Warum er auch mal aneckt
Oli Kehrli ist ein sehnsüchtiger YB-Fan, der als Berner Chansonier mit seinen Texten auch mal aneckt. Der Trailer zur neuen BEsonders-Folge.
«Wir rutschen nach, damit es für sie eng wird. Der Ball muss einfach laufen. Wir müssen zusammen reden, das ist wichtig», sagt Oli Kehrli vor dem Stadtderby gegen den FC Bern. Seine Teamkollegen sitzen da, einige nicken, andere grinsen auch ein bisschen, und Kehrli versucht ernst zu bleiben. Seit vier Jahren ist er Spielertrainer bei den FC-Breitenrain-Senioren, einer Truppe von Freunden.
Eine Stunde vor Anpfiff war Kehrli schon da, hängte die Trikots auf, füllte die Flaschen und platzierte die Bälle. Aus seiner Tasche zieht er knallgelbe Nike-Turnschuhe, Grösse 44, die ihm der YB-Stürmer und Musikerfreund Guillaume Hoarau schenkte. «Spielertrainer ist zu viel gesagt, denn Trainings haben wir nicht. Wir spielen einfach einen Match pro Woche», sagt der 42-Jährige. Und witzelt: «Unsere Transfers halten sich in Grenzen.» Fast alle dürften schon bei den Veteranen spielen. Vielleicht keine allzu schlechte Idee, denn heute Abend kassieren sie im Spitzenkampf satte sechs Tore.
Das Fussballergen erbte Oli und auch seine beiden Brüder von Vater Andreas, der zwanzig Jahre den FC Schwarzenburg präsidierte und die Söhne ins Wankdorf mitnahm. «Es sind weniger die Resultate oder Matchberichte, sondern mehr Wahrnehmungen, an die ich mich erinnere: der Duft von Brillantinecreme und Stumpenrauch und der Schokoladendrink Flusco.»
Zurück an die Uni
Die meisten kennen Oli Kehrli als Chansonnier mit Gitarre auf der Bühne. Manche kennen ihn von Adriano's Café, wo er dreizehn Jahre lang kellnerte. Andere vom Unterricht an verschiedenen Schulen, wo er als Lehrer und Heilpädagoge tätig war. Wiederum andere kennen ihn aus dem Psychologiestudium. «Ich habe noch nie nur eine Sache gemacht», sagt er.
Vor drei Jahren gab er seinen Lehrerjob auf und studiert seither Rechtswissenschaft an der Uni Bern. Die meisten seiner Kommilitonen sind zwanzig Jahre jünger als er. «Mit jungen Menschen zu studieren, finde ich erfrischend, und ich fühle mich dabei zehn Jahre jünger», sagt er schmunzelnd. Im Sommer absolviert er die Strafrecht-Bachelorprüfung und wird viel Zeit in der Bibliothek verbringen. «Samstags muss man früh aufstehen und anstehen, um einen Platz zu bekommen», sagt er, sichtlich angewidert.
Weil es mit der Musik immer besser lief, konnte er den Lehrerjob an den Nagel hängen. Die Gitarre begleitet ihn schon über sein halbes Leben: Mit 14 Jahren fing er auf Heditrudi an zu spielen, seiner allerersten Gitarre. Mit 15 gründete er die Punkband Die abgefuckten Turnschuhe, die meist Publikum vertrieb, anstatt anzulocken, und von der es heute «glücklicherweise» keine Tonmitschnitte gebe.
Mit 16 fing er an, Lieder zu texten, liess sich von französischen und österreichischen Liedermachern beeinflussen, aber auch von Bene Stirnemann und Fritz Widmer. Sein Chansonziehvater sei aber die Troubadourlegende Jacob Stickelberger, mit dem er heute gut befreundet ist. «Als Chansonnier werde ich oft mit Mani Matter verglichen. Mit seiner Musik im Ohr bin ich aufgewachsen. Aber ich bin von der Nach-Matter-Generation, andere haben mich mehr geprägt als er», so Kehrli.
Lieder auch über YB
Auftritte, Studium, Seniorenmatchs und YB-Partien füllen seinen Kalender. Manchmal gibt es aber kleinere Kollisionen, wie kürzlich: Bei Anpfiff um 16 Uhr spielte er in Liebefeld an einem privaten Fest, nahm ein Taxi ins Wankdorf und traf schick in Schale nach der Pause im Stadion ein. Als vor acht Jahren zum ersten Mal sein Lied «Liebesbekenntnis» im Stadion zu hören war, sei das eine Erfüllung gewesen. «Meine Leidenschaft für das Chanson, verbunden mit der gelb-schwarzen Leidenschaft, und noch dazu an einem Ort, wo ich einen grossen Teil meines Lebens verbracht habe, das war ein schönes Gefühl, ja.»
Als Fan sei er ein ruhiger Zuschauer, was nicht heisse, dass er innerlich nicht mitfiebere. Eines hat er gelernt: «Wenn YB verliert, dreht sich die Welt weiter.» Aus Niederlagen lerne man sowieso mehr als aus Siegen, ist er überzeugt. Seine Sehnsucht nach einem Titel verarbeitet er in Liedern. «Ideen springen mich überall an, an Bushaltestellen oder unter den Lauben. Die Frage ist, wie offen man in dem Moment dafür ist», sagt er. Fürs Schreiben braucht er einen Ort, wo er sich wohl fühlt und so richtig eintauchen könne. «Und das ist meist in unserer Wohnung.»
Entschleunigte Altstadt
Mit seiner Freundin Gwendolyn Masin wohnt er seit über drei Jahren in der Altstadt. Diese habe eine entschleunigende Wirkung auf sein Leben. «Hier unten gibt es nur bei der Fasnacht und dem Buskers Reizüberflutungen.» Er treibt sich gern in den kleinen Bars herum und isst oft im Altstadtrestaurant Commerce, wie schon Mani Matter. «Und wenn ich durch die Rathausgasse nach Hause steuere, kehre ich mit grosser Wahrscheinlichkeit noch im Les Amis ein», sagt er.
Dass es YB gut läuft, merke er auch an den Beizendiskussionen, die sich vermehrt um die Gelb-Schwarzen drehten. Hat er sich eine eventuelle Meisternacht schon ausgemalt? «Ich hatte jetzt zweiunddreissig Jahre Zeit, mir das zu überlegen.» Die Sehnsucht nach einem Erfolg sei aber so gross, dass er sich noch gar nicht getraut habe, es sich auszumalen. «Vielleicht – ich hoffe es nicht – könnte ich an diesem Tag wegen des Glücksgefühls total überfordert sein.»
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