Waren sie zugleich V-Leute?
Die Döner-Mordserie der ostdeutschen Terrorzelle offenbart ein Versagen des Verfassungsschutzes. Die Rolle des Geheimdienstes wirft viele Fragen auf. Und laut Medienberichten gibt es sogar einen schweren Verdacht.
Terroristen des «Nationalsozialistischen Untergrunds» (NSU) haben über ein Jahrzehnt in ganz Deutschland kaltblütige Morde verüben können. Verstörend ist insbesondere die Tatsache, dass drei der bisher ermittelten Täter schon in den 90er Jahren ins Visier des thüringischen Verfassungsschutzes geraten waren. Damals waren sie beim «Thüringer Heimatschutz», einer militanten Neonazi-Kameradschaft, aktiv gewesen. Und sie sollen längere Zeit Kontakt zu einem V-Mann des Verfassungsschutzes gehabt haben. Dennoch konnte das Terror-Trio aus Zwickau offensichtlich unbehelligt weitere Morde begehen und Banküberfälle verüben. Wie war das möglich? Diese Frage stellt sich ganz Deutschland.
Nach der Aufklärung der Morde an neun Ausländern und einer Polizistin steht der Verfassungsschutz im Mittelpunkt der Kritik. «Geheimdienste stehen unter Versager-Verdacht», fasst «Spiegel online» die bisherige Debatte zusammen. Auch die Politiker äussern heftige Kritik. «Es ist die Aufgabe der Nachrichtendienste, zu verhindern, dass sich terroristische Strukturen unerkannt bilden können», sagte der parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, am Montag im ZDF-Morgenmagazin. «Auf jeden Fall hat hier der Verfassungsschutz versagt – und wir müssen klären, warum das passierte.» Die Kritik kommt aber nicht nur von linker Seite. Es müsse geklärt werden, warum «Leute, die schon mal im Visier des Verfassungsschutzes waren, abtauchen und über einen so langen Zeitraum nicht wieder aufgefunden werden konnten», sagte Bayerns Innenminister Joachim Hermann (CSU).
Terroristen im Besitz von «legalen illegalen Papieren»
Bei den weiteren Ermittlungen zur Terrorzelle von Zwickau wird der thüringische Verfassungsschutz eine wichtige Rolle spielen. Es sind nicht nur viele Fragen offen, es steht auch ein schwerer Verdacht im Raum – der Verdacht, dass es Verbindungen zwischen dem Verfassungsschutz und den Rechtsterroristen gegeben hat. Gemäss Informationen der «Bild»-Zeitung stellten Polizisten im Wohnhaus der Terroristen in Zwickau sogenannte «legale illegale Papiere» sicher – so werden Ausweispapiere bezeichnet, die von Geheimdiensten für Spionagezwecke ausgestellt werden. «Legale illegale Papiere» erhalten im Normalfall nur verdeckte Ermittler, die im Auftrag des Nachrichtendienstes arbeiten und vom Nachrichtendienst geführt werden. Falls sich der Verdacht erhärtet, dass die Terroristen zugleich V-Leute des thüringischen Verfassungsschutzes waren, würde dies einen nie dagewesenen Skandal bedeuten.
«Es ist offenkundig, dass die Sicherheitsbehörden geschlampt haben, vielleicht sogar mehr als das», meint die linke Tageszeitung «taz». In Thüringen soll nun eine unabhängige Kommission das mögliche Versagen von Polizei und Verfassungsschutz aufarbeiten – oder gar eine Verstrickung des Nachrichtendienstes des Landes, den nicht nur Linke, sondern selbst Politiker der Union nicht mehr ausschliessen wollen.
Justizministerin fordert Neuorganisation des Verfassungsschutzes
Es sei «sehr beunruhigend, dass zwischen der Mordserie in ganz Deutschland und der rechtsextremen Szene in Thüringen kein Zusammenhang erkannt wurde», gab der deutsche Innenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) zu bedenken. Nach derzeitigem Ermittlungsstand gebe es keine Kontakte zwischen den bekannten Tätern und dem Verfassungsschutz oder dem Bundeskriminalamt. Da sich die Vorgänge im Bereich des Thüringer Verfassungsschutzes abgespielt hätten, müsse diese Behörde nun «dringend aufklären». Friedrich kündigte an, alle ungeklärten Straftaten seit 1998, die einen fremdenfeindlichen Hintergrund haben könnten, würden auf eine Verbindung zu den Thüringer Neonazis untersucht, die hinter der Vereinigung «Nationalsozialistischer Untergrund» (NSU) stehen sollen. 1998 waren die Mitglieder dieser Gruppe untergetaucht. Schliesslich forderte Friedrich eine «bessere Verzahnung von Polizei und Verfassungsschutz auf Länderebene».
Inzwischen hat sich auch die deutsche Justizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zu Wort gemeldet. Es müsse darüber geredet werden, ob der Verfassungsschutz mit 16 Landes- und einer Bundesbehörde «optimal organisiert» ist. Eventuell könnten mehrere Landesbehörden zusammengelegt werden, um die Wirksamkeit des Verfassungsschutzes zu verbessern.
Mit Material der Nachrichtenagenturen DAPD, SDA und AFP.
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