Was bedeuten drei Sterne?
Am Beispiel des Tomaten-Mozzarella-Salats erklärt Küchenchef Massimo Bottura, wie die Michelin-Auszeichnung funktioniert.

Massimo Botturas Augen funkeln noch mehr als sonst. Was ihm eigentlich wichtiger gewesen sei, so lautet die gestellte Frage, als er von der 50-Best-Liste zum besten Koch der Welt ernannt wurde oder als er seinen dritten «Michelin»-Stern bekam? Der italienische Spitzenkoch zögert keine Sekunde und nennt den Stern – darauf habe er seit seiner Jugend hingearbeitet.
Er erinnere sich genau, erzählt Bottura weiter, er sei damals in Brasilien unterwegs gewesen, als sein Telefon geklingelt habe: «Am Apparat war der Direktor von ‹Guide Michelin Italien›», sagt der Koch aus Modena. «Ich fragte ihn, ob er aus dem Grund anrufe, den ich mir vorstellte? Er antwortete: ‹Ja› –und ich begann zu weinen.»
Sogar der Chef des Konkurrenten «Gault Millau Schweiz», Urs Heller, hat in einem Interview einmal zugegeben, dass nicht die Höchstnote von 19 Punkten, die von seinem Gastroführer vergeben werden, das Mass aller Dinge sei – sondern die drei Sterne: «Sie sind das Grösste, was einem Koch geschehen kann», sagte er damals. Doch was macht denn diese Auszeichnung so aussergewöhnlich?
Eine Reise muss sich lohnen
In mittlerweile 24 Ländern weltweit sind professionelle Tester für den 1900 in Frankreich erfundenen Gastroguide unterwegs. Sie haben alle jahrelang selbst in der Gastronomie gearbeitet, reisen teilweise bis zu 40'000 Kilometer jährlich und besuchen je über 200 Lokale, die sie nach streng formulierten Kriterien bewerten – übrigens wird von der gleichen Person ein Restaurant höchstens alle zehn Jahre besucht, um die Anonymität zu wahren. Die von den Testern verfassten Berichte dienen als Grundlage sogenannter Sterne-Konferenzen. Dabei treffen sich der Chefredaktor der jeweiligen Landesausgabe, die zuständigen Tester und der Direktor aller «Michelin»-Guides. Die illustre Runde berät abschliessend über die Vergabe der Höchstwertung.
Stuft man ein Lokal als dermassen aussergewöhnlich ein, dass es sich lohnt, dafür eigens an einen fernen Ort zu reisen (etwa von Zürich nach New York), dann verdient es die Maximalwertung. Das Bestechende daran: dass sie trotz des mehrstufigen Verfahrens so simpel daherkommt – drei Sterne. Klingt nach wenig, ist ungeheuer viel.
Was kann der Gast erwarten? Bottura, der in der Schweiz zuletzt am Fachkongress Chef Alps in Zürich und in Bern bei einem Galadiner im Schweizerhof zu erleben war, erklärt es in einem einzigen Satz: «Ein Erlebnis, das ihm für sein ganzes Leben in Erinnerung bleiben soll.»
«Ein Erlebnis, das ihm für sein ganzes Leben in Erinnerung bleiben soll.»
Drei Sterne, so Massimo Bottura, stünden nicht nur für Perfektion alleine. Nein, es gehe darum, eine Art des Denkens zu vermitteln, einen Lebensstil sogar: «Man muss dafür als Küchenchef eine Besessenheit entwickeln, wenn es um Qualität geht.»
Und das ist erst bei drei Sternen der Fall? Mithilfe eines Gerichts, das jeder kennt, einem Tomaten-Mozzarella-Salat, erklärt Bottura, worin der Unterschied zwischen einem, zwei und drei Sternen liegen könnte: Die Insalata Caprese in einem Ein-Stern-Lokal sei natürlich mit den besten Tomaten zubereitet, die es gebe. «Vielleicht mit einem Hauch Knoblauch und Basilikum etwas angetrocknet, damit sie mehr Geschmack haben. Vielleicht mit etwas knusprigem Brot kombiniert.» Das Basilikum komme als Gelee daher, drüber komme eine Sauce aus dem Saft, den man beim Zerteilen von Bufala-Mozzarella aufgefangen habe.
In einem Zwei-Stern-Restaurant sei die Zubereitung des Caprese einfacher, aber pointierter, mutmasst Bottura: «Man könnte sie als Ravioli servieren, immer wieder ein dankbarer Container für Ideen.» In diese Teigtaschen füllt man ein Confit aus besten Tomaten und etwas Ricotta, der aus Bufala-Milch gewonnen wird – gekocht werden sie in Tomatenwasser, serviert mit Basilikum-Essenz.
Wirkt simpel, ist aber genial
Umso spannender, wie dann der Drei-Stern-Caprese bei Bottura aussieht: «Ich serviere den italienischen Klassiker als Maccaron, eines der Amuse-Bouches unseres vegetarischen Mehrgängers», sagt der Koch. Die Meringue-Schalen mache er aus Tomaten und Oregano, aber ohne Zucker – eine Technik, an der er monatelang getüftelt hat. Als Füllung ins salzige Luxemburgerli kommen etwas Bufala-Mozzarella und ein wenig Gelee aus Basilikum. «Das Resultat wirkt simpel, die Technik dahinter ist aber immens.» Will heissen: Zum Drei-Stern-Lokal gehört wohl auch, dass der Gast den Aufwand nicht bemerkt.
So erklärt sich vielleicht auch, dass berühmte Restaurants wie das Noma in Kopenhagen noch immer auf den dritten Stern warten. Eine Tatsache, die immer wieder zu Kritik am «Guide Michelin» führt. Was ebenso regelmässig für Verärgerung sorgt: dass Sterne in Asien schneller vergeben würden als in Europa.
Diesen Punkt bestreitet Massimo Bottura nicht, der vor kurzem zum zweiten Mal von der 50-Best-Liste zum besten Küchenchef der Welt erkoren wurde. Er gibt aber zu bedenken, dass trotzdem in allen Drei-Stern-Restaurants etwas Wichtiges erfüllt sein müsse: «Das Essen muss den Gast tief in seiner Seele berühren. Und lächeln lassen.»
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