Vom Traumjob in die Ungewissheit
Seit zwei Jahren leitet Nora Sieber das Asylheim für Frauen in Hinterkappelen. Ende Monat muss sie gehen, weil die Heilsarmee-Flüchtlingshilfe ihre Stelle streicht.

Es mutet fast ein wenig an wie das Geschenkeverteilen an Weihnachten. Nur: Die Szene spielt sich mitten im Sommer bei Temperaturen von etwa 30 Grad ab. Und die Geschenke sind auch nicht verpackt, sondern liegen in Form von gespendeten Kleidern in einem Regal in einem Wohncontainer in Hinterkappelen.
Nun sind vier Frauen aus Eritrea und Sri Lanka dabei, sich einzelne Kleidungsstücke auszusuchen. Nora Sieber hilft ihnen bei der Auswahl. Die 38-Jährige leitet seit gut zwei Jahren die Kollektivunterkunft im Containerkomplex an der Dorfstrasse, in der nur Frauen leben. Beim Zuhören taucht man in ein wahres Sprachbad ein.
Die Flüchtlingsfrauen sprechen untereinander in ihrer Sprache, Sieber wirft deutsche und englische Wörter dazwischen, die Frauen antworten ihr mit englischen Brocken, auch ein paar italienische oder französische Wörter sind zu erkennen.
Wenig später geht das Verteilen weiter, diesmal stehen Lebensmittel zur Auswahl, welche die Grossverteiler nicht mehr verkaufen konnten. Nora Sieber scheint in ihrem Element zu sein. Sie lacht mit den Frauen, packt eine Melone in einen Plastiksack, stapelt die leeren Kartons aufeinander.
Wenn sie aber über ihre eigene Zukunft sprechen muss, weicht der freundliche Ausdruck in ihrem Gesicht kurz den Sorgenfalten.
Unterkunft bleibt offen
Denn Nora Sieber wird ihre 60-Prozent-Stelle in zwei Wochen verlieren. Die Heilsarmee-Flüchtlingshilfe, welche die Unterkunft in Hinterkappelen betreibt, hat ihr gekündigt. Ihr Schicksal teilt Sieber mit rund 160 weiteren aktuellen oder ehemaligen Angestellten der Heilsarmee, die seit Anfang 2017 ihren Job verloren haben oder in Kürze verlieren werden.
Weil immer weniger neue Asylbewerber im Kanton Bern ankommen, stehen die Betreiber der Asylunterkünfte unter finanziellem Druck. Deshalb schliessen sie fortlaufend Unterkünfte. Am stärksten spürt das die Heilsarmee-Flüchtlingshilfe, die mit Abstand am meisten Asylbetten anbietet (siehe Haupttext).
Die Frauenunterkunft in Hinterkappelen, die seit 2016 besteht und massgeblich von der Rudolf-und-Ursula-Streit-Stiftung finanziert wurde, wird zwar wie bisher weitergeführt. Allerdings plant die Heilsarmee, sie organisatorisch mit der Kollektivunterkunft Halenbrücke zusammenzulegen. Die dortige Leitung soll auch für die Frauen in Hinterkappelen zuständig sein.
Existenzangst und Hoffnung
«Das war für mich ein harter Schlag», sagt Nora Sieber, wenn sie an den Moment der Kündigung zurückdenkt. «Denn ich liebe diesen Job, er ist wie für mich gemacht.» Zwar verrichte sie viele administrative Aufgaben, sie erstellt etwa den Arbeitsplan der Frauen oder zahlt ihnen ihr Geld aus.
«Das war ein harter Schlag für mich.»
«Was mir aber vor allem liegt, ist das Zwischenmenschliche.» Die Chemie zwischen ihr und den Frauen stimme, der Betrieb in der Unterkunft verlaufe geregelt. «Manchmal bin ich auch Seelsorgerin, indem ich den Frauen zuhöre und ihnen für einen Moment einen Teil ihrer Last abnehmen kann.»
Nun steht Nora Sieber an einem Scheideweg. Und obwohl sie sich selber als positiv eingestellten Menschen bezeichnet, so mache sich trotzdem vermehrt die Existenzangst bemerkbar. «Es wird finanziell sicher knapp.» Die alleinerziehende Mutter von drei Söhnen geht davon aus, dass ihr Leben nun spürbar schwieriger werde.
«Ich bin aber dabei, mich zu bewerben, und falle am Anfang sicher nicht in ein Loch.» Das befürchtet sie erst, wenn sie in einem halben Jahr immer noch nichts Neues gefunden haben sollte. Mit 38 Jahren rechnet sie sich jedoch intakte Chancen auf eine Neueinstellung aus, zumal sie offen für vieles sei. «Ich war auch im Asylwesen eine Quereinsteigerin.»
Und da bleibt ja auch immer noch der Hoffnungsschimmer, dass die Heilsarmee im sehr volatilen Asylwesen plötzlich doch wieder eine Stelle für sie bereithat. «Das wäre natürlich super. Ich kann es mir aber nicht leisten, nur darauf zu spekulieren, und werde versuchen, möglichst rasch eine andere Stelle zu finden.»
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