
Die Frage, sagt Kursleiter und Lebensmittelchemiker Peter Schropp, die Frage vor dem ersten Tasting ist ja die: Bleibt das bittere Wasser auch hinten am Gaumen hängen – so, wie es ein Pils tut?
Die Frage, denke ich hingegen, ist wohl eher die: Schmeckt man überhaupt einen Unterschied zwischen Wasser und Wasser? Leicht panisch klaube ich also eine von zehn Pipetten aus einem Fächer, der vor mir steht – und erinnere mich schaudernd an den Chemieunterricht, dem ich vor über 20 Jahren mit Freuden den Rücken gekehrt habe.
Wasser richtig einsetzen
Es ist Montagmorgen, und ich sitze mit ein paar Gastronomen in einem Seminarraum von Gastro Suisse in Zürich-Affoltern. Draussen ist es grau, die Bise schnitt mir eine Fratze ins Gesicht, als ich das Gebäude suchte, später wird es zum ersten Mal in diesem Winter so etwas wie schneien, kurz: Es ist nicht gerade das Wetter, bei dem man literweise Wasser trinken möchte. Doch es geht ja auch gar nicht ums Durstlöschen, sondern darum, Mineralwasser richtig einzusetzen: Für alle anderen Teilnehmer ist es der zweite von fünf Seminartagen des neuen Lehrgangs «Der Schweizer Wasser-Sommelier. Professionell im Verkauf von Mineralwasser und alkoholfreien Essensbegleitern». Ich besuche einen halben Tag lang die «Grundlagen der Sensorik für Wasser und Mineralwasser». Zu Beginn des Kurses fragte ich mich auch: Braucht es Sommeliers, die sich mit verschiedenen Wässerchen auskennen? Kellner, die uns nebst hundert anderen Entscheidungen auch noch jene abringen, welches Mineralwasser wir zu welchem Gang trinken wollen?
Vier Grundgeschmacksarten
Zuerst aber zurück zur Chemie: Nach einer Diskussion über Silicium (auf den Etiketten von Mineralwasser heisst es «Kieselsäure»), steht der erste Test an: heiteres Erraten von Grundgeschmacksarten in wässriger Lösung. Peter Schropp, der in Deutschland Wasser-Sommelier-Lehrgänge leitet, hat dem Wasser Referenzsubstanzen beigemischt – und in den Unterlagen chemische Verbindungen wie Glucose stammbaumartig aufgezeichnet. Vier Grundgeschmacksarten sind relevant für jemanden, der Wasser schmecken will: süss, bitter, salzig und sauer. Die Geschmackseindrücke umami und fettig spielen bei Wasser keine Rolle. Überhaupt fokussiert sich beim Wasserdegustieren alles auf den Geschmack und weniger auf den Geruch oder die haptischen Wahrnehmungen – also dem Gefühl im Mund beim Trinken.
Nummer 73 schmeckt salzig und gilt wegen seines hohen Natriumgehalts als Heilwasser.
Ich liege bei den ersten drei richtig. Dann verwechsle ich salzig mit süss und sauer mit bitter, obwohl ich zwischendurch mit dem scheints sehr neutralen «Arkina non gazeuse» spüle. Das ich schnell google: Dieses Schweizer Wasser gibt es dank dem armenischen Zigarettenindustriellen Puzant Masraff, der 1921 in Yverdon Arkina gründete, benannt nach einer Stadt in seiner Heimat. Freaks, dieseMineralwasserleute!
Nestlé-Wasser macht Durst
Das Ganze wird sowieso erst interessant mit richtigem Mineralwasser, rede ich mir ein. Tatsächlich lösen sich beim nächsten Testdurchgang die anfänglichen Zweifel – «Ist Wasser denn nicht einfach Wasser?» – ziemlich schnell in Luft auf. Wasser ist ganz und gar nicht einfach Wasser. Diese stillen Mineralwasser (die Blööterli der Kohlensäure würden nur vom Geschmack ablenken) könnten unterschiedlicher nicht sein. Nummer 47 zum Beispiel empfinde ich als schal, Nummer 21 als metallisch, Nummer 86 kommt mir vor wie eine Bergquelle, die 62 abgestanden, die 73 hinterlässt einen trockenen Mund, die 50 finde ich ätzend, und bei der 19 wollen mir keine Worte einfallen, so langweilig fühlt es sich an.
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Video: Zu viel Wasser trinken kann schaden
Krämpfe und Ohnmacht: Zu viel Trinken kann die Mineralstoffe im Blut verringern. (Video: Tamedia/Vizzr)
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Die willkürlich gewählten Zahlen bei den Proben sollen das Gehirn nicht zu Fehlinterpretationen verleiten. Meines ist auch so überfordert: Ich höre Herrn Schropp sagen, dass Wasser enteist wird, und mir fallen die jetzt vielleicht wegen des Regens eisigen Strassen ein, dabei meint er «von Eisen befreit». Dann spricht er über Magnesiumchlorid. Ich verstehe «Magnesiumchirurg». Ich habe jetzt schon Bauchweh, einen Wasserbauch und schier unerträgliche Lust auf feste Nahrung.
Doch jetzt folgt Blindtest Nummer 3, bei dem wir Mineralstoffe erkennen sollen, Natrium, Magnesium, und Calcium. Bei Nummer 73 ist es, als ob ich mich beim Schwimmen im Meer verschlucken würde, wem fällt es ein, so ein salziges Mineralwasser zu vertreiben? Später erfahren wir, dass es «Mlynsksy pramen» aus Karlsbad in Tschechien ist, das mit seinem hohen Natriumgehalt als Heilwasser durchgeht. Contrex, mit viel Calcium, hinterlässt eine scheinbar belegte Zunge und löst Durst aus– ironisch, dass gerade das Nestlé-Wässerchen zum Noch-mehr-Trinken veranlasst.
Man kann sich gut vorstellen, wie das Mineralwasser die Gerichte unterstützt und den Wein ersetzt.
Das «Magnesia Extra» ist wegen seines Hauptminerals ein Sportlergetränk, und «Vöslauer ohne», Österreichs Nummer eins, schmeckt nach nichts, also einfach nach – Wasser. Wie übrigens auch das Lauretana aus dem vierten und letzten Test an diesem Morgen, bei dem wir bei fünf niedrig mineralisierten Wässer angeben müssen, ob wir eine Bitterkeit feststellen. Das Wasser nennt sich das leichteste Europas, weil es kaum Mineralien enthält, wie die meisten aus Bioläden, was damit zu tun hat, dass in der Naturheilkunde mineralsalzarme Wasser bevorzugt werden. Egal aber, wie hoch ein Wasser mineralisiert ist, Hersteller schreiben gern die Worte «neutral» und «harmonisch» auf die Etikette. Und «einzigartig». Was ein wenig schizophren ist.
Dann ist mein Morgen bei den Wasser-Sommeliers um. Bleibt bitteres Wasser im Gaumen hängen wie Bier? Nein. Trotzdem erlaube man mir das Wortspiel: Mineralwasser sind mit allen Wassern gewaschen. Ich kann mir gut vorstellen, wie sie Gerichte unterstützen, Wein ersetzen und Speisen nachsalzen. Gut, Letzteres war jetzt ein Witz. Wobei: Das tschechische Wasser könnte das.
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Wasser ist nicht einfach nur Wasser
Sollen Kellner entscheiden, welches Mineralwasser wir zu welchem Gang trinken möchten? Nach einem Morgen mit angehenden Wasser-Sommeliers lautet die Antwort: warum nicht?