Wetterrekorde im Kanton Bern Wenn es im Juli schneit
Über die zugefrorene Aare, die grösste Weinernte in 600 Jahren und die Folgen eines Vulkanausbruchs: Bern hält spannende Wetterphänomene bereit.

Der Kanton Bern sei hinsichtlich des Wetters spannend und vielseitig. Das sagt Klimatologe Stephan Bader von Meteo Schweiz. «Der Kanton reicht vom tiefliegenden Mittelland bis ins Hochgebirge, also haben wir da von heissen Temperaturen bis hin zu grossen Schneemengen alles dabei.»
Stephan Bader hat für diese Zeitung vom heissesten Tag über den stärksten Wind bis hin zum grössten Schneefall die spannendsten Daten und Fakten herausgesucht.
Wobei es zwei Aspekte zu berücksichtigen gilt: Das historische Gedächtnis von Meteo Schweiz endet 1864. Und im Kanton Bern gibt es lediglich sechs vollausgerüstete Messstationen: Zollikofen, Koppigen, Interlaken, Adelboden, Meiringen und Grimsel Hospiz. Daneben gibt es zahlreiche Niederschlagsmessstationen. Ausser Regen und allenfalls Schnee wird hier aber nichts gemessen.

Verlässliche Aussagen über Wetterrekorde sind gemäss Klimatologe Bader grundsätzlich nicht möglich: «Dafür müsste man ja in jeder Gemeinde Messstationen haben.»
Durch die Konzentration an einigen wenigen Standorten entstehen somit auch Mythen: Zum Beispiel jener über La Brévine: Im «Sibirien der Schweiz» sei es am kältesten, ist weit verbreitet, und tatsächlich wurde in der neuenburgischen Gemeinde im Jahr 1987 eine angebliche Rekordkälte von 41,8 Grad unter null gemessen.
Stephan Bader: «Als ich einmal in Le Locle mit Einheimischen sprach, konnten mir diese belegen, dass es bei ihnen regelmässig noch kälter wird. Aber in Le Locle gibt es keine offizielle Messstation.»
Sonne und Hitze

Langfristige Daten zur Temperatur und Sonnenscheindauer sind nur an den wenigen vollausgerüsteten Messstandorten im Kanton Bern verfügbar. Die längsten Messreihen gibt es von Bern. Temperatur- und Niederschlagsdaten sind seit 1864 verfügbar. Die Messreihe der Sonnenscheindauer geht bis 1886 zurück. Die Messstation stand damals in der Stadt Bern, heute steht sie in Zollikofen.
Auffällig ist: Der Hitzesommer 2022 hat längst noch nicht alle Rekorde gebrochen. Der sonnigste Monat war der Juli 1911 mit 369 Sonnenstunden am damaligen Standort Bern. Das sonnigste Jahr verzeichnete Bern 1893 mit 2249 Sonnenstunden. Die absolut höchste Temperatur von 37,1 Grad stammt aus Meiringen, gemessen am 31. Juli 1983. Und die höchste Durchschnittstemperatur für ein Jahr meldete Interlaken 2018 mit 10,6 Grad.
Kälte und Schnee

Niederschlags-Messstandorte gibt es im Kanton Bern zahlreiche. Die grössten Schneeberge gab es am 3. Mai 1970 auf dem Grimsel Hospiz mit 690 Zentimetern Schnee – wobei dort erst 1964 mit den Schneemessungen begonnen wurde. Am meisten Neuschnee wurde am selben Ort verzeichnet: 130 Zentimeter, am 30. März 2018. Das bisher kälteste Jahr seit 1864 ist 1879: Als Durchschnittstemperatur wurden in diesen zwölf Monaten lediglich 5,8 Grad registriert.
Aufgrund der Höhenlage meldete die Messstation Grimsel Hospiz auch die tiefsten kantonalen Temperaturwerte. Die Grimseler Temperaturmessreihe geht bis 1932 zurück. Das kälteste Jahr war hier 1956 mit einem Jahresdurchschnitt von –0,5 Grad. Es war das Jahr mit der legendären Februarkälte: Auf dem Grimsel Hospiz herrschten frostige –14,4 Grad, es ist der bisher tiefste Monatswert im Kanton.
Das absolute Temperaturminimum erreichte –29,0 Grad, gemessen am 12. Januar 1987. Die Minimumtemperatur wird auf dem Grimsel Hospiz allerdings erst seit 1971 erhoben.
Regen und Wind

Am 21. August 2005 goss es im Emmental wie aus Kübeln. Der Messstandort Wasen registrierte als Tagessumme 170,1 Millimeter. Es war die höchste je im Kanton gemessene Tagessumme. 1 Millimeter entspricht einem Liter Wasser pro Quadratmeter. Eine normale Gartenspritzkanne fasst 10 Liter. Um die Regenmenge von Wasen zu erreichen, hätte man also 17 Spritzkannen über demselben Quadratmeter ausgiessen müssen.
Die höchste Monatssumme und die höchste Jahressumme im Kanton stammen vom Grimsel Hospiz: Im Januar 1986 gab es hier 584 Millimeter, im Jahr 1986 waren es 2618 Millimeter.
Wie in anderen Bereichen hält das Grimselgebiet geografisch bedingt auch punkto Wind seit Jahren die Rekorde: Am 27. Februar 1990 fegte dieser mit rasanten 167 Stundenkilometern über die Berge. Aber auch in flacheren Gefilden kann es heftig stürmen. So registrierte der Windmesser in Meiringen am 29. April 2012 nicht weniger als 146 Stundenkilometer. Zum Vergleich: Der verheerende Sturm Lothar fegte am 26. Dezember 1999 mit Spitzenwerten von 150 bis 160 Stundenkilometern über die Niederungen und mit 250 Stundenkilometern über die Gipfellagen.
Nebel und Hagel

