Weko-Praxis macht Selbstanzeige für reuige Firmen unattraktiv
Die Wettbewerbskommission belohnt bei Kartelluntersuchungen auch Unternehmen, die erst nach der Durchsuchung der Firma kooperieren.
Von Angela Barandun Der entscheidende Tipp kam von einem früheren Angestellten: Acht grosse Berner Elektroinstallateure sprächen seit Jahren ihre Preise ab und teilten grosse Aufträge untereinander auf. Am Morgen des 31. Januar 2008 schlug die Wettbewerbskommission (Weko) zu: Sie führte zeitgleich in allen betroffenen Firmen Hausdurchsuchungen durch. Die Experten waren wohl noch zu Werke, als das erste Telefonat einging: Um 9.53 Uhr meldete sich die Firma Gfeller bei der Weko, um ihre Kooperation anzubieten. Gut dreissig Minuten später ging die schriftliche Bestätigung per Fax ein. Innert 14 Tagen hatten sich auch alle anderen Firmen zur Zusammenarbeit verpflichtet. Die Kooperation zahlte sich aus: Die Firma Gfeller, die als Erste reagiert hatte, ging straffrei aus. Die Weko erliess ihr eine Busse von über einer halben Million Franken. Alle anderen erhielten immerhin einen Abschlag von 40 Prozent. Sie zahlten zwischen 30 000 und 400 000 Franken. Und das, obwohl keines der Unternehmen von sich aus das Kartell angezeigt hätte. Nur für Selbstanzeige gedacht Der Fall wurde ausserhalb Berns kaum beachtet. Unter Kartellrechtlern hat er aber Staub aufgewirbelt. «So habe ich mir das nicht vorgestellt mit der Kronzeugenregelung», sagt etwa Patrick Sommer von der Kanzlei CMS von Erlach Henrici. «Bei der Einführung ging man davon aus, dass nur straffrei ausgehen kann, wer die Weko mit seiner Selbstanzeige auf ein Kartell aufmerksam macht.» Auch Roger Zäch, Ex-Vizepräsident der Weko, war überrascht: «Ich hätte nicht gedacht, dass die Weko so grosszügig umgeht mit den Boni.» Seit 2005 kann die Behörde bei illegalen Absprachen Bussen verhängen. Sie sollen verhindern, dass sich Unternehmen auf Kartelle einlassen. Parallel dazu wurde die sogenannte Bonus- oder Kronzeugen-Regel eingeführt: Dabei winkt jener Firma, die durch eine Selbstanzeige ein Kartell aufdeckt, eine deutliche Reduktion der Busse, allenfalls geht sie sogar straffrei aus. Dadurch sollen mehr Kartelle aufgedeckt werden. Im Fall der Berner Elektroinstallateure hat die Weko diesen Kronzeugenschutz deutlich aufgeweicht: Auch nachdem die Weko potenziell belastendes Material beschlagnahmt hatte, konnten die Firmen bei der Aufklärung des Kartells helfen. «Man muss sich vor Augen halten, was für ein Signal man damit an die Unternehmen sendet», sagt etwa Patrick Krauskopf von der Kanzlei MCS-Law. Krauskopf, der wie Zäch früher Vizedirektor der Weko war und heute einen Lehrauftrag an der Hochschule Winterthur hat, glaubt, dass die grosszügige Praxis der Weko gefährlich ist: «Sie kann mittelfristig das Instrument der Selbstanzeige torpedieren.» Tatsächlich steht die Frage im Raum, ob die Bonus-Praxis nicht kontraproduktiv ist und Unternehmen davon abhält, von sich aus ein Kartell anzuzeigen. Während Sommer glaubt, dass die Angst vor einem Verfahren schwerer wiegt, ist Krauskopf anderer Meinung: «Für meine Klienten ist die Selbstanzeige meist keine Option mehr.» Sogar Weko-Sprecher Patrik Ducrey sagt: «Wir haben vor dem Entscheid intensiv über derartige Nebenwirkungen diskutiert.» Man sei aber zum Schluss gekommen, dass der Nutzen den Schaden übersteige. Dagegen spricht die Zahl der Selbstanzeigen bei unbekannten Kartellen. Dem Vernehmen nach meldeten sich zwischen 2005 und Ende 2008 rund ein Dutzend Unternehmen bei der Weko. Seither soll die Zahl jedoch eingebrochen sein. Weko-Sprecher Ducrey will sich dazu nicht äussern, betont aber: «Wie gut das neue Kartellgesetz mit Sanktionsmöglichkeit funktioniert, kann man nicht bloss anhand der eingegangenen Bonus-Meldungen und der ausgesprochenen Sanktionen beurteilen.» Immerhin sei es nicht nur Ziel des Kartellgesetzes und damit Aufgabe der Weko, illegale Absprachen aufzudecken und zu bestrafen, sondern sie auch zu verhindern. «Und Letzteres lässt sich nur schwer messen», so Ducrey. Ausserdem seien auch Meldungen nach einer Hausdurchsuchung wertvoll für die Behörde: «So können wir Verfahren schneller beenden und haben mehr Material, um den Entscheid zu begründen.» Eine Argumentation, die auch Zäch stützt. Ganz wohl scheint der Weko mit ihrer Bonus-Politik dennoch nicht zu sein. So kritisiert der Ende Juni abgetretene Präsident Walter Stoffel in einem Aufsatz in der «Neuen Zürcher Zeitung» die Auswüchse der grosszügigen Bonus-Regelung: Nach Hausdurchsuchungen könne es zu «unschönen Wettläufen» kommen, «bei welchen Kooperationsmeldungen buchstäblich im Minutentakt eingehen» (siehe unten). Und weiter: «Die Praxis ist wohl in der Anfangsphase richtig, wird aber vielleicht mit der Zeit (...) überdacht werden müssen.» «Unschöne Wettläufe»: Ex-Weko-Präsident Walter Stoffel (Zweiter von links) mit Mitarbeitern. Foto: Lukas Lehmann, Keystone
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