DTM-Fahrer Nico MüllerVom Träumer zum «Traumtypen»
Der Berner könnte am Wochenende als erster Schweizer die populäre Rennserie gewinnen. In Deutschland ist der charismatische 28-Jährige bereits ein Star.

Es ist eine schöne Geschichte. Und sie könnte bald noch besser werden.
Als kleiner Junge sitzt Nico Müller mit grossen Augen auf der Tribüne am Hockenheimring, der leidenschaftliche Kartfahrer verfolgt das finale Saisonrennen der DTM und denkt sich: Da will ich auch hin! 2014 debütiert der Thuner in der vorab in Deutschland so populären Serie – in Hockenheim. Und nun hat der inzwischen 28-Jährige die Möglichkeit, Gesamtsieger zu werden. In Hockenheim.
«Es müllert!»
19 Punkte muss der Berner Oberländer in den beiden Prüfungen auf dem für ihn so prägenden Rundkurs wettmachen; dann ist er der erste Schweizer Triumphator der DTM. Diese ist die beliebteste Automobilrennserie hierzulande nach der Formel 1. Das hat eine Menge mit ihrer Fernsehpräsenz zu tun. Die deutsche Tourenwagen-Meisterschaft, wie sie lange offiziell hiess, besass im Öffentlich-Rechtlichen einen Fixplatz. Nun überträgt mit Sat1 der bekannteste Ableger des Prosieben-Konzerns. Der gleichfalls auch hier frei empfangbare Sender inszeniert das Geschehen als atemloses Spektakel, das es bisweilen wirklich ist. Er richtet mit der grossen Kelle an, ausführliches Vorprogramm und Analyse inklusive. Interviewt werden die Fahrer auch schon mal während des Rennens – per Funk.
Obwohl Schweizer und ärgster Konkurrent des einheimischen Hoffnungsträgers René Rast, ist Müller ein ausgesprochen willkommener Gesprächspartner. In ihren Porträts bezeichnen ihn die deutschen Medien als «Traumtypen», als «perfekten Schwiegersohn». Gewinnt der Audi-Pilot, pflegen die Kommentatoren auf Sat1 «Es müllert» zu schreien, in Anlehnung an Gerd und Thomas Müller, Kultfiguren des Fussballs.
Der Sunnyboy und der «Playboy»
Der Berner Oberländer ist längst einer der meistbeachteten Fahrer der Serie, obwohl es mit Leuten wie dem früheren Formel-1-Rennsieger Robert Kubica nicht an Köpfen mangelt. Das ist nicht bloss seinen Resultaten, sondern nicht minder dem smarten Auftreten geschuldet. Als attraktiver, kommunikativer, betont lockerer Kerl ist Müller so was wie der Sunnyboy der DTM – und entsprechend gut vermarktbar. 2018 sponserte ihn das deutsche Männermagazin «Playboy»; dessen Logo prangte prominent auf dem Wagen des Schweizers.
Heuer gewann der 28-Jährige aus Blumenstein an Profil. Er triumphierte in den ersten drei Saisonrennen, dominierte mitunter. Er nimmt klarer Stellung zu dem, was gerade passiert, kritisiert auch mal die Rennleitung, nennt Konkurrent Jamie Green im Affekt einen «verdammten Idioten». Im Sommer ist er erstmals Vater geworden. Mit Mutter Victoria Paschold, einem früheren Playmate, ist er nicht verheiratet, aber seit geraumer Zeit liiert.
Der Vergleich mit Hamilton
Der Maturand ist einer der wenigen Schweizer, welche in Deutschland den höheren Bekanntheitsgrad aufweisen als diesseits der Grenze. Das ist insofern erstaunlich, als er heimatverbunden ist und unverändert hier lebt. In den sozialen Medien postet er vorzugsweise Bilder aus dem Oberland, oft etwa vom Thunersee. Das Gros der helvetischen Medien aber beginnt sich erst jetzt so richtig für ihn zu interessieren. Das Schweizer Fernsehen hat die Berichterstattung zuletzt deutlich ausgebaut und zeigt die Rennen vom Wochenende live. Die «Neue Zürcher Zeitung» widmete ihm im Spätsommer ein Porträt mit dem schmeichelhaften Titel: «Er ist der Lewis Hamilton der Tourenwagen».

Global betrachtet verfügt die DTM freilich nicht annähernd über die Strahlkraft der Formel 1. Die Macher der Serie aber beweisen einen guten Riecher dafür, was der Konsument will. Die Rennen beginnen stets um dieselbe Uhrzeit – um 13.30 Uhr – und dauern bloss eine Stunde. Zumeist sind sie ziemlich aufregend; langweilig jedenfalls wird es selten. Hierbei helfen die Verantwortlichen nach, indem sie den jeweils Führenden im Grunde benachteiligen, ihm als Einzigem untersagen, per Knopfdruck kurzzeitig auf mehr Motorleistung zurückzugreifen.
Titelverteidiger Rast dominierte zuletzt gleichwohl nach Belieben. Er überholte Müller in der Gesamtwertung und steht vor seinem dritten Triumph. Der Oberländer muss wohl beide Rennen vor seinem Widersacher beenden, damit er reüssiert. Das ist schwierig. Aber nicht unrealistisch.
In Hockenheim erst recht nicht.
Adrian Horn ist seit 2007 für Tamedia tätig. Er fungiert als Koordinator und Redaktor des Sport-Extra und arbeitet extern als Lektor.
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