Den Instrumenten der Wetterinstitute sind Grenzen gesetzt. Immer dort, wo nur für sehr viel Geld oder dann von Menschenauge gemessen werden kann – wie beim Nebel. «Wir müssten in jeder Gemeinde mehrmals täglich den Nebel mit eigenen Augen beobachten, um wissenschaftliche Daten zu erhalten oder Tendenzen wie die Verschiebung der Nebelgrenze mit Sicherheit feststellen zu können», sagt Stephan Bader. Nebelsensoren seien teuer und würden beispielsweise nur auf Flughäfen Sinn machen.
Beim Hagel sieht es ähnlich aus: Man müsste die Hagelkörner von Hand messen, um Rekordgrössen registrieren zu können.
Ganz grundsätzlich sei es aber sicher einfacher geworden, Wetterphänomene festzuhalten, sagt Stephan Bader. «Es gibt immer mehr Freaks, die sich dafür interessieren und in Gruppen zusammenschliessen.» Sie teilen dann ihre Bilder und Beobachtungen auf Social Media. «Natürlich sind das dann keine hochwissenschaftlichen Daten, aber es kann dennoch interessant und aufschlussreich sein.»
Bernische Wetterphänomene

Spezifisch bernische Wetterphänomene zu erkennen, ist aus demselben Grund schwierig: Es gibt nur wenige Messstationen im Kanton.
Als klare Eigenheit aber definiert der Klimatologe den sogenannten Guggiföhn: Er tritt bevorzugt bei südöstlichen Höhenwinden in einem relativ eng begrenzten Gebiet um die Kleine Scheidegg auf. Die Luft strömt dabei über den Aletschgletscher und den Jungfraufirn hinauf in Richtung Jungfraujoch und stürzt in der Folge – einem Wasserfall ähnlich – über den Guggigletscher in Richtung Kleine Scheidegg und Lauberhorn hinunter.
«Der Guggiföhn zählt zweifellos zu den stärksten Föhnerscheinungen im Alpenraum», weiss Stephan Bader. Bereits mehrmals seien Böenspitzen von 200 Stundenkilometern gemessen worden, in den Jahren 2014 und 2018 sogar rund 250 Stundenkilometer.
Was vor 1864 geschah

Wer wissen will, wie Wetter und Klima vor dem Messbeginn von 1864 die Menschen in der Schweiz bewegten, wird bei Christian Pfister fündig. Der emeritierte Professor für Wirtschafts-, Sozial- und Umweltgeschichte an der Universität Bern verschafft im Buch «Klima und Gesellschaft in Europa» einen Überblick über den Zusammenhang klimatischer und gesellschaftlicher Entwicklungen der letzten 1000 Jahre.
Aber: «Das Wetter macht an der Kantonsgrenze nicht Halt», sagt Christian Pfister. So sei es schwierig, nur auf Bern bezogene historische Anekdoten und Daten herauszufiltern.
Ein Ereignis von grosser Tragweite betrifft jedoch genau Bern: Auf den Ausbruch des indonesischen Vulkans Tambora im Jahr 1815 folgte 1816 ein «Jahr ohne Sommer». Am 1. Juli schneite es in Bern. «Es ist der späteste bekannte Schneefall der letzten 500 Jahre», weiss Christian Pfister. Im Oberland gab es bis auf 700 Meter eine hohe Schneedecke, in Adelboden führte man Heu mit dem Schlitten. Oberhalb von 2200 Metern südexponiert blieb der Schnee den ganzen Sommer liegen, vom 22. Juni bis zum 10. August fiel an 42 Tagen Regen.
Für die Landwirte war der Sommer 1816 entsprechend eine Katastrophe – es sollte jedoch längst nicht die einzige bleiben. Pfister: «Die Sommer 1879, 1913 und 1956 waren nicht viel besser.»
Grundsätzlich hatten die Landwirte in den Jahren ohne Sommer mit Missernten beim Getreide zu kämpfen. Das Heu faulte und hatte weniger Nährstoffe, es gab zu wenig Kartoffeln und zu wenig Trauben und entsprechend Wein. «Es gab zahlreiche Hungersnöte in der Schweiz», sagt Christian Pfister, «die letzte im Kanton Bern war wie gesagt 1816.»
Zu einem aussergewöhnlichen Ereignis kam es für die Bernerinnen und Berner im Winter 1616: Da gefror die Aare. Darauf folgte ein Hitzesommer, ähnlich wie 2022. Christian Pfister weiss: «Der Sommer 1617 liess die grösste Weinernte der letzten 600 Jahre reifen.»
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