
Es interessiert mich brennend, wie Sie Ihr Bestreben, ein freundlicher Mensch zu sein, mit Ihrem manchmal doch sehr unfreundlichen «P.S.» in der «SonntagsZeitung» unter einen Hut bringen. Ich weiss, dass diese «P.S.»-Glossen Satiren sind. Nur dünkt es mich manchmal, dass der Autor dieser Zeilen doch ein recht bissiger Zeitgenosse ist, um nicht zu sagen, ein sehr überheblicher. G.K.
Liebe Frau K.
Hm, was soll ich sagen? Dass ich Freundlichkeit zwar eine wichtige Tugend finde, dass Freundlichsein aber nicht mein Beruf ist? (Zum Beispiel kann man davon leider nicht seine Miete zahlen.) Momoll, ich bin schon ein recht freundlicher Mensch. Aber wenn man zu mir unfreundlich ist, kann ich meinerseits auch unfreundlich werden. Ich bin schliesslich kein Idiot.
All das gilt für den persönlichen Umgang, also für die Privatsphäre. Zu der aber gehört das Schreiben von Satiren nicht. Eine Satire ist eine öffentliche Stellungnahme, in der man gegen Personen, Zustände und in Personen verkörperte Zustände Stellung bezieht; und zwar in Form der Rollenprosa. Zum Beispiel kann man darin die Rolle eines Naivlings einnehmen, der eine politische Position ad absurdum führt, indem er sie konsequent weiterführt und all die furchterregenden Implikationen, die in dieser Position stecken, explizit macht.
Es ist keine Bürgerpflicht, Fan von Satiren zu sein.
Das Ganze sollte so gestrickt sein, dass man dem Text die Mühe des Strickens möglichst nicht anmerkt. Der Leser oder die Leserin sollen sich über etwas amüsieren können, das sie sonst empören müsste. Statt Erkenntnis durch Entrüstung produziert Satire Aufklärung durch Unterhaltung.
Damit das funktioniert, muss zum einen das Argument der Satire richtig sein. Zum anderen muss das Argument in eine Form gebracht werden, der man den anstrengenden Charakter eines Arguments nicht mehr anmerkt. Das Argument muss also so verführerisch lustig präsentiert werden, dass man erst beim Lachen oder Grinsen merkt, dass es einen bereits überzeugt hat.
Ein Lachen, das einem im Halse stecken bleibt, ist somit kein Qualitätsmerkmal, sondern ein Indiz dafür, dass man schlechter Satire aufgesessen ist. Weil man nämlich beim Schlucken plötzlich merkt, dass das satirische Argument schlecht gewesen ist.
Wenn Sie Ihrerseits beim Lesen daran denken müssen, ich sei bissig und überheblich, dann sind Sie vermutlich durchaus von meinen Argumenten überzeugt, aber Ihnen missfällt die Form. Ähnlich, wie wenn Ihnen der Genuss eines Thrillers durch den Gedanken versaut wird, die Regisseurin müsse eine blutrünstige Person sein. Es ist aber keine Bürgerpflicht, Fan von Thrillern oder Satiren zu sein. Wenn Sie meine nicht so mögen, dann sind weder Sie noch ich ein schlechter Mensch.
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Warum sind Sie so überheblich, Herr Schneider?
Die Antwort auf eine Leserfrage zum Thema Satire.