
Wenn Wissende wenig reden und Redende wenig wissen, dann müsste Chinas Staats- und Parteichef über besondere Erkenntnisse auch im Ukraine-Krieg verfügen. Xi Jinping jedenfalls übt sich seit dem 4. Februar in der Kunst der nichtssagenden Vieldeutigkeit – seit jenem Tag also, an dem er mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Erklärung über die Neuordnung der Welt abgab, die in dem Satz gipfelte, die Freundschaft zwischen China und Russland kenne «keine Grenzen».
Festgehalten wurde ausserdem, dass nun eine neue Zeit der globalen Ordnung anbreche, dass eine Blockbildung von Staaten, also die Erweiterung der Nato, nicht zugelassen werden dürfe und dass Demokratie kein Privileg einzelner Staaten sei, sondern jeweils anders definiert werden könne.
Wusste Xi Jinping an jenem Eröffnungstag der Olympischen Winterspiele, dass Russland knapp drei Wochen später die Ukraine überfallen würde? Wenn er es wusste, dann darf er als Komplize Putins gelten, der den Krieg zumindest hingenommen hat. Hat ihm aber der russische Präsident seine Pläne verschwiegen und dennoch die gemeinsame Erklärung eingefordert, muss sich Xi hintergangen fühlen.
Xi ist weit mehr als Putin ökonomisch abhängig von der verflochtenen Welt.
Chinas Präsident steckt im Dilemma. Dieser Krieg ist kein europäisches Ereignis, er zwingt die gesamte Welt zur Parteinahme. Und China als erklärtermassen engster Verbündeter Russlands kann nicht verhindern, dass es von diesem Sog erfasst wird und erklären muss, ob es einen kriegerischen Überfall auf einen souveränen Staat als legitimes Mittel der russischen Politik akzeptiert.
Für China steht weit mehr auf dem Spiel als das Verhältnis zu Russland. Die Erklärung vom 4. Februar bedarf noch der Klarstellung: Dies könnte das übliche Wortgeklingel unter scheinsozialistischen Brüdern gewesen sein – oder eben die Scheidungsurkunde für das globalisierte System und Chinas weltweite Handelsverflechtung.
Wenn Xi seine Worte so ernst nimmt wie sein Freund Putin, dann gibt es wenig Grund, warum der Westen die Erklärung von Peking nicht genauso für einen Frontalangriff auf seine politische Ordnung und seine Werte halten sollte wie den Überfall auf die Ukraine. Der Systemkonflikt mit China war ja auch bisher kein Geheimnis – nun aber stellt sich die Frage, ob ein Staat für die Durchsetzung seiner verqueren Ideologie Krieg führen darf.
Wer mit dem Westen lebt, kann nicht auf Kosten des Westens handeln.
Xi ist weit mehr als Putin ökonomisch abhängig von der verflochtenen Welt, selbst wenn China grosse Anstrengungen für mehr Autarkie unternimmt. Auch hat sich die chinesische Aussenpolitik eingerichtet in wohlklingenden Wortblasen von Multilateralismus, Völkerrecht und UNO-Ordnung, die nun plötzlich in Abgrenzung zu Russlands Taten mit neuem Leben erfüllt werden – nur eben nicht von China selbst.
Und schliesslich hat Wladimir Putin mit seinem Krieg erreicht, was Xi und die chinesische Einbindungs- und Abhängigkeitsstrategie zu verhindern versuchten: Noch nie zuvor war der Westen so einig und klar in der Abgrenzung und im Willen zum Selbstschutz. Was Russland heute ökonomisch widerfährt, kann China morgen blühen. Wer mit dem Westen lebt, kann nicht auf Kosten des Westens handeln.
Immerhin, Peking scheint sich nun doch zu bewegen: Nach Gesprächen von Xi Jinping mit Olaf Scholz und Emmanuel Macron vereinbarten China, Deutschland und Frankreich eine enge Zusammenarbeit für ein schnelles Kriegsende. Sie wollen den Ukraine-Krieg diplomatisch lösen.
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Kommentar zu Ukraine-Krieg – Was Russland heute ökonomisch widerfährt, kann China morgen blühen
Für Peking steht weit mehr auf dem Spiel als das Verhältnis zu Russland.