Wenn die Blumenkinder feiern
Tanzen, diskutieren, basteln und glitzern: Am Wochenende ging im Obermattgraben ein Festival der anderen Art über die Bühne. Beim Kugelfest stand das Kollektiv im Vordergrund. So sehr, dass die Individuen lieber inkognito blieben.

Frauen mit bunt bedruckten Flatterröcken und Männer mit zu Hochsteckfrisuren geformten Rastas wandern an diesem heissen Freitagnachmittag durchs hüglige Emmental. Vorbei an Bauernhöfen, Apfelbäumen und Getreidefeldern zieht es sie in den hintersten Winkel des Obermattgrabens in Signau.
Ein Festival der besonderen Art lockt die Stadtkinder aufs Land. Eines, an dem alles kann, aber nichts muss: das Kugelfest. Man wolle miteinander tanzen, basteln, schweben und glitzern, verspricht das Programm.
Inzwischen sind wir beim Eingangstor angelangt. Zwei Frauen gönnen sich ein erfrischendes Bad im kühlen Bächlein. Passend zum Namen, kommen Bühne und Verpflegungszelt kugelförmig daher, überall hängen Lichterketten, bunte Holzschilder weisen den Weg.
Im Verpflegungszelt sind vorerst die meisten Leute anzutreffen. Im Schatten trinken sie Kombucha und rauchen selbst gedrehte Zigaretten. Auch drei der Organisatorinnen sitzen hier an einem Tisch.
Alle sind sie zwischen 20 und 25 Jahre alt. Alle kommen sie aus Bern. So entstand denn die Idee für das Fest nicht im Emmental, sondern im Souli, wie die Berner das Restaurant in der Reitschule liebevoll nennen.
Das Miteinander stehe am Kugelfest im Vordergrund, meint Organisatorin Elena Mauerhofer. «Alle können das Festival mitgestalten», sagt sie. Es gebe zwar feste Programmpunkte wie das Konzert von Sophie von der Chaostruppe oder eine Lesung über Frauenliebe.
Doch wer wolle, dürfe jederzeit spontan eine Yogasession oder eine politische Diskussionsrunde starten. Politik mit Kultur paaren ist das Motto. «Eine politische Botschaft wollen wir aber nicht senden», sagt Nina Reber, die ebenfalls zum OK gehört.
Auch auf eine politische Richtung wollen sich die Organisatorinnen nicht festlegen. Dass sich hier wohl nicht rechtskonservative Kreise austauschen, ist jedoch naheliegend.
Geheime Mission
Nicht nur das Programm, auch die Arbeiten teilen sich die Besuchenden mit dem OK. Jeden Morgen treffen sie sich im Plenum, schauen, was ansteht, teilen sich in Teams auf, die hinter der Bar stehen, den Abfall entsorgen oder kochen.
So sehr steht das Plenum im Zentrum, dass sich das OK nicht im Mittelpunkt sehen will. Knapp lassen sie sich dazu überreden, dass wir sie mit Namen zitieren dürfen. Auf ein Bild wollen sie nicht. Schliesslich sei dieses Fest ein kollektives Werk.
Doch ebenso das Kollektiv, sprich die Besucherinnen und Besucher, zeigt sich verschlossen. Zwar ist man offen für andere Kulturen und Lebensformen fernab der Normen. Sich der Öffentlichkeit mitteilen will man hingegen nicht. Wir treffen auf eine junge Frau und zwei Männer.
Sie haben ein Feldtelefon gebastelt. Die Frau ist in der roten Telefonkabine, ruft ihrem Kollegen zu: «Es funktioniert.» Wie man beim Bau vorgegangen ist und was die Idee dahinter ist, behalten sie lieber für sich. Und so überlassen wir sie ihrer geheimen Mission.
Reden über Sex
Etwas mehr Offenheit erhoffen wir uns von einer Diskussionsrunde, in der es keine Tabus gibt. «Reden über Sex» ist angesagt. Ob man die Medien bei der Diskussionsrunde dabeihaben wolle, fragt die angehende Sexualpädagogin Fabienne.
Eine junge Frau meldet sich zu Wort. «Ja klar, es ist wichtig, dieses Thema auch einer breiteren Öffentlichkeit zugänglich zu machen», sagt sie. Doch bei der anschliessenden Abstimmung sind Einzelne dagegen. So entscheidet ganz im Sinne der Basisdemokratie die Minderheit, die Mehrheit hat nichts mehr zu sagen.
Beim Inputteil dürfen wir aber zuhören. Die Sexualpädagogin vermittelt, was laut ihr die Schule verpasst habe: nämlich die sexuelle Aufklärung. Ganz wie eine Schulmeisterin erklärt sie dann den Orgasmus, malt einen Graphen auf die Wandtafel und erläutert die x- und y-Achse.
Rappen über Asphalt
Etwas freier läuft der Rap-Workshop ab. In Gruppen schreiben junge Frauen Texte. Eine Bernerin rappt, wie sie sich trotz frischer Landluft nach dem heissen Asphalt der Stadt sehne.
Dies sei natürlich ironisch gemeint, sagt sie und lacht. Im Schreiben hat sie Erfahrung, sie leitet Schreibworkshops. Wobei leiten nicht das richtige Wort sei. Schliesslich schreibe man ja nicht nach Vorlage, sondern frei und individuell.
Und so lassen wir eine Gruppe von Individualisten zurück, die sich hinter den grünen Hügeln des Emmentals selbst verwirklichen. Schade nur, dass sich die Individuen uns gegenüber hinter der Gruppe versteckt haben.
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