
So einfach geht das: Mit einem Filzstift beseitigt Donald Trump den letzten Zweifel. «I want nothing», schreibt der Präsident in Grossbuchstaben auf einen Zettel, den die Kameras am Donnerstag vor dem Weissen Haus einfangen. Er schreit den Satz in den Rotorenlärm des Hubschraubers, vor dem er steht. Ich will nichts. All die Zeugenaussagen und Stellungnahmen, all die Korrespondenz und Gesprächsnotizen, die von den Demokraten in der Ukraine-Affäre zusammengetragen wurden: überschrieben von ein paar dicken, schwarzen Lettern. Das war der Schluss, den Trump nach zwei Wochen Anhörungen im Kongress zog, das war auch der Schluss, den seine Verbündeten zogen. Alles vorbei also?
Die laufende Impeachment-Untersuchung ist erst die vierte in der Geschichte. Vor allem aber ist sie die erste, die in einer Zeit stattfindet, in der die beiden zerstrittenen Lager des Landes in ihrer eigenen Medienrealität leben. In der von Trump und seinem Haussender Fox News geprägten Realität wollte der Präsident von der Ukraine keine Ermittlungen gegen seinen Rivalen Joe Biden. Er drängte die von US-Unterstützung abhängige Regierung in Kiew auch nicht zu einem Gegengeschäft. Er wollte nichts. Die vom Kongress bewilligte Militärhilfe an die Ukraine behielt er bloss zurück, weil er sich um die Korruption sorgte. Oder weil er der Verschwörungstheorie nachgehen wollte, wonach es nicht Russland war, das 2016 die US-Wahlen sabotierte, sondern die Ukraine.
Die Impeachment-Untersuchung spielt sich in zwei völlig verschiedenen Medienwelten ab.
Vieles in dieser Medienrealität ist bizarr. Aber das heisst nicht, dass nicht viele Amerikaner glauben, was sie darin sehen, hören und lesen. Auf sie macht es keinen Eindruck, dass in den vergangenen Wochen viele Zeugen vor dem Kongress aufgetreten sind, die den Präsidenten belastet haben. Diese Zeugen haben glaubhaft dargelegt, dass es sehr wohl den Versuch Trumps gab, ein Gegengeschäft – ein Quidproquo – zu erhalten. Sie haben ausgesagt, dass Trump nicht am Kampf der Ukraine gegen Korruption interessiert war, sondern bloss an einer Ankündigung einer Untersuchung gegen Biden, die ihm politisch genützt hätte. Und sie haben festgehalten, dass auch hochrangige Regierungsmitglieder Bescheid wussten.
Das alles wiegt schwer. Ein Präsident, der die Macht seines Amts dazu benutzt, einen Rivalen von einer ausländischen Regierung diskreditieren zu lassen: Das geht an den Kern dessen, was die Staatsgründer umtrieb, als sie das Instrument einer Amtsenthebung in die Verfassung schrieben. Doch den schlagenden, nicht zu widerlegenden Beweis, der einen grösseren Teil der republikanischen Anhänger und Abgeordneten überzeugen würde, hat die bisherige Impeachment-Untersuchung nicht erbracht. Es bleiben zu viele Lücken, zu viele Aussagen, die sich im Zweifelsfall für Trumps Unschuld auslegen lassen.
Umso grösser war die Bedeutung des Auftritts von Gordon Sondland. Der von Trump ernannte EU-Botschafter sagte unter Eid aus, dass es ein Quidproquo gegeben habe, und dass er bei seinem Versuch, die Ukraine zu Ermittlungen gegen Biden zu drängen, auf Anweisung des Präsidenten gehandelt habe. Von einem «Erdbeben» sprachen da die Demokraten, von einer «Bombe». Doch kurz darauf schob Sondland nach, dass er zwar zum Schluss gekommen sei, dass Trump die Militärhilfe für die Ukraine an die Ermittlungen gegen die Bidens knüpfe. So direkt habe ihm das der Präsident allerdings nicht gesagt. Trumps Worte seien gewesen: «Ich will nichts. Ich will kein Quidproquo.» Die Ukraine solle «das Richtige tun».
In den Anhörungen wurde Trump schwer belastet. Aber der schlagende Beweis fehlt.
Eine Entlastung für Trump ist das nur, wenn man vom Zeitpunkt dieses Gesprächs absieht: Es fand statt, als Trump längst von der Beschwerde des Whistleblowers wusste, die schliesslich zum Impeachment-Verfahren führte. Und eine Entlastung ist es nur, wenn man davon absieht, was Trumps langjähriger früherer Anwalt Michael Cohen einmal über ihn sagte: «Er gibt dir keine Fragen und Anweisungen, er spricht in einem Code.» In der Realität von Trumps Verbündeten reicht es aber, um die Impeachment-Untersuchung für hinfällig zu erklären.
Um das zu ändern, müssten die Demokraten wohl weitere Zeugen aus dem inneren Kreis Trumps aufbieten. Den ehemaligen Nationalen Sicherheitsberater John Bolton etwa oder Trumps Stabschef Mick Mulvaney. Das Weisse Haus hat ihnen aber den Auftritt vor dem Kongress untersagt. Die Opposition könnte versuchen, eine Aussage gerichtlich zu erzwingen. Im Sinne einer Aufklärung der Vorgänge und der Wahrheitsfindung wäre das geboten. Doch die Demokraten fürchten, dass sich das Impeachment-Verfahren damit in die Länge ziehen und ihren Präsidentschaftswahlkampf überschatten würde. Sie werden jetzt wohl auch ohne weiteren Zeugen zur Anklage gegen Trump schreiten.
Seine Gegner verraten damit auch etwas ihre Prioritäten. Und sie bestätigen den Eindruck, den viele Amerikaner haben: Das Impeachment-Verfahren ist nicht das ernste, historische Ereignis, das es sein sollte. Sondern bloss ein weiterer von vielen Aufregern der Trump-Präsidentschaft – der übliche parteipolitische Kleinkrieg in Washington. Wer von diesem Eindruck am meisten profitiert, ist Trump. Er kommt bei der Hälfte des Landes mit seinem Verhalten davon, einmal mehr. So einfach geht das.
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Was vom Impeachment-Drama bleibt
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