker zeigen sich immer häufiger oben ohne. Auch aus den Büros verschwindet der Schlips, nachdem er lange Zeit Teil des seriösen Männer-Outfits war und zum Dresscode gehörte. Trotzdem fällt immer noch auf, wenn Männer auf die Krawatte verzichten. Bei Frauen ist es genau andersherum: Sie fallen auf, wenn sie sich einen Schlips umbinden.
Die Frauenkrawatte feiert gerade wieder ein Comeback. Bei den Fashion Weeks in Mailand und Paris war sie eines der meistfotografierten Accessoires der Besucherinnen: schwarze Krawatten zum Schuluniform-Look mit kurzem Rock und Blazer, Nadelstreifen-Schlips zum dunklen Nadelstreifen-Kostüm, Krawatten in Pink und mit Prada-Logo als Farbtupfer zum pastellfarbenen Hemd.
Früher galt die Krawatte als «weibisch»
Am Frauenhals ist die Krawatte nicht Teil eines Dresscodes, sondern ein Zeichen des Unangepasstseins. Zwar galt die focale, die Halsbinde im antiken Rom, die als Vorgängerin der Krawatte angesehen wird, dort als «weibisch», wie Ingrid Loschek in «Reclams Mode- und Kostümlexikon» schreibt. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert ist die Krawatte aber als Männer-Accessoire überliefert – das sich die Frauen immer wieder ausgeborgt haben. Ende des 17. Jahrhunderts zum Beispiel war die Krawatte Teil der Reitkleidung für Frauen, später trugen sie Seglerinnen und Radfahrerinnen, ab 1900 Frauenrechtlerinnen.
Für Diana Weis, Autorin und Professorin für Modejournalismus, ist die Geschichte der Damenkrawatte eng mit der der Frauenbewegung verknüpft: Die erste Feminismuswelle begann Mitte des 19. Jahrhunderts und reichte bis in die 1930er-Jahre. Zu der Zeit kam die Krawatte für die Frau zum ersten Mal in Mode. «Die Krawatte ist ein Kleidungsstück, das eigentlich keinen Sinn macht, sie ist reine Dekoration, eine Anomalie in der Herrenmode», sagt Weis. «Mit der Krawatte nimmt sich eine Frau etwas heraus, das sonst nur Männern zugestanden wird.»
«Die Krawatte war ein Symbol männlicher Position und Macht.»
Marlene Dietrich war so etwas wie die erste Frauenkrawatten-Influencerin. Als die Schauspielerin in den Dreissigerjahren in Paris in Hosen durch die Strasse lief und Krawatte oder Fliege trug, war das eine grosse Provokation. «Die Krawatte war ein Symbol männlicher Position und Macht. Wenn Frauen Krawatte oder Männeranzug trugen, war das ein provokantes Signal der beginnenden Emanzipation, weil die Frauen damit suggerierten: Wir sind bereit, die selben Positionen einzunehmen», sagt der Kulturmanager und Krawattensammler Gerald Matt, der in dem Buch «Das Leben der Krawatten» (Brandstätter Verlag) über die Kulturgeschichte der Krawatte schreibt.
Dietrichs androgyner Garçonne-Look (abgeleitet vom französischen garçon, Junge) war ein Zeichen der zumindest modischen Gleichberechtigung – und gleichzeitig erotisch. «In dem Film Marokko zum Beispiel wirkt Marlene Dietrich im Frack nicht männlich, dafür umso selbstbewusster», sagt Matt. «Im Gegenteil, das Männer-Outfit stellt ihre Weiblichkeit in besonderer Weise heraus, auf eine subtile und intelligente Art.» 1933 endete die Karriere der Damenkrawatte abrupt: «Anzug und Krawatte waren mit dem Nazi-Ideal des deutschen Weibes unvereinbar», so Gerald Matt.

In der zweiten Feminismuswelle der Sechziger- und Siebzigerjahre tauchte die Frauenkrawatte erneut auf – wenn auch nicht mehr so provokant. Patti Smith kombinierte auf der Bühne Krawatte cool zu weissem Hemd und Bundfaltenhose, 1977 trug Diane Keaton als Annie Hall in Woody Allens «Stadtneurotiker» einen gepunkteten Schlips. Die Krawatte von Ralph Lauren stammte aus Keatons privatem Kleiderschrank, auf dem roten Teppich erschien die Schauspielerin oft mit Krawatte oder Fliege zum Smoking.
Seither taucht die Frauenkrawatte in jeder Dekade auf. «In den Achtzigern gab es mehr Frauen in Führungspositionen, und die brauchten eine andere Kleidung, um sich durchzusetzen», sagt Diana Weis. «Damit sie, überspitzt gesagt, nicht wie die Sekretärin aussahen, sondern wie die Chefin.» Power Dressing nannte man den Business-Look für Frauen, der die Herrenmode imitierte, mit breiten Schulterpolstern und Krawatte. Power Dresses hielten auch Einzug in die Popkultur: Die Sängerin Annie Lennox liess sich 1983 im Wallstreet-Outfit mit Schlips filmen, für das Musikvideo zum Eurythmics-Song «Sweet Dreams (Are Made Of This)».
Seit den Neunzigerjahren wird die Frauenkrawatte lockerer und verspielter kombiniert. 1990 nahm Julia Roberts im Oversized-Anzug von Armani samt Blumenkrawatte ihren Golden Globe für «Magnolien aus Stahl» entgegen, 1994 trug Prinzessin Diana ein Modell mit Elefantenmuster zum Hosenanzug. Anfang der Nullerjahre kombinierte die Sängerin Avril Lavigne Krawatte, bauchfreies Tanktop und Nietenarmband. Das immer noch männlich konnotierte Accessoire ist hier vor allem eines: ein Bruch mit Erwartungen, an Schauspielerinnen auf dem roten Teppich, Prinzessinnen, Pop-Punk-Sängerinnen.
«Yeah, ich habe eine Krawatte, aber ich trage sie, wie ich will.»
Die Frauenkrawatte ist also per se ein Stilbruch, folgerichtig sind Regeln von Beginn an unwichtig. Es kommt nicht auf den Knoten – elegant mit Windsor- oder extrovertiert mit Onassis-Knoten – an. Patti Smith wird das Zitat zugeschrieben: «Yeah, ich habe eine Krawatte, aber ich trage sie, wie ich will.» Die Sängerin trug die Krawatte mal offen, mal lässig um den Hals gewickelt.
Die Frauenkrawatte passt genau in unsere Zeit. «Die Krawatte bedient eine Sehnsucht nach Form und Eleganz, nachdem viele Frauen und Männer die Home-Office-Phasen in Jogginghosen und Sweatshirts verbracht haben», sagt Gerald Matt. Die Frauenkrawatte fügt sich auch ein in einen zweiten grossen Trend: In der Mode wie in der Gesellschaft werden Geschlechterbilder fluider, Grenzen zwischen Frauen- und Männerkleidung lösen sich auf. Die Frauenkrawatte hat heute nicht mehr das Schockpotenzial von einst, sie ist eher ein modischer Hinweis darauf, dass die Gleichberechtigung eben noch nicht erreicht ist.
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